Samstag, 11. Januar 2014
Jimi Hendrix – Starting At Zero
Inhalt ist die eine Seite, Posing die andere. Dass Jimi Hendrix seine Melodien mit den Zähnen gezupft, die Gitarre in Brand gesteckt und auf der Woodstock-Bühne die amerikanische Nationalhymne zersägt hat, galt immer als künstlerisches Statement. Mitnichten. Auf der Ochsentour als Mietmusiker hat er das «Hitparaden-R&B-Soul-Wohlfühlpaket» heruntergenudelt, «komplett in Lackschuhen und mit ordentlicher Frisur», und sozusagen von der Pike auf gelernt, wie man die Leute unterhält und dass es mitunter auch ein bisschen grober sein muss. Weil es so üblich gewesen sei, habe er in einem Kaff irgendwo in Tennessee angefangen, mit den Zähnen zu spielen. «Im Süden muss man das machen, wenn man nicht erschossen werden will», erklärt er lakonisch. Dass er seine Gitarre geopfert habe, wenn er sie auf der Bühne verbrannte, wie er selbst erwähnte, war wohl auch höchstens die halbe Wahrheit – das Verbrennen war ein wohlkalkulierter Effekt. Er selbst sah sich durchaus als Entertainer und Showman.

Peter Neal, der 1967 den ersten Hendrix-Film «Experience» drehte, hat die ‹Autobiographie› aus Notizen, Tagebucheinträgen, Schriften, Entwürfen sowie verbürgten Äußerungen montiert. Er beginnt mit der Geburt – Hendrix gibt vor, sich sogar noch an die Entbindungsschwester erinnern zu können – zeichnet seine schwierige Jugend nach, seinen freiwilligen Einsatz als Fallschirmspringer bei der Armee. Er lässt Hendrix aufführen, welche Musiker ihn beeinflusst haben und von seinen ersten Jahren als Sideman berichten. Die Texte zeigen nicht nur, wie Hendrix seine Projekte vorantrieb, sondern geben auch überraschende Einblicke. Erwartungsgemäß durchgeknallte Statements wie «Die Sonne ist die Wahrheit, die auf uns herabscheint – an einem klaren Tag kann man bis in die Unendlichkeit sehen» – zeigen seine zunehmende Spiritualität, seine Auseinandersetzung mit klassischer Musik offenbart wiederum, dass seine musikalische Wissbegierde kaum Grenzen kannte. Jimi Hendrix, der einerseits meinte, mit seinen abstehenden Haare Schwingungen empfangen zu können, andererseits Märchen von Hans-Christian Andersen oder A. A. Milnes «Pu der Bär» las und gerne die Sterne beobachtete, war wohl wesentlich widersprüchlicher als er bislang gezeichnet wurde.

Die hier zusammengestellten Texte, in die immer wieder Liedtexte montiert sind, helfen mit, der tatsächlichen Person ein wenig näher zu kommen.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 29. September 2011
Aglaja Veteranyi – Warum das Kind in der Polenta kocht
Es ist ein bezaubernder Roman, dessen außergewöhnliche Leichtigkeit in krassem Gegensatz zum Thema steht: die Flucht aus einem totalitären Land mit all ihren Hoffnungen und unerfüllten Träumen, über denen die Angst vor dem Tod der Mutter liegt. Die in Rumänien geborene Autorin erzählt in ihrem 1999 erschienenen Debütroman vom Fremd- und Einsamsein, verlassen vom Vater und gequält im Kinderheim. Um sich von den Todesvorstellungen abzulenken, weil sie den Absturz der Mutter fürchtet, die Zirkusartistin ist, denkt sich die Tochter Schauergeschichten aus - solche wie die vom Kind, das in der Polenta kocht.
Aglaja Vetaranyi, Tochter eines Clowns und einer Zirkusartistin, erzählt die autobiographisch gefärbte Geschichte mit eindringlichen Worten in einer scheinbar kindlich-naiven Sprache, nicht opulent ausformuliert, sondern im Kurzprosa-Stil. Die atmosphärisch dichte Umsetzung des Hörspiels dürfte auch der Intention der 2002 aus dem Leben geschiedenen Autorin entsprechen. Einfühlsam gesprochen und mit reduzierter Geräuschkulisse, ist auch das Hörspiel gleichermaßen luftig-leicht und aufwühlend.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 10. Juli 2011
Kritisch: Franz Kafka - Der Process
Der Roman, der keiner ist, begründete Kafkas Weltruhm. Er steht längst in verschiedenen Varianten als Hörbuch zur Verfügung. Dass es jetzt eine mehr gibt, ist durchaus sinnvoll. Denn es ist die erste Fassung, die Kafkas nachgelassenem Werk entspricht. Die von Kafka hinterlassenen Textfragmente wurden von Max Brod zum Roman verleimt. An Stellen, die sich nicht fügen wollten, wurde der Nachlassverwalter selbst zum Autor. 1997 legte die im Stroemfeld Verlag erschienene historisch-kritische Ausgabe die Fragmente frei.

Der Hörspielregisseur Klaus Buhlert hat die kritische Ausgabe inszeniert. Ohne vom Autor endgültig autorisierte Fassung stehen Textvarianten gleichberechtigt nebeneinander. Den Interpretationsspielraum nutzt Buhlert, indem er bei einzelnen Passagen verschiedene Sprecher im Wechsel lesen lässt. So erhält der Protagonist Josef K. gleich mehrere Stimmen, und oft wechselt innerhalb einer Erzählpassage die Stimmungslage. Das erfordert aufmerksames Hören, macht aber den Reiz dieser Produktion aus und führt den Hörer auf die Spur der Editoren und der Frage nach der angemessenen Lesart.

Klaus Buhlert hat das Hörstück in hochkarätiger Besetzung (u.a. mit Rufus Beck und Corinna Harfouch) inszeniert. Wie die Quarthefte der kritischen Ausgabe erscheint jeder Text, und sei er nur wenige Minuten lang, auf einer einzelnen CD -- mit einem informativen Beiheft in einer attraktiven Box.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 30. Mai 2011
Philip Roth - Empörung
Je mehr Kanäle, desto besser - Mehrfachverwertungen sind einträglich, wenn nicht für die Verlage gar unverzichtbar. Auch darum gibt es Hörbuch und Hörspiel parallel. Während die Literatur möglicherweise verlieren mag, weil durch gekürzte (Hörbuch-)Fassungen das Original nicht mehr so oft gelesen wird, gewinnt sie, weil Hörbücher und Hörspiele ein Publikum erreichen, das sie ohnehin nicht gelesen hätte.

Von Philip Roths «Empörung» ist ein Jahr nach dem Hörbuch die Hörspielfassung erschienen - nicht zum Nachteil der Geschichte von Marcus Messner, der vor der erdrückenden Fürsorglichkeit seines Vaters flieht und den Tod findet.
Die knapp 90 Minuten Hörspiel reichen Regisseur Norbert Schaeffer, um die Handlung des im Grunde durchschnittlichen Romans adäquat wiederzugeben. Mit einfachen Effekten und einer guten Führung der Sprecher macht er die Handlung lebendig - kurzweilig und dem Roman durchaus angemessen.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 10. Dezember 2010
Orhan Pamuk - Museum der Unschuld
Acht Jahre lang wirbt Kemal um Füsün. Dass sie seine Liebe nicht erhört – nicht erhören kann –, hält ihn nicht davon ab. Mehrmals wöchentlich besucht er ihre Eltern, kommt zum Abendessen und bleibt zum Fernsehen. Er finanziert eine Filmgesellschaft, um seiner Angebeteten zu Schauspielerinnen-Ruhm zu verhelfen. Und vor allem steckt er alles ein, was eine Beziehung zu Füsün haben kann: vom Salzstreuer über den Wackel-Dackel auf dem Fernseher bis hin zu Ohrringen und Zigarettenkippen. Als Füsün beginnt, seine Liebe zu erwidern, dauert das Glück nicht lange. Sie lenkt das Auto gegen einen Baum und stirbt. Kemal richtet mit seinen Füsün-Devotionalien das «Museum der Unschuld» ein und erzählt seine ganze Geschichte – und mehr als das.
Orhan Pamuk zeichnet ein Gesellschaftsporträt der Türkei der 1970er-Jahre. Der Nobelpreisträger erzählt weitschweifig und opulent illustrierend von der unerwiderten Liebe und zeigt gleichzeitig die Moralvorstellungen einer Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne.

Auch wenn es für das detailreiche, fast 600 Seiten starke Werk 18 CDs braucht: Es war eine gute Entscheidung, den Roman ungekürzt zu lesen, Ulrich Noethen macht das angemessen bedächtig.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 2. Oktober 2010
Paul Auster - Unsichtbar
Paul Auster hat einen verwirrend konstruierten Roman geschrieben - und trotzdem sind die Handlungsstränge so klar, dass man ihnen auch im Hörbuch problemlos folgen kann. Im Zentrum steht die Geschichte von Adam Walker, die man aber nur vermeintlich von ihm direkt erzählt bekommt. Im Laufe des Buches stellt sich heraus, dass Adam Walker die Erlebnisse seiner Studentenzeit aufgeschrieben hat, die zum Teil wieder jemand anderes erzählt. Auster thematisiert mit seiner Geschichte vor allem die Themen Schuld und Gewalt und würfelt dafür auch Genres - Biographie, Krimi, Agentenroman - munter durcheinander.

Der 2009 erschienene Roman des US-amerikanischen Schriftstellers bleibt durchweg spannend, auch wenn die eingebaute kalkulierte Provokation, eine Inzest-Geschichte, heute kaum mehr jemanden empören wird. Es sind die überraschenden Wendungen, die in den Bann ziehen, und auch die raffinierte Konstruktion des von Burkhard Klaußner hervorragend gelesenen Romans.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 6. September 2010
Beat Sterchi - Blösch
Ein voluminöser Roman vom Land, gelesen in Kneipe, Kuhstall und Schlachthof
«Blösch» zählt zu den wichtigsten Schweizer Gegenwartsromanen. Vordergründig ist der 1983 erschienene Erstling von Beat Sterchi die Geschichte des spanischen Fremdarbeiters Ambrosio, der Frau und Kinder in Coruna zurückgelassen hat, um im wohlhabenden Land Geld für ihr Überleben zu verdienen. Tatsächlich zeichnet Sterchi anhand der Entwicklung verschiedener Personen ein realistisches Stimmungsbild der ländlichen Schweiz in den 1960er-Jahren und gibt gleichzeitig einen emotionslosen Einblick in die Veränderung der Landwirtschaft. Er zeigt, wie die Anfeindungen gegen den Fremdarbeiter den Knuchelbauer dazu bringen, sich von diesem zu trennen und sich der fortschreitenden Industrialisierung zu unterwerfen. Ambrosio, für den er eine Anstellung im Schlachthof findet, zerbricht an Arbeit und Umfeld - und erleidet damit letztlich das gleiche Schicksal wie die Einheimischen.
«Sterchis Blösch fährt in unsere dünnblütige Literaturwelt hinein wie einst Die Blechtrommel in die wechselnden Realismen der Nachkriegsliteratur», urteilte der renommierte Publizist Heinz Ludwig Arnold im Spiegel.

Das 18-stündige Hörbuch ist trotz handwerklicher Mängel - man hört immer wieder mal ein Schmatzen oder eine verschluckte Silbe - ein Vergnügen. Sebastian Mattmüller hat den Text an 'Originalschauplätzen' gelesen, im Kuhstall, auf der Weide, im Schlachthof. Das sorgt, wenn auch nicht so zielgerichtet wie bei einem Hörspiel, für eine originelle Geräuschkulisse und Lokalkolorit. Mattmüller, eigentlich Sänger, fehlt zwar offensichtlich die (Vor-)Leseerfahrung, daher bringt er die unterschiedlichen Charaktere nicht immer differenziert genug. Aber das macht er durch die durchweg zu spürende Begeisterung für den Text weitgehend wett.
«Blösch» - das Hörbuch kommt als MP3-Datei auf zwei CDs - ist ein großartiger Roman. Nachdem er jetzt als Hörbuch da ist, fragt man sich, warum es so lange gedauert hat. Vermutlich, weil der Originalverlag die Verbreitung im gesamten deutschsprachigen Raum - und das ist sicher berechtigt - als sehr gering ansieht. Umso höher ist das Engagement eines kleinen Verlags für dieses überaus ambitionierte Hörbuchprojekt zu schätzen.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 18. Mai 2010
Harry Rowohlt - John Rock oder der Teufel
Das Hardcover wird gerade verramscht. Vor sechs Jahren erschienen, war es erstaunlich lange im Programm. Erstaunlich spät kommt dafür das Hörbuch. Jetzt können auch Verleger in den Genuss des Buches kommen. Denn diese, erklärt der Autor, könnten nicht lesen (aber nur die wenigsten hatten, wie Rowohlts Vater, ein ärztliches Attest zur Begründung). «John Rock» ist eine durchaus amüsante Petitesse, in der Harry Rowohlt einen Western-Schundroman parodiert. Das ist aber ebenso egal wie die abstruse Geschichte. Wichtiger als diese sind - neben seiner brummigen Stimme - nämlich Rowohlts Anmerkungen und Kommentare. So erklärt er, warum die Blockhütte in seinem Western-Groschenroman ein Reetdach hat oder weist auf ein paar plattdeutsche Ausdrücke hin.
Rowohlt geht es um den Schabernack - den treibt er hier zwar nicht auf die Spitze, aber für ein wenig Abwechslung im Morgenstau sorgt er durchaus. Lange darf der allerdings nicht dauern, nach 23 Minuten ist das Vergnügen schon wieder vorbei.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 30. April 2010
Thomas Hürlimann - Der große Kater
Die Verfilmung des Romans ist trotz seiner hervorragenden Besetzung, etwa mit Bruno Ganz in der Hauptrolle, durchgefallen. Ein Grund mehr, den großartigen Text von Thomas Hürlimann gleich im Original zu entdecken. Das Vergnügen steigt, wenn man ihn von Dieter Mann vorgelesen bekommt.

Pfiff, Chef der Schweizer Sicherheitspolizei, und Kater, der Bundespräsident, sind seit ihrer gemeinsamen Schulzeit im Internat des Klosters Einsiedeln befreundet - doch Pfiff hat mit seinem Freund noch eine Rechnung offen. Dieser hat ihn nicht nur politisch überholt, sondern ihm schon vor vielen Jahren seine Verlobte, die jetzige «Frau Bundesrat» ausgespannt. Erst allmählich offenbart Hürlimann, dass der jovial und gemütlich wirkende Kater auch ein ausgeprägtes Machtbewusstsein besitzt. Deswegen, nicht nur wegen der strapazierenden Schicksalsschläge - sein Jüngster liegt im Sterben - ist seine Ehe offenbar arg zerrüttet. Hürlimann zeigt die letzten Tage im Intrigenspiel um den Bundespräsidenten, der schließlich zurücktritt.

Thomas Hürlimann hat seinen Roman «Der große Kater» trickreich komponiert und mit überraschenden Einfällen ausgestattet, seine präzisen und bildreichen Beschreibungen sind ein Genuss. Ebenso differenziert wie der Autor agiert der Sprecher. Dieter Mann liest mit warmer Stimme und nie nachlassender Präsenz.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 27. Mai 2009
Jürgen Roth/Gert Heidenreich - Mit Verlaub, Herr Präsident ...
Zu jedem Bundesjubiläum gibt es sie aufs Neue: die Zusammenstellungen mit markigen Sprüchen von Politikern, turbulenten Szenen aus dem Parlament und Reden und Bemerkungen, die, wenn nicht gleich an der Intelligenz, so doch an der Sprachfähigkeit der Politiker zweifeln lassen. Das ist meist nicht mehr als Klamauk, und auch Jürgen Roth setzt auf markige Worte, wenn er Joschka Fischers berühmten Ausspruch Mit Verlaub, Herr Präsident... als Titel wählt. Doch zum Glück hat der in Frankfurt am Main lebende Autor – auch wenn er sich wie alle anderen über die verbalen Ausrutscher der Politiker lustig macht – mehr im Sinn als kurzweilige Unterhaltung. Er erinnert auch daran, wie Adenauer den Deutschen die Wiederbewaffnung unterjubelte oder wie Franz-Josef Strauß in der so genannten Spiegel-Affäre das Parlament belog.
Jürgen Roth geht es nicht vor allem um die Ausrutscher, Bundestagstumulte und verbalen Entgleisungen, sondern um den geschichtlichen Zusammenhang. Das macht Mit Verlaub, Herr Präsident... zu einer amüsanten Geschichte der BRD, die Gert Heidenreich trefflich liest. Gänzlich überflüssig ist dafür die musikalische Untermalung, die bei den älteren, qualitativ entsprechend schlechten O-Tönen der Politiker dafür sorgt, dass sie noch schwerer zu verstehen sind.

... link (0 Kommentare)   ... comment