Freitag, 9. November 2007
Auf den Spuren von Hildegard Knef
Einstürzende Neubauten - Alles wieder offen
Da sind sie wieder, die hellen, metallenen Töne der Rhythmusinstrumente, der wuchtig grummelnde Bass, der wohlig klingende Sprechgesang - und die kryptischen, verschrobenen Texte von Blixa Bargeld: Ich hatte ein Wort / ein langes, selbstgezimmertes wie eine Rinne, mit Rädern, singt er und schickt dem Refrain ein langes, schlagerhaftes Didididididididididididididi hinterher. Kaum jemand, der sich mit so etwas nicht disqualifizieren würde - nicht so die Einstürzenden Neubauten, die ausgerechnet über das Dididi... noch eine sehnsüchtige, an Lee Marvins Wand'rin' Star erinnernde und trotzdem nicht kitschige Mundharmonikamelodie legen.

Die Methode, nach der Blixa Bargelds Texte funktionieren, ist oft gleich und alles andere als neu. Ich hatte ein Wort folgt dem Prinzip des Hits Tapetenwechsel von Hildegard Knef, die wie Bargeld dem Sprechgesang frönte und der auch sein ernsthaft dargebotenes Dididi... gut gestanden hätte.
Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Hildegard Knef war wohl kaum eine Inspiration für Blixa Bargeld. Und dem Gemeinsamen steht das Trennende nur zu groß gegenüber: Hildegard Knef thematisiert mit ihrem Lied "Tapetenwechsel" reale Ausbruchsphantasien und hilft, sie zu ersetzen. Vermutlich hat ihr Lied mehr Leute darüber hinweggetröstet, dass sie nicht wirklich ausbrechen können, als sie damit zum Ausbrechen aus ihren Lebenszwängen animiert hat. Blixa Bargelds Ich hatte ein Wort ist aber von sich aus weder Surrogat noch Ermutigung. Es ist die Geschichte einer Person, die ein Wort hatte, ein eigenartiges, mit unterschiedlichen Gestalten, an das sich diese Person nur vage erinnern kann und das sie am Ende findet. Welches Wort er sich da gezimmert hat, das verrät er nicht - es ist auch nicht wichtig.

Die Einstürzenden Neubauten sind längst milde geworden, die sie früher kennzeichnende Aggressivität taucht höchstens in Spurenelementen auf und Blixa Bargeld gefällt sich in der Rolle des weisen Betrachters, der aus seiner Klause auf eine friedliche Landschaft schaut (Nagorny Karabach). Doch abgesehen von wenigen abgegriffenen Wendungen sitzen seine Texte wie angegossen, und die Musik - so melodiös wie früher, als man ihre Melodiosität kaum bemerken wollte - vereint sich mit den Worten wie immer einzigartig.

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