Montag, 5. April 2010
Plädoyer für eine unterschätzte Kulturtechnik
Kathrin Passig und Aleks Scholz propagieren das Verirren
Kathrin Passig und Aleks Scholz propagieren das Verirren
thenoise, 14:17h
Man kann leicht provozieren, indem man das Gegenteil von dem propagiert, was als allgemeingültig anerkannt ist. Kathrin Passig beherrscht dieses Prinzip. Vor zwei Jahren hat sie gemeinsam mit Sascha Lobo ein Buch veröffentlicht, das der Prokrastination huldigt. Prokrastination ist die Kunst des Aufschiebens, von den meisten Menschen eher als Krankheit empfunden. Während alle Welt findet, man müsse noch besser organisiert sein, man müsse alles Anfallende sofort erledigen, zelebrieren die beiden Autoren genüsslich die Vorteile des Unperfekten. Jetzt legt Kathrin Passig – auf einem anderen Gebiet und mit einem anderen Partner – nach: Mit einer Anleitung zum Verirren. Das klingt, nicht nur im Zeitalter von GPS und Navigationsgeräten mit dreidimensionalen Bildern paradox.
Warum aber sollte sich jemand mit dem Verirren auseinandersetzen, wenn er nicht gerade eine Wüstendurchquerung plant oder auf Händen zum Südpol möchte? Die Autoren verraten es erst am Ende ihres durchweg vergnüglich zu lesenden Buches.
Insgeheim geht es beim Verirren, so schreiben die Autoren, um Grundfragen der Wissenschaft, um Problemlösungsstrategien, um Einsichten in Erkenntnisprozesse. Welche Einflüsse tragen dazu bei, im Menschen Ideen entstehen zu lassen, richtige wie falsche? Auf welcher Grundlage können wir beurteilen, ob uns diese Ideen ans Ziel führen? Wie ist es möglich, den Überblick darüber zu behalten, was man weiß und vor allem: was man nicht weiß? Kann derselbe verwirte Kopf, der einen Fehler gemacht hat, diesen Fehler erkennen und sich quasi an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen? In ihrem Wesen verhalten sich Verirrte und Wissenschaftler ähnlich – was damit zu tun hat, dass Menschen zur Problemlösung ähnliche Methoden einsetzen, egal, in welcher Form sich die Probleme stellen.
Das Buch ist eine Mischung aus Geschichten ums Verirren und Erkenntnissen. An unterschiedlichen Berichten von Menschen, die sich verirrt haben und wieder gerettet wurden, zeigen die Autoren beispielhaft, worauf es ankommt. Als Beispiele dienen die Geschichten von unachtsamen Menschen, die mit ihrem Auto im Schnee stecken bleiben und fatale Fehler machen genauso wie Expeditionsberichte, etwa den von Hans Bertram und Adolf Klausmann. Die beiden Deutschen wollten mit ihrem Wasserflugzeug «Atlantis» von Deutschland nach Australien fliegen. Nachdem sie auf ihrer letzten Etappe, einem Nachtflug, durch ein Gewitter vom Kurs abkamen, mussten sie auf einer einsamen Insel notlanden und erst nach rund 40 Tagen zufällig gefunden werden.
Auch wenn es komisch klingt. Das Buch «Verirren» ist alltagstauglich – aus mehreren Gründen. Man erfährt einiges über das Verhalten von Menschen, von denen manche die eigene Einschätzung bestätigen werden. Zum Beispiel, dass Männer weniger gut zugeben können, sich verirrt zu haben als Frauen, und dass sie dementsprechend lieber länger herumirren, als jemanden nach dem Weg zu fragen. Wer selbst gerne in unberührten Gegenden unterwegs ist, wird sein Augenmerk eher auf Hinweise zu Gefahr und Risikobewusstsein beherzigen und bedenken, dass die heutige Ausrüstung nicht zwangsläufig mehr Sicherheit bedeutet – sie verlockt eher zu riskanterem Verhalten. Risikoforscher schätzen, dass der Mensch bereit ist, bei freiwilligen Tätigkeiten wie Skifahren, Klettern oder Bergsteigen ein etwa tausend mal höheres Risiko zu akzeptieren als in Situationen, auf die er keinen Einfluss hat. Neben solchen durchaus nützlichen Informationen, die auch dazu anregen, das eigene Verhalten zu hinterfragen, erfährt man beispielsweise auch Wissenswertes, auf das man nicht so ohne weiteres stößt, etwa wie sich die polynesischen Seefahrer mit ihren Auslegerkanus in einem Gebiet orientiert haben, das 50 Millionen Quadratkilometer umfasst. Eine Fertigkeit übrigens, die – selbst wenn sie nicht im Lehrplan der Grundschule auftaucht – auch heute noch gelehrt wird.
Nicht zuletzt sitzt dem Autorenduo durchweg der Schalk im Nacken. Kathrin Passig und Aleks Scholz sind ständig zu einem Späßchen aufgelegt, und durch das ganze Werk zieht sich ein angenehm ironischer Ton. Beides trägt dazu bei, das Buch vergnüglich und lesenswert zu machen.
Warum aber sollte sich jemand mit dem Verirren auseinandersetzen, wenn er nicht gerade eine Wüstendurchquerung plant oder auf Händen zum Südpol möchte? Die Autoren verraten es erst am Ende ihres durchweg vergnüglich zu lesenden Buches.
Insgeheim geht es beim Verirren, so schreiben die Autoren, um Grundfragen der Wissenschaft, um Problemlösungsstrategien, um Einsichten in Erkenntnisprozesse. Welche Einflüsse tragen dazu bei, im Menschen Ideen entstehen zu lassen, richtige wie falsche? Auf welcher Grundlage können wir beurteilen, ob uns diese Ideen ans Ziel führen? Wie ist es möglich, den Überblick darüber zu behalten, was man weiß und vor allem: was man nicht weiß? Kann derselbe verwirte Kopf, der einen Fehler gemacht hat, diesen Fehler erkennen und sich quasi an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen? In ihrem Wesen verhalten sich Verirrte und Wissenschaftler ähnlich – was damit zu tun hat, dass Menschen zur Problemlösung ähnliche Methoden einsetzen, egal, in welcher Form sich die Probleme stellen.
Das Buch ist eine Mischung aus Geschichten ums Verirren und Erkenntnissen. An unterschiedlichen Berichten von Menschen, die sich verirrt haben und wieder gerettet wurden, zeigen die Autoren beispielhaft, worauf es ankommt. Als Beispiele dienen die Geschichten von unachtsamen Menschen, die mit ihrem Auto im Schnee stecken bleiben und fatale Fehler machen genauso wie Expeditionsberichte, etwa den von Hans Bertram und Adolf Klausmann. Die beiden Deutschen wollten mit ihrem Wasserflugzeug «Atlantis» von Deutschland nach Australien fliegen. Nachdem sie auf ihrer letzten Etappe, einem Nachtflug, durch ein Gewitter vom Kurs abkamen, mussten sie auf einer einsamen Insel notlanden und erst nach rund 40 Tagen zufällig gefunden werden.
Auch wenn es komisch klingt. Das Buch «Verirren» ist alltagstauglich – aus mehreren Gründen. Man erfährt einiges über das Verhalten von Menschen, von denen manche die eigene Einschätzung bestätigen werden. Zum Beispiel, dass Männer weniger gut zugeben können, sich verirrt zu haben als Frauen, und dass sie dementsprechend lieber länger herumirren, als jemanden nach dem Weg zu fragen. Wer selbst gerne in unberührten Gegenden unterwegs ist, wird sein Augenmerk eher auf Hinweise zu Gefahr und Risikobewusstsein beherzigen und bedenken, dass die heutige Ausrüstung nicht zwangsläufig mehr Sicherheit bedeutet – sie verlockt eher zu riskanterem Verhalten. Risikoforscher schätzen, dass der Mensch bereit ist, bei freiwilligen Tätigkeiten wie Skifahren, Klettern oder Bergsteigen ein etwa tausend mal höheres Risiko zu akzeptieren als in Situationen, auf die er keinen Einfluss hat. Neben solchen durchaus nützlichen Informationen, die auch dazu anregen, das eigene Verhalten zu hinterfragen, erfährt man beispielsweise auch Wissenswertes, auf das man nicht so ohne weiteres stößt, etwa wie sich die polynesischen Seefahrer mit ihren Auslegerkanus in einem Gebiet orientiert haben, das 50 Millionen Quadratkilometer umfasst. Eine Fertigkeit übrigens, die – selbst wenn sie nicht im Lehrplan der Grundschule auftaucht – auch heute noch gelehrt wird.
Nicht zuletzt sitzt dem Autorenduo durchweg der Schalk im Nacken. Kathrin Passig und Aleks Scholz sind ständig zu einem Späßchen aufgelegt, und durch das ganze Werk zieht sich ein angenehm ironischer Ton. Beides trägt dazu bei, das Buch vergnüglich und lesenswert zu machen.
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