Sonntag, 2. Juli 2017
Auf Augenhöhe mit Legenden


Candelilla im Vorprogramm der Fehlfarben in den Münchner Kammerspielen, 30. Juni 2017.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 1. Mai 2017
In wohligen Tönen versinken
Quadro Nuevo im Freudenhaus (am 27.04.2017) in Lustenau, A)
Das Münchner Weltmusik-Quartett amalgamiert die unterschiedlichsten musikalischen Einflüsse – und spielt sein Publikum damit in Trance.



«Flying Carpet» heißt das neue Album des Münchner Weltmusik-Quartetts – und sie haben ihn tatsächlich mitgebracht: Was da auf der Bühne liege, sei zwar in Tat und Wahrheit nur ein gewöhnlicher Teppich, gesteht Gruppensprecher Mulo Francel. Aber man solle sich bitte trotzdem darauf niederlassen, vielleicht würde man ja doch mit der Musik abheben.

Zum Abheben, wie es der fliegende Teppich suggeriert, eignet sich die Musik des Quadro Nuevo weniger. Ihre vor allem ruhigen Kompositionen mit gelegentlich schwelgerischen Passagen umgarnen, bringen zur Ruhe und lassen einen in den wohligen Tönen versinken. Und wohlig bleiben die Melodien und Arrangements eigenartigerweise auch bei den furiosen Perkussionseinlagen von Dietmar Lowka oder wenn sich Mulo Francel und Andreas Hinterseher zu einem ihrer eloquenten Soli aufschwingen.
Mulo Francel steuert mit Saxofonen und Klarinetten unterschiedliche Klangfarben bei, Andreas Hinterseher mit Akkordeon und Vibrandoneon, und wenn Dietmar Lowka vom wahlweise gezupft und gestrichenen Bass zu Dombak und – von ihm nur als Basstrommel eingesetzten – Daf wechselt, übernimmt Evelyn Huber mit der Harfe die tiefen Töne.



Das Quartett ist weit gereist, spielte mit Tango-Musikern in Argentinien und jüngst mit Musikern in Kairo, und amalgamiert dabei fremde Traditionen zu einem eigenen Stil. Da folgen Walzer- und Musette-Klänge auf eine melancholisch-elegische orientalische Melodie, und das Harfen-Glissando vereint sich mit Trommelrhythmen – eine Mischung, in der auch das Fremde anheimelnd vertraut wirkt.

Auch wenn der Teppich am Bühnenrand nicht abgehoben ist und die Zuhörer auf den Stühlen geblieben sind – sie haben sich trotzdem in anderen Sphären vergnügt, und zwar sehr.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 20. März 2017
Ohrwürmer jenseits des Mainstreams
Garish im Spielboden, Dornbirn (A)
«Vergesst das Morgen», fordert Falco in seinem hedonistischen «Junge Römer», auch wenn er darauf anspielt, dass am nächsten Tag die Rechnung folgen wird. Der schillernde Musiker hat den Song mit großem Orchester eingespielt. Garish bringen als Zugabe ihres frenetisch umjubelten Konzerts die Lagerfeuer-Version. Ihre zehn Jahre alte, nachdenkliche Interpretation des Liedes, das die diesem innewohnende Katerstimmung nach dem Fest betont, ist bezeichnend. So selbstbewusst Falco aufgetreten ist, so zurückhaltend geben sich Garish. Falcos exaltierter Virilität steht die gefühlvolle Inbrunst gegenüber, die zumindest Sänger Thomas Jarmer gelegentlich zelebriert. Der Rest der Truppe gibt den stillen Handwerker.



In den letzten Jahren hat sich das Quartett ein stimmiges Œuvre geschaffen, in das sich die Lieder des neuen Albums «Komm schwarzer Kater» nahtlos einfügen. Indem viele ihrer Melodien mit extrem langgezogenen Silben und Vokalen angereichert sind, haben Garish trotzdem ihr eigenes Klangbild entwickelt. Der Ohrwurmcharakter ihrer Songs liegt ebenso jenseits des Mainstreams wie ihre Texte. Dass sie virtuose Anstrengungen durchweg vermeiden, hilft ihnen auf der Bühne. Und dass sie mit ihrem ausgiebig eingesetzten Chorgesang den Beachboys nicht das Wasser reichen können, sähe man ihnen noch lieber nach, wenn das redliche Bemühen nach Abwechslung etwas fruchtbringender wäre.
Doch auf der Bühne gehen oft die Zwischentöne verloren. Dann bleiben melancholische Songs immer wieder blass, während die forschen Stücke rasch stampfig werden. Da ist es von Vorteil, dass Garish neben den Liedern des vor kurzem erschienenen Albums (etwa «Pandoras Box & ein Getränk», «Matador», «Apollo», «Menschenfresserwalzer») auch auf bereits bewährte wie «Eisenherz» und «Auf den Dächern» setzten. Und, oh lala, mit der Wucht und dem Pathos von «Paris», das auch zwei Tage danach noch in den Ohren saust, heizen sie die Stimmung noch einmal auf, bevor sie das ihnen ergebene Publikum mit ihrer introvertierten Version von «Junge Römer» an das drohende Ende der euphorischen Nacht erinnern.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 19. Juni 2016
Falsch besetzt
Danças Ocultas & Dom La Nena im Freudenhaus, Lustenau (A)
Es muss Liebe sein. Anders ist nicht zu erklären, dass eine hochgradig originelle Gruppe wie Danças Ocultas die Bühne mit einer Musikerin teilt, die ihre Musik schwächt. Dom La Nena, wie sich die Mittzwanzigerin Dominique Pinto nennt, ist nicht mehr als ein billiger Abklatsch ihrer polnisch-amerikanischen Kollegin Ashia Grzesik aka Ashia Bison Rouge.
Wie diese – wenn auch weit weniger originell – schichtet Pinto geloopte Cello-Sequenzen übereinander. Diese sind das Gerüst für ihre simplen Lieder. Doch während Ashia über eine ausdrucksstarke Stimme und Songwriting-Talent verfügt, bleibt bei Dominique Pinto hauptsächlich die Lichterkette in Erinnerung, mit der sie ihre Ukelele illuminiert, zu der sie für einige Solo-Stücke wechselt. Dass ihr damit sogar eine berührende Interpretation eines von einem Landsmann geschriebenen Liebeslieds gelingt, tröstet nicht über den Rest ihres Auftritts hinweg. Sie agiert auf dem Niveau eines Bierzeltunterhalters – was eine hochkarätige Kammermusik-Soiree alles andere als aufwertet.



Das Cello mag eine nette Klangfarbe sein, doch so unoriginell, wie es Dom La Nena spielt, bleibt es effektlos. Und ihren Gesang braucht die Musik der Danças Ocultas zumindest solange nicht, solange dieser an Eigenständigkeit und Originalität meilenweit hinterherhinkt.
Wenn Dom La Nena gemeinsam mit den Danças Ocultas spielt, scheint das die ganze Gruppe zu hemmen. Die vier Akkordeonisten spielen dann wie mit angezogener Handbremse. Dagegen legen sie wie gewohnt los – mal verschmitzt, oft verspielt und immer wieder opulent und mit einem wuchtigen Bass unterlegt –, wenn der Hemmschuh weg ist. Wenn Dom La Nena die Bühne verlässt, wirkt das wie ein Wetterwechsel. Dann bricht zwischen trüben Wolken die Sonne durch und lässt die Landschaft leuchten. Doch diese nicht nur gefühlt viel zu kurze Zeit reicht nicht aus, um die dunklen Wolken der Erinnerung zu vertreiben. Dabei spielen Danças Ocultas durchweg makellos, und ihre nach wie vor eigenständige und eigenwillige Mischung mit Zitaten aus Tango und Volksmusik hat auch nach mehr als 25 Jahren nichts von ihrem Reiz eingebüßt. Ihre Eigenkompositionen sind originell, die Interpretationen von Stücken anderer Komponisten eigenständig. Sie faszinieren mit lyrischen Passagen, setzen gekonnt auch mal nur den mit dem Balg erzeugten Luftstrom in Szene und brausen immer wieder orchestral auf. Hätten die vier doch nur Carminho mitgebracht, mit der sie demnächst Live-Aufnahmen veröffentlichen. Mit ihr hätten sie wahrscheinlich sogar den Regen vertrieben, der während des Konzerts den halben Vorplatz unter Wasser gesetzt hat.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 5. Juni 2016
Hauptsache, es knallt
Imarhan, 27.5.2016, Palace, St. Gallen (CH)
Beim Auftritt der Tuareg-Band aus Algerien bleibt nicht nur das Gefühl auf der Strecke, auch mit ihren forcierteren Stücken verspielen sie die Chance, sich differenziert und originell darzustellen.

Die Bekleidung der Tuareg – das weite, knöchellange Gewand und der in der Art eines Turbans gewickelten Gesichtsschleier – ist zweifellos prächtig und weckt bei vielen das Gefühl von 1000 und einer Nacht, von der Freiheit des nomadischen Lebens und vielleicht auch von Abenteuer. Auf der Bühne ist das vermeintliche Zeichen von Authentizität eigentlich nicht mehr als ein stimmungsvolles und daher keineswegs zwingend notwendiges Accessoire. Trotzdem präsentieren sich (nord)afrikanische Gruppen ebenso gerne folkloristisch wie bayerische Volksmusikgruppen. Daher ist es überaus angenehm, dass Imarhan mit dieser Regel – von einer kleinen Ausnahme abgesehen – brechen. Sie gehen im Outfit des Durchschnittsmenschen auf die Bühne, um ihre Musik sprechen zu lassen.
Bei den forcierten, etwas schnelleren Stücken geht das wenigstens halbwegs gut. Doch sobald das Quintett die Zügel anzieht, zerstört die zu hoch ausgesteuerte Rhythmus-Sektion jeglichen Versuch des gefühlvollen Spiels. Dann stört es noch viel mehr, dass der Bass übersteuert ist und dass jeder Schlag auf die Kalebasse wirkt, als ob man in Plastiktonne sitzt, die mit dem Schlegel bearbeitet wird.
Die Rechnung von Imarhan, die Musik für den Tanzboden einfach ein wenig knalliger zu machen, geht nicht auf. Denn dabei bleiben nicht nur die verhaltenen Stücke auf der Strecke. Auch den anderen wird der eigene Charakter abgeschliffen, übrig bleibt bloß noch eine durchschnittliche Tuareg-Band. Dafür hätten die Algerier nicht auf Folklore verzichten müssen – und wären immerhin prächtig anzusehen gewesen.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 16. April 2016
Wiegenlieder zum Wachbleiben
Trio Da Kali, 9.4.2016, Spielboden, Dornbirn (A)
Bereits nach wenigen Takten fühle ich mich nach Ségou in Mali versetzt – einer der entspanntesten Orte, an denen ich jemals gewesen bin. Draußen flirrt die Hitze, im schattigen Innenhof legt sich die zwischen träge und gemütlich plätschernde Musik wie ein kühlender Kokon um die matt plaudernde Gesellschaft. Es ist keine aufgeregte Feststimmung, die das Trio Da Kali verbreitet, nichts erinnert an eine ausgelassene Hochzeitsgesellschaft oder an die aufgekratzten Besucher eines Dorffestes, zu denen der angesehenste Griot der Region in oft suggestiv-monotonem Singsang die Genealogie der Gemeinschaft repetiert und die hohen Würdenträger preist.



Auch das Trio Da Kali beruft sich auf die Herkunft seiner Mitglieder – allesamt entstammen sie Griot-Familien. Und Sängerin Hawa Kasse Mady Diabaté, Tochter des mit der Gruppe Afrocubism Grammy-nominierten Sängers Kasse Mady Diabaté, soll ihr Geld nach wie vor überwiegend mit Auftritten auf Hochzeiten verdienen. Für den Balafon-Spieler Lassana Diabaté ist das nicht mehr denkbar. Er spielte neben Afrocubism in Toumani Diabatés Symmetric Orchestra und tourt mit verschiedenen Formationen durch die Welt.

Als Abkömmlinge von Griots möchte das Trio Da Kali die Tradition erhalten und weitergeben. Ihr Verhältnis dazu erklären sie nicht, aber es wird in ihrer Musik deutlich. Das Trio Da Kali strebt ganz offensichtlich nicht danach, die Asche zu hüten. Sie wollen das Feuer weitergeben und verschließen sich keineswegs modernen Einflüssen. Das erstaunt nicht. Denn Lassana Diabaté und Mamadou Kouyaté spielen seit Jahren in innovativen, modernen Gruppen.

Der gleichermaßen gefühlvolle wie virtuose Lassana Diabaté begeistert immer wieder mit jazzigen Einwürfen. Und der Hinweis, dass die von Mamadou Kouyaté gespielte Kurzhalslaute Ngoni seit fast zweitausend Jahren gespielt wird, verdeckt die zeitgenössische Komponente. Die Bass-Ngoni, die er spielt, ist eine noch recht junge Weiterentwicklung seines Vaters Basseko Kouyaté. Demnach hat sie in konservativ-traditioneller Musik gar keinen Platz. Mamadou Kouyaté gelingt es jedoch nicht, sich prägend einzubringen. Oft spielt er die Melodielinie eine Oktave tiefer, gelegentlich lässt er in Rock-Manier die Saiten gegen das Griffbrett schnalzen, und in seinen Soli variiert er meist nur seine Begleitung.

Die meisten Stücke des Trios haben den Charakter von Wiegenliedern. Sie sind jedoch oft rhythmisch reizvoll und daher alles andere als einschläfernd. Daher wäre es gar nicht notwendig, den Auftritt mit einem Mitsing-Spiel zu beenden – das noch dazu das Publikum mit einer einfältigen Ohrwurm-Melodie nach Hause schickt, die die anheimelnde Stimmung völlig übertüncht.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 8. März 2016
Unverwüstlich
The John Spencer Blues Explosion in der Roten Fabrik in Zürich (CH)
Das unverwüstliche Trio spielt groß auf, sein zeitloses Konzept verfängt auch nach 25 Jahren.

«Ladies and gentlemen, the Blues Explosion», verkündet Jon Spencer wiederholt zwischen den Stücken. Obwohl er sicher sein kann, dass jeder im Saal weiß, wer hier den Bulldozer mit veredeltem Trash durch die Menge schiebt, gibt er den altmodischen Entertainer. Das ist durchaus passend zu einer Musik, die bereits aus der Zeit gefallen scheint. Doch vielleicht zeigt gerade das, wie zeitlos The Jon Spencer Blues Explosion ist. Und auch wenn die Besetzung – zwei Gitarren und Schlagzeug – längst nicht mehr neu ist, fragt man sich einmal mehr, wofür andere Trios einen Bassisten brauchen.



The Jon Spencer Blues Explosion stehen kompakt auf der Bühne und lassen einen guten Teil der Fläche ungenutzt – fast so, als ob sie sich spüren müssten. Tatsächlich scheinen sie sich praktisch blind zu verstehen. Doch der gedrängte Aufbau versinnbildlicht, dass bei JSBE nichts ausfranzt, dass die Songs ungemein dicht sind und straight ins Publikum gerotzt werden. JSBE prügeln unerbittlich mit dem Rockbrett, knurren den Blues, zitieren Sprechgesang und zeigen in einer ganz kurzen Anspielung, dass sie auch schon atonaler unterwegs waren als jetzt.
Das alles kommt wie eh und je direkt aus der Gosse – ramschige Fundstücke, die Jon Spencer, Judah Bauer und Russell Simins neu sortieren, zu Edeltrash aufhübschen und wuchtig in die Welt hinausdonnern. Im Hintergrund flimmern Filmausschnitte mit Aliens, Zombies und Dracula, tanzen Gogo-Girls und schüttelt ein Skelett rhythmisch seine Knochen. Auch das ist von gestern – und verfehlt seine Wirkung trotzdem nicht. Es fügt sich stimmig in die 'anything goes'-Haltung, die JSBE mit ihrer Musik zelebrieren.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 28. Februar 2016
Apocalypse im Palace
Wie ein Gewitter ziehen die Nerven durch die kalte Februarnacht. Nach einer berauschten Stunde ist die Luft wieder klar.

Die Bassdrum knochentrocken, hart und düster die Gitarre, einzig der Bass sorgt immer wieder für einen schummrig warmen Lichtstrahl in der Finsternis. Die Nerven präsentieren sich wie ein Schwarzweissbild, das Anton Corbijn in einem heruntergekommenen Londoner Vorort geschossen hat – grobkörnig, verwischt und trotzdem eigenartig deutlich.

Das Trio reiht seine Stücke fast nahtlos aneinander und entwickelt so einen mitreissenden Sog. Der bleibt jedoch auch dann gut akzentuiert, wenn Die Nerven ihre brachialen Klänge zu einem fürchterlichen Grollen ausbauen, das wie ein Soundtrack zu einem Endzeitfilm wirkt.

Es ist zwar weder neu, die Songs Live wesentlich härter zu bringen als auf dem Album, noch sind die Nerven die Ersten, die einen Auftritt mit Rückkoppelungs-Gewitter beenden. Das bleibt, obwohl sie es etwas überdehnen, trotzdem gewaltig. Dass das Gegenstück – die Musik zum 'piano pianissimo' auf das leise Surren aus den Lautsprechern zu reduzieren – nicht funktioniert, ist hingegen nicht der Band anzulasten. Denn obwohl Sänger und Gitarrist Max Rieger mit eindeutigen Gesten um Stille bittet – zerredet das Publikum im St. Gallener Palace die Sequenz, die ein magischer Moment hätte werden können.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 2. Juli 2015
Nur noch Kunst
Die Einstürzenden Neubauten sind noch immer kraftvoll und begeisternd
Welch ein Unterschied: Im ersten Stock sieht man den schlaksigen, jungen Blixa Bargeld in einer frühen, zügellos-wilden Performance. Wenig später steht der ehemalige Punk als stattlicher Grandseigneur auf der Bühne im Haus der Kunst. In den schwarzen Dreiteiler glitzernde Fäden eingewoben – schon seit Jahren tritt er auf, als ob er Brian Ferry als Beau beerben wolle – deklamiert Blixa Bargeld seine oft phantastischen Gedichte, hinter sich die Maschinerie aus selbstgebauten Instrumenten für den fulminanten Höllenlärm. Die Eruptionen sind längst nicht mehr spontan, doch auch wohlstrukturiert sind sie von mitreißender Wucht.

Das unter dem Label «Greatest Hits» firmierende Konzert findet im Rahmen der Ausstellung «Geniale Dilletanten» statt, die an die künstlerische Aufbruchstimmung der Achtzigerjahre erinnert. Doch auch wenn Blixa Bargeld in einer seiner wenigen, kurzen Moderationen an die Anfänge erinnert, ist der Auftritt kein sehnsuchtsvoller Rückblick auf die «guten alten Tage». Das Set mit Kompositionen wie «Susej», «Halber Mensch», «Nagorny Karabach» und mehr als zwei Dutzend weiteren zeitlosen Stücken ist der kraftvolle Beweis für die Zeitlosigkeit der Texte von Blixa Bargeld und die anhaltende Originalität, mit der die Einstürzenden Neubauten ihr musikalisches Konzept weiterentwickeln und umsetzen.

Dass sie gefühl- und gleichzeitig kraftvoll sein können, beweisen die Einstürzenden Neubauten gleich mit dem Auftakt («The Garden»). Ihre verschmitzt-verspielte Seite, die nicht so oft zum Tragen kommt, zeigen sie bei «Sabrina», das Blixa Bargeld auch für Marianne Faithful geschrieben haben könnte. In diesem Song lässt er mit dem Akkuschrauber eine Schallplatte rotieren, die er über einen mit einem Stift versehenen Becher, der gleichzeitig Abtaster und Schalltrichter ist, hörbar macht. Solche Einlagen mögen wie ein Gag wirken. Doch egal ob N.U. Unruh eine Rettungsdecke knistern lässt oder auf Plastikrohre aus dem Baumarkt klöppelt –Instrument und Geräuschmaterial werden nicht des Effekts wegen eingesetzt, es geht immer um den Klang.

Die Einstürzenden Neubauten haben sich rasch von chaotischen Lärmerzeugern zu Erbauern von Klangskulpturen gewandelt, die immer wieder die enorme Fallhöhe zwischen den poetisch-melodischen Klängen und infernalischen Lärmkaskaden auskosten. Das gelingt ihnen auch live durchweg eindrücklich.
Zwei Stunden toben sie sich aus: Unruh und Moser dreschen auf Fässer, Rohre und Metallfedern, Hacke berserkert am Bass und Blixa Bargeld kann immer noch kreischen wie eine gewürgte Katze. Früher war das von existenzieller Dringlichkeit, heute ist es 'nur' noch Kunst
– und Blixa Bargeld säuft mit dem Publikum nicht mehr wie früher weiter, sondern schickt es mit einem gönnerhaften Lächeln und Kusshand nach Hause.

Das Konzert fand am 27.6.2015 im Haus der Kunst in München statt.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 31. Mai 2014
Noch immer eindrucksvoll
Huun-Huur-Tu im Tak in Schaan (FL)
Es würde nicht verwundern, zu hören, dass man Huun-Huur-Tu in ihrer Heimat, dem sibirischen Tuwa, Tümelei und Rückwärtsgewandtheit vorwirft. Die Lieder des Quartetts – egal ob überlieferte oder selbstkomponierte – drehen sich vor allem um Pferde und die Liebe, dann um die Liebe und die Pferde und danach noch um Heimat, um die Tradition und um die Macht der Natur.



Dass sie einen musikalisch ungewöhnlichen Ansatz verfolgen, wissen nur Eingeweihte. Huun-Huur-Tu bringen den üblicherweise solo gesungenen Kehlkopfgesang im Bandkontext, mit traditionellen Instrumenten wie der Igil (eine zweiseitige Pferdekopfgeige), der ebenfalls mit dem Bogen gestrichenen Byzaanchi, der Holzflöte Shoor oder dem Banjo-ähnlichen dreiseitigen Zupfinstrument Doshpuluur. Und auch das ist nicht mehr neu – allerdings dank Huun-Huur-Tu, sie machen diese Art Musik seit ihrer Gründung vor gut zwanzig Jahren.

Dennoch besticht ihre Musik auch heute noch. Dabei ist es egal ob sie ihre langgezogenen, von gutturalen Klängen bestimmten Lieder singen, ob sie gefälligere Melodien im Galopp durch den Saal treiben oder ob sie düster-atmosphärische Stücke wie das an der Grenze zum Psychedelischen liegende "Orphan's Lament" intonieren. Das Quartett erhält die Spannung nicht nur durch den Wechsel zwischen langsamen und treibenden Stücken aufrecht, sondern variiert auch die Klangfarben, indem es die unterschiedlichen Stimmen – jeder Musiker singt nicht nur im Chor, sondern übernimmt immer wieder die Leadstimme – beziehungsweise Arten des Obertons in den Vordergrund stellt. Der Ansatz, im zweiten Teil des Konzerts die Klangfarbe mit einer klassischen Gitarre zu erweitern, fällt größtenteils der Technik zum Opfer: Die sanft gezupfte Gitarre ist kaum zu hören.
Doch auch dermaßen unfreiwillig reduziert überzeugen Huun-Huur-Tu. Der unterschwelligen Kraft ihrer Musik kann auch mangelhafte Abmischung nicht viel anhaben.

Nächstes Konzert: 4.7.2014, Montafoner Sommer, Schruns (A)

... link (0 Kommentare)   ... comment