Sonntag, 18. Januar 2009
Jean-Marie Gustave Le Clézio - Der Afrikaner
Als unerhört haben viele Kommentatoren die Vergabe des Literaturnobelpreises 2008 an Jean-Marie Gustave Le Clézio empfunden. Sein Name war vielen leidlich geläufig, sein mehrfach ausgezeichnetes Œuvre ist jedoch weniger bekannt.

"Der Afrikaner" sei, wie die Verlagswerbung preist, 'der poetische Schlüssel' zu seinem rund dreißig Bände umfassenden Werk. Diese literarische Annäherung an seinen Vater präsentiert einen eigenwilligen Menschen, gibt Einblicke in die besonderen Lebensbedingungen des Autors im kolonialen Afrika und ist nicht zuletzt auch als literarische Biographie genussvoll zu lesen beziehungsweise - in ungekürzter Version - zu hören. Mehr als einen gediegen lesenden Sprecher, den Leiter des Hanser-Verlags Michael Krüger, braucht es dafür nicht. Denn der eindrückliche Text spricht für sich.

Le Clézio verbindet dafür die Erfahrungen und Erlebnisse seiner Kindheit mit der (Liebes- und Beziehungs-)Geschichte seiner Eltern. Ein wichtiger Teil ist der Arbeit seines Vaters und den Arbeitsbedingungen gewidmet. Diese Schilderungen und die Erzählungen seiner Kindheitserlebnisse und der Eindrücke, die der als Achtjähriger in Nigeria Angekommene schildert, ergeben einen eindrücklichen Bericht vom kolonialen Afrika. Nicht zuletzt reflektiert Le Clézio seine Erlebnisse und sein Verhältnis zum Vater. "Der Afrikaner" ist eine bemerkenswerte Spurensuche, die für sich steht und die auch dann interessant ist, wenn man kein anderes Werk des Autors kennt.

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Sonntag, 21. September 2008
Richard Reich - Ovoland
Als Richard Reich seine Erzählungen aus der und über die Schweiz herausbrachte, gefiel das dem Pharmariesen Novartis überhaupt nicht: Damals war der Konzern diversifizierter und hatte in seinem Unternehmensportfolio die Firma Wander -- und damit eine der bekanntesten Schweizer Marken: Ovomaltine. In der Zwischenzeit hat auch der Brasilianer Pelé das kakaohaltige Getränk verkostet und Novartis seine Lebensmittelsparte abgestoßen. Die Gunst der Europameisterschaft nutzend, kam eine Auswahl der "Ovoland"-Erzählungen als Hörbuch auf den Markt. Eigentlich zu spät, aber das ist ja besser als nie.

Gelesen von Hanspeter Müller-Drossaart bringen die Geschichten von Richard Reich Schweizer Eigenheiten (über das Verhalten in der Sauna etwa) und persönliche Betrachtungen ("Sportwäsche, 60 Grad" oder "Schnee"). Meistens sind sie beides, weil man das als Schweizer Autor ja nicht trennen kann. Der Zugang ist unterschiedlich und lebendig. Mal berichtet Reich über Erlebtes, mal lässt er seinen Protagonisten einen Brief schreiben oder die Festrede zum Staatsfeiertag halten. Die Geschichten, für die Hanspeter Müller-Drosaart immer den richtigen Ton findet, sind aus einer originellen Perspektive geschrieben und durchweg amüsant.

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Dienstag, 17. Juni 2008
Eine wahre Geschichte
Salim Alafenisch - Die Feuerprobe
Die Feuerprobe ist die letzte Instanz, ein Gottesurteil in ernsten Fällen wie Mord. Bei der Feuerprobe, einer nicht nur bei den Beduinen verbreiteten Methode der Wahrheitsfindung, streicht der Verdächtige mit der Zunge drei Mal über eine glühende Pfanne. Bleibt sie unversehrt, so hat er die Wahrheit gesagt und ist unschuldig.

Salim Alafenisch beschreibt in seinem Roman, der auf einer selbst erlebten Begebenheit beruht, mehr als die offensichtlich nach wie vor lebendige Tradition der Gerichtsbarkeit von Beduinenstämmen. Denn der Kriminalfall spielt sich im verhängnisvollen Umfeld ab: in der Wüste Negev (Israel) – und der Ermordete war nicht nur für den Nachbarstamm, dem er angehörte, sondern auch für die israelische Polizei wichtig. Der ebenso harmlose wie redliche Stamm der Alafenischs wird zum Spielball von Interessen, die das Oberhaupt nicht mehr richtig durchschauen und schon gar nicht beeinflussen kann. Es sieht schlecht aus: Die Behörden stecken einige Stammesmitglieder ohne Begründung in Untersuchungshaft und später monatelang in die Verbannung. Dies und die weit über das Gewohnheitsrecht hinaus gehenden Forderungen des Nachbarstamms gefährden die Existenz des Clans. Dass dieser alle Ungerechtigkeiten geduldig erträgt, ist wohl der Weitsicht und Autorität des Scheichs geschuldet.

Das Kriminologische interessiert den Autor nicht. Der Fall wird – wie es vermutlich tatsächlich war – nicht gelöst. Im Vordergrund stehen die Beschreibungen, wie sich das Leben der Beduinen ändert, ohne dass diese die gesellschaftlichen Veränderungen aktiv gestalten können.
Dieter Wien, Schauspieler im Ruhestand, liest den Roman unaufdringlich und ohne falsche Theatralik. Sein überwiegend bedächtiger Ausdruck lassen den sich erinnernden Ich-Erzähler älter erscheinen und die Begebenheit noch ein Stück weiter in die Vergangenheit rücken.

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Donnerstag, 31. Januar 2008
Suche den Ausdruck von Liebe und Güte
Der Jugendroman Wenn er kommt, dann laufen wir von David Klass als Hörbuch
Die Gesellschaft wird schon seit Jahren infantiler. Das ist keine Kulturkritik, sondern eine Feststellung. Erwachsene, gebildete Menschen kaufen sich Alessi-Geschirr, das wie Spielzeug aussieht und lesen Harry Potter. Auch ich habe mein Bärchen-T-Shirt (was aber zumindest ironisch, wenn nicht gar als Kulturkritik aufzufassen ist). Und aus nostalgischen Gründen beschäftige ich mich noch gelegentlich mit Kinder- und Jugendmedien - und bin immer wieder ganz zufrieden dabei. Den Autorinnen und Autoren sind Grenzen gesetzt: Einen Frank Bascombe wird man unter ihren Helden nicht finden. Aber hinter dem, was als gehobene Unterhaltung für Erwachsene angeboten wird, müssen sich auch Jugendbuchautoren oft nicht verstecken. Die Geschichten von Kevin Brooks sind ziemlich kompromisslos, und auch David Klass bietet einiges. Sein Roman Wenn er kommt, dann laufen wir ist jetzt als Hörbuch erschienen.

Die Lesung des Romans wird auf vier CDs gepackt. Das ist eine gute Voraussetzung dafür, dass aus dem mit mehr als 300 Seiten dicken Buch noch einiges für die Audioversion übrig bleibt.

Der Roman ist eine Liebesgeschichte und ein Krimi – aber vor allem die Geschichte einer Suche nach Recht, Moral und ethischem Verhalten.
Troy wird überraschend aus dem Gefängnis entlassen und kehrt in sein Elternhaus zurück. Für Steff, der seinen Bruder verachtet und ihn für einen unverbesserlichen Mörder hält, ist das nur schwer zu ertragen. Er leidet unter den Anfeindungen seiner Mitschüler und der Nachbarn. Steff hat feste Wertvorstellungen und gibt Troy keine Chance  und erhält am Schluss noch Recht: Troy ermordet erst Steffs Klassenkameraden und verschuldet später den Herztod seines Arbeitgebers, den er beraubt. Jeff könnte seinen Bruder der Polizei auszuliefern, macht es nach einer dramatischen Begegnung doch nicht. Nachdem Troy von seinem Bruder auf dem Boot entdeckt wird, mit dem er fliehen will, hat nur einen Weg: Er muss Steff töten. Doch ausgerechnet als Steff über die Waffe hinweg in die Augen seines Bruders schaut, wird ihm bewusst, was er eigentlich schon ganze Zeit wusste: Auch Troy hat auch seine gute Seite. Das wird durch dessen Ähnlichkeit mit dem überaus friedfertigen Vater deutlich. „Versuche in seinen Augen die Augen deines Vaters zu sehen“, sagte sich Troy im Angesicht des Todes, „suche den Ausdruck von Liebe und Güte.“ Troy schiesst nicht und flieht, Steff behält das Geheimnis seiner Flucht für sich.

Der junge Schauspieler Hans Löw liest die spannende Geschichte ruhig und akzentuiert die verschiedenen Charaktere nur leicht. Er dramatisiert nicht, was von sich aus dramatisch genug ist und gibt der Geschichte und ihren Figuren keine Klangfarben, die sie nicht brauchen. Hans Löw stellt sich als Interpret nicht über die Geschichte, sondern in ihren Dienst. Das ist angenehm zu hören – und spannend bis zum Schluss.

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Montag, 21. Januar 2008
Kürzen, bitte
Die offensichtliche Frage, was T.C. Boyle aus diesem Stoff gemacht hätte, ist leicht zu beantworten. Denn mit América hat der amerikanische Autor ein vergleichbares Thema aufgegriffen. Während es dem Amerikaner um die illegalen mexikanischen Einwanderer in den USA geht, spielt die Geschichte der im britischen Exil lebenden ukrainischen Autorin unter Erdbeerpflückern. Diese kommen vornehmlich aus dem Osten und akzeptieren die miesesten Arbeits- und Lebensbedingungen, weil sie diese – zumindest vorübergehend – noch immer besser finden als ihr Dasein im Heimatland.

Obwohl einige absurde Einfälle recht unterhaltsam sind, zieht die Geschichte kaum in ihren Bann. Denn letztlich arbeitet Marina Lewycka brav einige Stereotypen ab und gewährt keinen Einblick in die psychische Struktur ihrer Figuren.

Beklagt man normalerweise, dass Hörbuch-Fassungen gekürzt sind, kann man sich hier allenfalls darüber beschweren, dass nicht ausreichend gestrafft wurde. Immerhin ist die Geschichte versiert und lebendig gelesen. Am besten gefällt die gelinde tünchende Trennung der Kapitel in Form von kurzen, fröhlichen Stücke mit Akkordeon und Ukelele.

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Samstag, 23. Juni 2007
Aus nichts ist kaum etwas Gutes zu machen
Marina Lewycka - Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch
Der 84jähriger Bauer Nikola - er floh im zweiten Weltkrieg aus der Ukraine nach Großbritannien - verliebt sich in die so aufgetakelte wie vollbusige, 36 Jahre alte Ukrainerin Valentina und heiratet sie. Daraus kann man eine billige Heiratschwindlerschmonzette mit Happy End machen, oder aber Heimat und Fremde thematisieren, das Altern in unserer Gesellschaft, die Auswirkungen der Globalisierung oder die oft mangelnde Perspektive der Menschen in den Ost-Staaten. Marina Lewycka - das wird schnell klar - bleibt lieber an der Oberfläche. Das, so ist zu vermuten, hat ihren Roman erfolgreich gemacht. Auch die Hörspielfassung bleibt an der Oberfläche, nicht nur inhaltlich: Sie wurde alles andere als opulent mit Geräuschen ausgestattet. Die Sprechenden machen das teilweise wieder wett. Traugott Buhre brummt den Bauern Nikola vergnüglich, und Jeannette Spassova hat sichtlich Spaß an der Rolle der Valentina. Doch schon Lena Stolze und (mehr noch) Elisabeth Trissenaar hinterlassen den Eindruck, als ob mit guten Kräften eine schnelle Produktion durchgezogen werden sollte.

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Dienstag, 15. Mai 2007
Vom Beruf des Heiratsschwindlers
Helge Schneider - Die Memoiren des Rodriguez Faszanatas
Das Titelbild ist wirklich gut. Helge Schneider musste wohl nicht viel machen, um den heruntergekommenen, verschmitzten Heiratsschwindler zu geben. Die kleinen Intermezzi auf dem Klavier, mit denen er gelegentlich die Kapitel trennt, sind auch hübsch. Den Rest kann man überwiegend vergessen.

Stilistische Kriterien muss man bei Schneider nicht anwenden. Sein grobschlächtiger Witz lebt vom Abstrusen, Unwirklichen - und überzeugt gerade deshalb.

Während jedoch sein musikalischer Dadaismus überaus charmant ist, bleiben diese "Bekenntnisse eines Heiratsstaplers" weit hinter dem Witz seiner Lieder zurück. Hätte er den langatmigen, von zu wenig Pointen aufgelockerten Roman als Kurzgeschichte gebracht und in der freien Zeit noch ein paar Faszanatas-Songs geschrieben. Dann wäre seine Art zu lesen - komisch um des Komischen willen - gleich viel besser zu ertragen. So findet man sie nach kurzer Zeit nicht mehr als langweilig.

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