Freitag, 6. April 2018
Mathieu Almaric – Barbara
Mathieu Almarics Film «Barbara» ist keine der üblichen Lebensgeschichten. Seine Biographie der französischen Sängerin – die erst mit «Göttingen» und später mit den deutschen Übersetzungen ihrer Chansons auch deutsche Hörer begeisterte – erzählt gleichzeitig eine Geschichte der bis zur Besessenheit reichenden Annäherung an ein Idol. Jeanne Balibar spielt die Doppelrolle als Barbara und als Schauspielerin Brigitte, die in einem biographischen Film die Sängerin spielt, meisterhaft. Und weil Mathieu Almaric, der auch im Film den Regisseur verkörpert, aparte Spiele um Imagination und Wirklichkeit einbaut, ist der Film nicht nur für Verehrer der Chansonsängerin interessant, sondern auch für Cineasten mit einer Neigung zur Poesie.

Was ist wichtig, wenn man ein Leben erzählt? Was müssen wir wissen, über Herkunft oder Bildungsweg, welche Lebensdaten kennen, um eine Person zu erfassen, ihre Gedanken, Einstellungen und Sehnsüchte? Mathieu Amalric stellt das alles nicht in den Vordergrund. Er nähert sich «der schönsten Stimme Frankreichs» atmosphärisch und skizziert die Lebensgeschichte von Barbara indirekt. Er erzählt, wie seine Protagonisten, der Regisseur Yves und die Schauspielerin Brigitte, der Ikone bei der Suche nach ihrem Wesen immer mehr verfallen.

Yves Zand, gespielt von Almaric selbst, dreht als obsessiver Verehrer einen Film über die französische Sängerin Barbara. Seine Darstellerin folgt ihm in die Obsession und findet aus ihrer Rolle nicht mehr heraus. Die Ebenen überlagern sich. Wann Barbara für den Dreh gespielt wird und wann Brigitte im Leben zu Barbara wird, ist oft nur schwer auseinanderzuhalten. Und das, obwohl der Regisseur durch Einstellungen und unterschiedliches Filmmaterial – die Szenen mit Barbara wirken historisch, alle anderen sind zeitgemäß brillant – durchaus Hilfestellungen gibt. Zudem werden auch Originalaufnahmen mit der ausdrucksstarken Sängerin geschickt eingebaut.

Almarics Herangehen kann man als verkopft abtun oder als besondere Referenz an die ausdrucksstarken poetischen Texte Barbaras interpretieren. Und die Obsession von Yves und Brigitte entspricht der Besessenheit Barbaras für ihre Lyrik und Musik.
Barbara war – glaubt man dem Film – eine Diva, schwierig und eigensinnig. Welche Lebenserfahrungen dem zugrunde liegt, eröffnet der Film nicht. Führt man sich die im Film rezitierten Texte von Barbara vor Augen, ist es jedoch gut und richtig, dass Mathieu Almaric ganz auf Poesie und Charisma setzt. Denn die unmittelbare psychologische Deutung ist in einer konventionellen Biographie besser aufgehoben. Das passende Schlusswort sagt Jeanne Balibar als Brigitte als Barbara: «Das ist fantastisch! Wie violetter Regen auf finsteren Bergen.»

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Samstag, 24. März 2018
Ferd - Music Without Boarders
Weltumspannende Ansätze gibt es viele. Doch die Musik einer derart kleinen Region einem so vielfältigen kulturellen Austausch auszusetzen wie Kirsten Bråten Berg, Sigurd Brokke, Gunnar Stubseid und Hallvard T. Bjørgum – das hat so wohl noch niemand gemacht.

Die vier norwegischen Musiker, die selbst singen, Maultrommel und die der Violine ähnliche Hardangerfiedel spielen, sind Spezialisten für die Musik der Region Setesdal. Die Melodien aus diesem Tal im Süden Norwegens haben sie in die Welt geschickt – in das Nachbarland Schweden, in europäische Länder wie Irland, Armenien und Rumänien, und in entfernte wie Syrien, Indien und Indonesien, China und Iran. 52 Musiker aus 18 Ländern waren an diesem Projekt ohne Grenzen beteiligt, haben sich mit der Musik fremder Kulturen und den musizierenden Menschen ausgetauscht und n, vertraut-fremde Stücke geschaffen. In diesen treffen die Gesangsstile der Ureinwohner Lapplands, aus Tibet und der Mongolei zusammen, oder es spielen Hardangerfiedel, indische Sarangi, die persische Zither Kanun und andere Instrumente gemeinsam für norwegischen und thailändischen Gesang auf.

Auf dem Album gibt es nur wenige so naheliegende Kombinationen wie in «Havar Heddi», für das die vier Musiker ein Stelldichein von Maultrommel und Hardangerfiedel mit Bass, Harmonium, Gitarre und Tin-Whistle geben, oder in «Gamlestev», bei dem die Stimmen von Kirsten Bråten Berg und Masha Vahdat (Iran) nur vom Flötisten Jonas Simonson begleitet wird. Meist werden die Gesangsstile mehrerer Länder mit unterschiedlichen Perkussionsarten und Instrumenten aus vieler Herren Länder gemischt. Das Ergebnis ist immer wieder überraschend – und wirkt trotz der eigenwilligen Paarungen wie natürlich gewachsen. Und das nicht nur deshalb, weil in einem Stück verwandte Instrumente wie das persische Hackbrett Santur und die von ihm abstammende thailändische Khim versammelt sind.

«Music Without Borders» ist ein herausragendes Weltmusikalbum: weil das weltumspannende Konzept verfängt und zu einem neue Hörerlebnis führt, weil es traditionelle Lieder in eine neue Zeit bringt und weil es über das Genre hinaus weist. Und das ganz ohne Ausflüge in Klassik, Jazz oder elektronische Musik. Man kann sich auch so gut vorstellen, dass Sequenzen wie der vokale Schlusspunkt des Tanzlieds «Nils, Jens und Geidaug» die Beine in heute angesagten Tanzschuppen in Bewegung bringen könnte.

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Mittwoch, 14. März 2018
Dead Brothers – Angst
Die Lage der Nation ist eine Steilvorlage für die Dead Brothers. Obwohl die Statistiker in vielen Bereichen einen Aufwärtstrend feststellen und die Müllhalden ungebrochen wohlfahrtsstaatsmäßig anwachsen, ist Angst das bestimmende Lebensgefühl weiter Kreise. Das ist nicht nur ein guter Nährboden für Populisten, sondern auch für die Dead Brothers.
Die Genfer Gruppe ist mit ihrem achten Album unterwegs und sammelt diejenigen Moribunden ein, die den Untergang fröhlich zelebrieren möchten. Die Sensen der Schnitter-Brüder hören auf die Namen Tuba, Gitarre, Violine, Trommel, Akkordeon und Dudelsack. Und – natürlich – den Gesang lieben sie auch.

Dass die Dead Brothers musikalische Einflüsse ohne Stand und Ansehen mitnehmen und mit punkiger Attitüde so vermengen, dass man ihre Herkunft nicht mehr sicher heraushören kann, ist ein Grundprinzip. Da klingt der Auftakt eines Songs mal vage kubanisch oder nach Rembetiko, nur um bereits nach wenigen Takten schnöde mit einer anderen Spielart übertüncht zu werden. Mal klingt Balkanmusik an, mal scheinen die Dead Brothers von dem Lied «Wir sind die Moorsoldaten» inspirieren worden zu sein. Und dass sie sich der heimischen Volksmusiktradition annehmen, ist typisch für die Dead Brothers und wird hier wiederum so vergnüglich wie originell inszeniert: Auf die Idee, beim Appenzeller Naturjodel die Stimmen nur schwer vernehmbar in den Hintergrund zu schieben, muss man erst einmal kommen.
Das klingt wie Theatermusik, und das ist kein Wunder, sind sie doch auf Theaterbühnen gerne gesehene Akteure, wie die Vertonung des Robert-Walser-Gedichts «Angst» für eine Inszenierung am Stadttheater Hannover zeigt. Anders als Heinz Holliger, der es hoch artifiziell vertont hat (vor 20 Jahren in seinem Projekt «Beiseit»), bringen die Dead Brothers eine standesgemäße Struwwelpeter-Variante.

Die Dead Brothers schwingen die Sense nicht immer treffsicher. Doch selbst wenn sie dann wie eine weniger eloquente, ländliche Kopie des frühen Tom Waits klingen, sind sie immer noch vergnüglich.

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Donnerstag, 8. März 2018
Ted Gioia – «Jazz hören – Jazz verstehen»
Mit seinem neuen Buch «Jazz hören – Jazz verstehen» möchte der Jazzpianist, Musikwissenschaftler und Buchautor Ted Gioia Normal-Sterblichen dabei helfen, Jazz kennen und lieben zu lernen. Dafür brauche es nicht viel, meint er durchaus einleuchtend, bloß Neugier und offene Ohren – und dann heißt es hören, hören, hören. Das, so seine Empfehlung, macht man sinnvoller in Konzerten als am Plattenteller. Denn Jazz lebt von Kreativität und Spontaneität. Die Improvisation, so Gioia, ist der magischste Teil der Sprache des Jazz. Und diese Magie erlebt man nicht auf Reproduktionen. Wer im «Reich der perfekten Reproduktion» leben wolle, meint er, sei im Konzert einer Rock- oder Pop-Coverband gut aufgehoben. Jazz jedoch ist «für diejenigen, die dabei sein wollen, wenn ein Wunder passiert.»

Könnte man aber das Wesen des Jazz tatsächlich verstehen, wenn man sich einfach in den Club setzt und hört, müsste Ted Gioia keine Betriebsanleitung schreiben. Auch er kann nicht auf sezierende Analyse und theoretische Grundlagen verzichten. Diese bettet er vergleichsweise leicht verdaulich ein, indem er unterschiedliche Facetten aufgreift und anhand wegweisender Kompositionen erklärt. Dass er sich dabei auch selbst widerspricht und auch sein beständiges Credo untergräbt, dass immer die Emotionalität im Vordergrund steht, trüben das Lesevergnügen und seine Glaubwürdigkeit. Doch viele Erläuterungen und Anregungen kann man als durchaus faire Entschädigung dafür betrachten.

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Mittwoch, 28. Februar 2018
Toto Bono Lokua – Bondeko
Musik braucht keine Worte, finden der Kameruner Jazzer Richard Bona, der kongolesische Singer/Songwriter Lokua Kanza und der französische Komponist und Multiinstrumentalist Gerald Toto mit Wurzeln in den Antillen – aber ihre sanften Stimmen wollen sie offensichtlich trotzdem nicht mit dem Scat-Stil eines Louis Armstrong zerhacken. Ihre Lösung sind Lieder in einer Phantasiesprache. Für die meisten Hörer könnten sie ruhig in einer der vielen Sprachen ihrer Heimatlänger singen – was sie gelegentlich auch tun, mit Stücken wie «Tann Tanbou A» (Creole) und «Naleki» (Lingala) –, denn die sind keineswegs verständlicher.
So oder so hemmt hier kein zwischenfunkendes Sprachverständnis das Hörvergnügen an den wohl überwiegend recht spontan entstandenen Stücken, bei denen der Klang des Trios im Vordergrund stand. Wichtigstes Element ist der Chorgesang der schmeichelnden Stimmen, die für die romantischen Passagen ideal sind und die quirligeren Stücke wohltuend antreiben. Und auch an zurückhaltendem Witz mangelt es nicht: Richard Bona imitiert in seinem Solo-Stück «Love Train» die Dampflokpfeife so sanft, wie sie wohl noch nie zuvor gehört wurde.
Was vordergründig wie sanftester World-Folk wirkt, entpuppt sich beim genauen Hören als rhythmisch überaus abwechslungsreiches Album mit vergleichsweise reduzierten, aber durchdachten Arrangements.

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