Dienstag, 6. Februar 2007
Lügengeschichte
Eine hübsche These: Der Kapitalismus konnte sich nur deswegen gegen den Kommunismus durchsetzen, weil er Popkultur zulässt. Ob Popkultur gegen alle Ideologien funktioniert oder sich am Ende doch selbst frisst, wird die Zukunft zeigen.
Heute zeigt die alte Tante NZZ, dass sie ein Herz für die Jugend hat und lobt beinahe überschwenglich Stefan Maelcks tatsächlich vergnügliche Satire Pop essen Mauer auf als eine Lügengeschichte im besten Sinne des Wortes, die amüsant (ist), ohne sich doch im Amüsement zu erschöpfen und durch Witz und trockenen Humor frappiert.
Damit gehört die alte Tante NZZ zwar längst nicht zu den ersten, die das amüsante Buch entdeckt haben, glänzt aber durch die so gründliche wie eloquent vermittelte Analyse.

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Sonntag, 4. Februar 2007
Neue Volksmusik
Max Lässer und das Überlandorchester
Während in Afrika ganz selbstverständlich Volksmusik mit der E-Gitarre gespielt wird, macht man hier einen Bogen um die traditionellen Lieder. Entweder wird die Volksmusik „bewahrt“ - dabei wird ignoriert, dass Urheber und Interpreten dieser Musik selbst äußerst flexibel mit ihr umgegangen sind -, oder man verstümmelt sie zur volkstümlichen Musik und schmettert sie in Hofbräuhaus und Musikantenstadl. Die Geschichte der Volksmusik ist eine Geschichte der Unterdrückung.



Aber warum sollte man die Mazurka nicht mit der Strom-, den Walzer nicht mit der Lap-Steel-Gitarre spielen? Wieso nicht zwei Schlagzeuger hinter dem Hackbrett postieren oder mal ein Stück im 5/4-Takt statt immer nur im 3/4- oder 4/4-Takt spielen? Der vielseitige Gitarrist Max Lässer hat zum zweiten Mal sein Überlandorchester zusammengestellt, um die überlieferten Lieder auf neue Art zu interpretieren, sie mit anderen Einflüssen anzureichern und das bestehende, ohnehin schier unerschöpfliche Repertoire, mit neuen Liedern fortzuschreiben. Mit dabei sind der virtuose Schwyzerörgelispieler Markus Flückiger, die herausragende Sängerin Corin Curschellas, die auch eigene Stücke beisteuert, der Hackbrett-Spieler Töbi Tobler, der mit seinen Appenzeller Space Schöttl schon in den 1980er Jahren die musikalische Verkrustung der Volksmusik aufgebrochen hat, oder der fulminante Schlagzeuger Peter Keiser, der für Andreas Vollenweider genauso getrommelt hat wie für Nena, Gianna Nannini oder Pippo Pollina.



Der Volksmusikverband würde verbieten, was hier zweieinhalb berauschende Stunden in wechselnder Zusammensetzung geboten wird – immer bezaubernd, originell und meisterhaft. Der Trümpi-Spieler Anton Bruhin setzt seine Maultrommel gleichzeitig als Rhythmus- und Melodieinstrument ein (sein Zwiegespräch mit einem Human Beatboxer wäre ein neuer Höhepunkt) und Töbi Tobler scattet zum Hackbrett, mit dem er auch mal jazzige Zwischenrufe einwirft. Max Lässer lässt zwischen seinen feinen, klaren Melodien auch die akustische Gitarre rocken, während die Finger von Markus Flückiger in atemberaubender Geschwindigkeit über die Knöpfe seiner Harmonika flitzen. Peter Keiser, der zwischendurch wie ein buddhistischer Mönch percussioniert, und Kaspar Rast, der auch bei Nik Bärtsch Schlagzeug spielt, werfen sich die Rhythmen zu und steigern sich zum fulminanten Schaukampf zweier Schlagzeug-Generationen. Und immer wieder kommt Corin Curschellas auf die Bühne, singt und jubiliert.



Max Lässer hat auf der Basis der Schweizer Volksmusik neue, einzigartige Musik geschaffen – Weltmusik im besten Sinn des Wortes. Die Mitglieder des Überlandorchesters gehören zu den besten Schweizer Musikern - mit Verständnis für die Tradition, dem Bewusstsein, dass die Musik mit der Zeit gehen muss und dem Willen, sie einzigartig zu gestalten. Max Lässer und das Überlandorchester sind ein Erlebnis, das jedoch laut Konzertkalender den Schweizer Musikliebhabern vorbehalten bleibt und jenen, die in Grenznähe wohnen.

Gesehen: 3.2.2007, Altes Kino, Mels

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Samstag, 3. Februar 2007
The Affair - Yes Yes To You
Ja, die Stimme der Sängerin klingt wie die von Debbie Harry. Ja, The Affair spielen auch Wave und ja, sie machen es gut. Ihre Songs sind so gefällig wie die von Blondie und gelegentlich angenehm kantig. Nein, The Affair klingen trotzdem nicht altmodisch. Aber man könnte genauso gut die Wave-Originale hören.

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The Good, The Bad And The Queen
Album des Jahres? Nie und nimmer. Besser als die meisten anderen? Jederzeit.
Paul Simonon spielt den Bass so wie damals bei The Clash, Simon Tong ist das Filestückchen aus der Verve-Konkursmasse, Ex-Fela-Kuti-Schlagzeuger Tony Allen fällt nur deswegen auf, weil man ihn nicht in einer Popproduktion vermuten würde, und Damon Albarn hat zum Glück keinen Spaß mehr an Hochglanzproduktionen. Vielleicht wurde er auch vom Produzenten Danger Mouse zurückgehalten.
Entstanden sind eingägige Songs mit ein bisschen schräger Indiepop-Attitüde. Schon schön, speziell und originell.

Gehört: beim Schreiben

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Motherland mit Math Doly
Reinfall, dabei klang wirklich alles so gut: Motherland Calling From Abidjan lockte mit musikalischer Stadtführung, Show und DJSet aus Côte d'Ivoire in den Züricher Helsinki Klub.
Die Stadtführung war vor allem eine mit Musik untermalte, wie auf Bettlaken projizierte Diashow, durchsetzt mit Schnipsel aus Fussballspielen und Videos, die wohl als Musikvideos gemeint waren, zu denen jedoch andere Musik lief.
Immerhin stimmte das vorzüglich auf den Hauptakteur des Abends ein: Math Doly konnte sich mit Mühe für drei Songs auf der Bühne halten - so zugedröhnt, dass bereits bei der ersten Strophe klar war, dass er nur dank Voll-Playback die gänzlich würdelose Show übersteht.
Glücklicherweise hatte der folgende DJ weder ein Gespür für Übergänge, noch eines für Musikdramaturgie. Der Abend setzte sich rasch im benachbarten Restaurant fort. Und endete so noch äusserst erfreulich ...

Gesehen: 2.2.2007, Helsinki Klub, Zürich

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Donnerstag, 1. Februar 2007
Duke Ellington - At The Piano
Wo soll Duke Ellington sonst sein, wenn nicht am Piano. So mässig originell der Titel, so angenehm die Zusammenstellung, bei der nicht die Hits im Vordergrund stehen, aber alle Facetten seiner Arbeit: vom Solopiano über diverse kleine Formationen bis zur Bigband. Doch auch die bläst einen nicht weg, sondern swingt so entspannt und zurückhaltend wie Billy Holiday sang. Das beruhigt die Seele und bringt Glanz in die Lotterbude.

Gehört: beim Arbeiten, Räumen, Spülen ...

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The Brand New Heavies - Get Used To It
Was ich über Get Used To It von den Brand New Heavies gelesen habe, wusste ich längst nicht mehr, als ich es heute morgen in den Player schob. Mit Indierock auf Touren kommen, dachte ich noch, als der grobe, funkige Beat und eine soulpoppig-glatte Stimme einsetzte. Es geht wunderbar soulig weiter, um von Pop mit schwerfälligem Rhythmus, der - wie andere Songs auch - die Disco-Ära anklingen lässt, abgelöst zu werden. Streicher, Bläser, wohlige Chorusse, relaxte Orgel, ein bisschen Gedubbtes und WahWah-Gitarre – und ganz viel Funk. Schöne Mischung eigentlich.

Gehört: auf dem Weg in den Tag – der mir rasch zeigt, dass ich die Brand New Heavies schon seit Jahren kenne: Shelter, schon 1997 erschienen, steht seitdem im Regal. Schande?

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Schöne Überraschung
Beim Abschiedsfest lernt man seine Kollegen kennen. Einer, dessen Profession so gar nicht zur Kunst passt, hat den in der Schweiz lebenden Cantautore Pippo Pollina engagiert. Er war nicht nur ohnehin gerade in der Gegend, sondern passte auch vorzüglich zum sizilianischen Motto des Abends.
Schlichte midtempo Songs, hübsche Tamburineinlage, charmant trotz mittelprächtiger Akustik, was dem Veranstaltungsort Restaurant geschuldete war. Hätte Pippo Pollina zwischen den Liedern nicht in charmant gebrochenem Deutsch erzählt, wäre der eigentlich kurze und an und für sich unspektakuläre Auftritt langweilig geworden - zu gleichförmig hat er seine Songs begleitet.
Demnächst sei er mit Konstantin Wecker unterwegs, mit dem er schon vor mehr als zehn Jahren zusammengearbeitet hat. Das könnte interessant werden.

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Dienstag, 30. Januar 2007
Weltmusik
Der Begriff ist durchaus diskreditiert, doch das liegt durchaus nicht an vielen schlechten Veröffentlichungen, sondern auch an Vorurteilen, die hier geradezu beispielhaft demonstriert wird.

Ich habe den Begriff - nicht wegen dem genannten Beispiel Vollenweider, sondern wegen viel schlimmerer musikalischer Ergüsse - lange nicht gemocht und stattdessen beispielsweise von ethnischer oder traditioneller Musikverwendet. Mittlerweile spreche ich wieder von Weltmusik. In der Regel verstehen meine Gesprächspartner sofort, was gemeint ist. Und eventuelle Erläuterungen beziehen sich nicht mehr auf den Begriff, sondern gehen gleich einen Schritt weiter.

Ich bin dafür, den Begriff Weltmusik zu rehabilitieren - unabhängig davon, dass unter diesem Label auch zweifelhafte Ergebnisse veröffentlicht werden. Die Zusammenarbeit von Nusrat Fateh Ali Khan mit Michael Brook wäre das künstlerische Gegenbeispiel, Paul Simons Graceland das poppige Pendant. Viele Arbeiten von Bill Laswell, Lisa Gerrard oder Salif Keita sind ebenso gehaltvoll wie die Musik von Christy Doran und Boris Salchak, von Mari Boine, Max Lässer, dem Gotan Project oder von Youssou N'Dour, der nicht nur mit der Pop-Variante, sondern zuletzt auch mit panafrikanischer Weltmusik brillierte.

Weltmusik ist ein Etikett, das auf gute wie schlechte Musik passt. Genau wie Jazz, Chanson, Schlager oder Pop. Sprechen wir doch einfach von Weltmusik, hören die exzellenten Beispiele und nehmen diese als Referenz, wenn wir davon sprechen. So machen wir es bei den anderen Genres auch. Und wer findet, dass Ritualgesänge über Synthesizer-Gewaber auch Musik sei, ist ohnehin kein adäquater Gesprächspartner.

Kleiner Nachtrag: Hier geht die Diskussion weiter.

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