Sonntag, 26. April 2009
Stanser Musiktage
Ausnahmezustand in Stans. Die als hinterwäldlerisch bezeichneten Innerschweizer halten ihre mittlerweile traditionellen Musiktage ab, die an Weltoffenheit nichts zu wünschen übrig lassen. Zum 15. Mal geben sich eine Woche lang Künstler die Klinke in die Hand, die man sonst nur selten sieht – Erik Friedlander und Gérman Díaz zum Beispiel, Talvin Singh mit Erik Truffaz oder Bassekou Kouyate & Ngoni Ba.



Damit sie zusätzlich ein ansprechendes Rahmenprogramm bieten können, haben die Stanser jeden freien Platz im Ortskern zugepflastert. Die Bewohner leiden unter der Geruchsmischung von indonesisch-thailändisch-mediterranem Festival-Fast-Food und Cervelat-Gebrutzel (die Schweizer Alternative zur Bratwurst). Durchs Küchenfenster dröhnt urtümlicher Blues, der Fernseherim Wohnzimmer wird durch das nebenan spielende Jazztrio stillgelegt, und unter dem Schlafzimmerfenster schieben sich die Massen durch die Strasse. Wem das zuviel und das Interesse an Jazz und Weltmusik zu gering ist, geht in die Beiz, also ins Gasthaus. Dort gibt es Stubeten mit so genannten Hudigäglern, lokalen Volksmusikgruppen, die zur gekochten Rindwurst auch dem Raucher der krummen Brissago beweisen, dass der Walking Bass auch Akkordenmusik zum grooven bringt.


Erik Friedlander
Der Ansager ist öffentliche Auftritte gewohnt und wirkt trotzdem schüchtern. Jürg Halter alias Kutti MC, Berner Autor und Rapper, führt Erik Friedlander im Stil eines Poetry-Slam-Poeten an – ungereimt und so monoton fließend, wie der amerikanische Cellist die endlosen Autofahrten empfunden haben mag, die er als Kind mit seinen Eltern im Camper hinter sich gebracht hat. Neben einigen Stücken, zu denen ihn diese Reisen inspiriert haben, spielt er eine Hommage an seinen Onkel Neal und andere Kompositionen, unter anderem aus dem „Book of Angels“ von John Zorn.



Es ist eine lebendige Mischung aus fließenden und virtuosen Läufen, anheimelnd-melodischen und rhythmischen Stücken und avantgardistischen Einwürfen. In den ruhigen Passagen überzeugt Friedlander weniger als in den impulsiven. Er zupft, schlägt auf Saiten und Korpus, streicht und streichelt, sorgt mit knappen Erklärungen für angenehme Pausen zwischen den Stücken und wirkt trotz vorbereiteter Setlist so, als ob er das Programm weitgehend spontan zusammenstellen würde. Auch wenn sich die Titel und die Geschichten hinter den Kompositionen nicht erschließen – „Cold Chicken“, das die lange Wartezeit im Restaurant beschreibt, an deren Ende das servierte Huhn schon kalt ist, klingt mehr wie die vergebliche Jagd auf ein wild gewordenes Hühnchen –, kommt seine Mischung gut an.
Nächstes Konzert: 1. Mai, Mannheim, Kulturzentrum Alte Feuerwache


Gérman Díaz
Das Konzept des Liebhabers mechanischer Musikinstrumente ist simpel und wurde unter anderem schon vor Jahren vom Schweizer Bassisten Mich Gerber angewendet. Gérman Díaz nimmt eine Sequenz auf, spielt sie anschließend als Loop ab und begleitet sich dazu. Er macht das auf außergewöhnlichen Instrumenten und mit ausgezeichneten Kompositionen. Gérman Díaz spielt Drehleier, Drehorgel und Spieldose, was die unterschiedlichsten Kombinationen möglich macht. Dass er sie nutzt, ist jedoch nur die halbe Miete – wie er sie nutzt, begeistert. Seine Kompositionen für Drehleier – er spielt auch Traditionals, ein Lied der Sepharden, ein Stück des Oud-Spielers Anouar Brahem und solche von zeitgenössischen Komponisten für Drehorgel und Drehleier – haben überhaupt nichts mit den quäkenden Melodien der in historischen Kostümen auftretenden Drehorgelspieler in den Fußgängerzonen gemein. Sie stehen in der modernen Tradition eines Giörgy Ligeti, der auch für diese Instrumente komponierte. Sie sind überraschend und voller Witz, mal bluesig, dann wieder kakophonisch, und zwischendurch wirken sie wie das Pendant des „Hummelflugs“ für Drehleier oder wie die wild gewordenen Darsteller eines Flohzirkus. Das auf der Spieldose intonierte Schlaflied hingegen könnte entrückter nicht sein. Wenn an den leisen Stellen das Schaben der Kurbel durch den metallisch-hellen Klang dringt, denkt man, dass das Einschlafen früher doch schöner gewesen sein muss.



Die Musik von Gérman Díaz ist höchst artifizielle Kunstmusik, die sich – auf einem altehrwürdigen Instrument gespielt – verschiedener Epochen und Stile bedient. Dabei ist sie trotz ihrer Kunstfertigkeit kein bisschen akademisch, sondern sehr zugänglich und durchweg äußerst suggestiv.


Evelinn Trouble & Trespassers
Die Schweiz befindet sich in der Zeit der Fräuleinwunder: In letzter Zeit machen junge Musikerinnen von sich reden – Heidy Happy, Sophie Hunger und neuerdings Evelinn Trouble. Die 20-jährige ist auf dem Weg von Pippi Langstrumpf zur ernsthaften Musikerin weit fortgeschritten. Sie präsentiert sich frisch und ungestüm, ein bisschen frech und vor allem eigenständig. Ihre Songs bringt sie im kompakten Rock-Trio-Format mit ebenso jungen wie überzeugenden Begleitmusikern. An Vincent Glanzmann (Schlagzeug) und Simon Iten (Bass) kann sich die Sängerin und Gitarristin festhalten. Sie lässt sie während des Auftritts kaum aus den Augen. Trotzdem ist das Zusammenspiel nicht von Unsicherheit geprägt. Und wenn sie sich gehen lässt und ausgelassen tanzt, um sich in Stimmung für den nächsten Song zu bringen oder die Anspannung zu vergessen, weiß sie, dass sie sich auf die sich gelegentlich freudig zuschmunzelnden Kollegen voll und ganz verlassen kann.



Evelinn Trouble und ihre Trespassers sind sicher genug um für sich einzunehmen und gleichzeitig geben Unbekümmertheit und Intensität der Sängerin den Liedern Frische und – wo notwendig – Dringlichkeit. Evelinn Trouble ist keine versierte Gitarristin und sie bewegt sich oft an der Grenze ihrer gesanglichen Fähigkeiten. Es gelingt ihr scheinbar mühelos, das Manko zu einer Stärke zu machen, indem sie beispielsweise selbst humorige Lieder wie „Missing Piece“ (es geht um das fehlende Stück in einem Puzzle) verkörpert wie ein eindringliches Liebeslied. Nachdem sie die Songs ihres ersten, vor zwei Jahren erschienenen Albums (für das sie alle Instrumente selbst eingespielt hat) ins Rock-Trio-Format transponiert hat, darf man auf die weitere Entwicklung gespannt sein.
Nächste Konzerte: 30. Mai 2009, Düdingen (CH), Bad Bonn Kilbi; 19. Juni 2009, Luzern (CH), Südpol; 25. Juli 2009, Nyon (CH), Paléo Festival


Buika
Der überwältigende Applaus scheint sie ganz verlegen zu machen. Unbegründet ist er nicht. Denn es gibt nicht viele Stimmen, die so eigenwillig und charakteristisch sind wie die von Concha Buika. Und vor allem gibt es nur wenige derart ausdrucksstarke Sängerinnen, die ihre Lieder nicht nur singen, sondern derart ausdrucksvoll verkörpern, dass Freude und Leid auch dann fühlbar werden, wenn man die Texte nicht versteht. Die Liebe, so wie Buika sie verkörpert, kann einen erdrücken, den Zorn der energischen Sängerin möchte man nicht auf sich ziehen. Buika gilt als Flamenco-Sängerin, welche die traditionelle spanische Musik mit Einflüssen aus Jazz und Soul erneuert.



Live präsentiert sich Buika vor allem als außergewöhnliche Interpretin. Die Besetzung ist reduziert auf Stimme, Klavier und die Kistentrommel Cajón. So stehen das Lied und die Stimme im Vordergrund und weniger musikalische Genres. Flamencos werden allenfalls durch einige wenige Tanzschritte oder kurzes rhythmisches Klatschen angedeutet. Das schadet Vielfalt und Abwechslung nicht und sorgt gleichzeitig für ein kompakteres und konzentriertes Klangerlebnis.

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