Mittwoch, 21. Februar 2018
Schönholzer & Rüdisüli – Sozialplan
Schweizer Expats haben es schwer, ihren deutschen Freunden die heimische populäre Musik nahezubringen. Annähernd massenkompatible Klassiker wie Züri West und Patent Ochsner oder der noch jüngere Michael von der Heide sind musikalisch zu kommun, sodass dann doch oft Mani Matter als Beispiel für Originalität und Eigenständigkeit herhalten muss. Dessen durchweg kurze Stücke sind sogar leicht verständlich oder zumindest schnell übersetzt.

Markus Schönholzer hat einen ebenso verschmitzten Witz und spielt wie Mani Matter virtuos mit der Sprache. Seine Lieder sind hintersinnig, kritisch und bissig, und trotz unverhohlener Traurigkeit wirken viele seiner Beobachtungen überaus liebevoll. Da freut sich der Sänger über die liebliche Vogelstimme («s Lied vo de Liebi»), deren Klang ihm so vertraut ist – und erst als sie näherkommt und seinen Namen ruft, merkt er, dass es seine Frau ist, die das Lied von der Liebe singt. Markus Schönholzer lässt es nicht bei einem einfachen Liebeslied bewenden, sondern spinnt aus der Idee die Beschreibung der Rollenverhältnisse einer Beziehung. Seine Geschichten scheinen einfach, doch sie sind komplex. Wenn er über das Heimkommen sinniert («I bi wider dehei»), beschreibt er anhand scheinbar nebensächlicher Beispiele an, was sich seit dem Weggehen verändert hat und deutet wie nebenbei an, wie sich in die Heimatgefühle solche der Fremdheit mischen. Für die Beschreibung des Altwerdens («Vatter») reichen ihm sechs kurze Zeilen mit nicht mehr als 40 Silben. Doch egal wie ernsthaft ein Thema sein mag – Schönholzer widmet sich ihm immer mit Humor.
Darüber hinaus begeistern Schönholzer & Rüdisüli mit leichtfüßig-raffinierten Arrangements, in denen schelmische Pop-Zitate – beispielsweise «Lucy in the Sky» von den Beatles – ebenso souverän eingesetzt werden wie Ravels «Bolero».

Auf «Sozialplan» wird gezupft (Banjo und Gitarre), Blech geblasen und Zieharmonika gespielt. Einen wichtigen Anteil am Charme der Musik hat denn auch der Akkordeonist Robi Rüdisüli. Der langjährige musikalische Wegbegleiter von Markus Schönholzer pendelt – zurückhaltend, aber wirkungsvoll – zwischen Musette und Volkslied und komplettiert so den Wortwitz seines Compagnons mit subtil platziertem Spielwitz – das, was ein charmantes Chanson braucht.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 15. Februar 2018
Excellentes Roadmovie
«Vor dem Ende das Sommers/Avant la fin de l’été»
Drei iranische Studenten – der fette, phlegmatische Arash, der poetische Hossein und Ashkan, der gerne ein Frauenheld wäre, klemmen sich in einen Kleinwagen, um eine Woche ans Meer zu fahren. Fünf Jahre studiert Arash schon in Paris, doch die Stadt hat er noch nie verlassen. Das soll er nachholen, bevor er wieder zurück in den Iran fliegt, finden seine Freunde – und bald geht es los.

Ihre Reise ist unspektakulär. Sie fahren durch den Regen, der auf dem Land viel schöner ist als in Paris. Genauso wie im Norden Irans, wo er auch warm ist und angenehm und nicht grau, wie Arash feststellt. Sie hängen auf verlassenen Campingplätzen ab, und nehmen auch mal zwei trampende Musikerinnen mit, die sie noch ein wenig begleiten. Sie reden miteinander, lernen sich auf andere Art kennen als in der Stadt, teilen Erinnerungen und sinnieren über das Leben und ihre Hoffnungen.



Die Bilder sind unaufgeregt und doch immer wieder voller Poesie, die Dialoge wirken wie beiläufige Gespräche, die nach und nach ein wenig mehr von den Personen freigeben und die immer wieder nachdenklich machen. "Avant la fin de l’été" ist ein langsamer Film. Ein kontemplatives Roadmovie im Stil von Wim Wenders "Im Lauf der Zeit", das genügend Raum bietet, um die versonnenen Gedanken seiner Protagonisten nachhallen zu lassen.

«Vor dem Ende des Sommers» ist ein exzellentes Roadmovie, das ganz unaufgeregt die Frage nach Heimat und Herkunft, Prägungen und Dasein stellt.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 13. Februar 2018
Erika Stucky - Papito
Eine neue Grenzüberschreitung der Schweizer Jazzmusikerin mit dem untrüglichen Gespür für besondere Konstellationen – einfühlsam und sanft verstörend.

Erika Stucky kommt vom Jazz und verpasst auch Popsongs außergewöhnliche Charakterzüge. Für ihre originellen Interpretationen findet sie immer auch ungewöhnliche Konstellationen – etwa Akkordeon, Posaune und Tuba. Sie spielte mit den Young Gods Songs aus dem Dokumentarfilm über das Woodstock-Festival nach, gestaltete mit der Schweizer Popsängerin Sina einen schrägen Abend mit Walliser Sagen und mit Christy Doran ein Jimi-Hendrix-Programm.
Mit «Papito» öffnet sie eine neue Tür – zur Klassik. Und natürlich beschränkt sie sich nicht darauf, ihre Kompositionen mit ein paar Streicher-Arrangements aufhübschen zu lassen. Sie lockt das zu den renommierten Interpreten Alter Musik zählende La Cetra Barockorchester Basel und den Countertenor Andreas Scholl zu neuen Abenteuern und lässt FM Einheit, früher bei den Einstürzenden Neubauten und heute unter anderem auch für seine Hörspiel-Arbeiten ausgezeichnet, die neue Klangwelt elektronisch unterfüttern.

Neben eigenen Kompositionen bietet Erika Stucky gefühlvolle Interpretationen etwa von Cole Porters «Ev'ry Time We Say Goodbye» und Randy Newmans "Marie". Bei «Tea For Two» kommt erstmals der Countertenor Andreas Scholl ins Spiel, zu dessen Stimme die von Erika Stucky in einem reizvollen Kontrast steht. In das/Unter das romantisch interpretierte Stück mischen sich erstmals Klangbilder, die gleichermaßen sanft und verstörend sind. Bei Stephen Sondheims «Not While I'm Around» tauchen dann die Dämonen auf und das Medley aus «Caruso» von Lucio Dalla und «I Want You» von den Beatles kulminiert zum Untergangsszenario.

Erika Stucky liebt schräge Inszenierungen, daher ist es schade, dass man auf dem Album die Filme nicht mitgeliefert bekommt, mit denen sie die Bühnenshow des beim Alpentöne-Festival uraufgeführten Programms garnierte. Immerhin bedient sie ihre Hörer mit einer anderen Stärke: ihrem bislang untrüglichen Gespür für musikalische Konstellationen. Stuckys Zwiesprache mit dem Countertenor Andreas Scholl und ihr immer wieder experimenteller Stimmeinsatz sind jedoch auch ohne audiovisuelles Beiwerk ein großer Genuss. Nicht minder reizvoll sind die Klangwelt des La Cetra Barockorchesters Basel, dessen historische Instrumente hier zeitgenössisch inszeniert werden, und die zurückhaltenden elektronischen Einwürfe von FM Einheit.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 2. Juli 2017
Auf Augenhöhe mit Legenden


Candelilla im Vorprogramm der Fehlfarben in den Münchner Kammerspielen, 30. Juni 2017.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 1. Mai 2017
In wohligen Tönen versinken
Quadro Nuevo im Freudenhaus (am 27.04.2017) in Lustenau, A)
Das Münchner Weltmusik-Quartett amalgamiert die unterschiedlichsten musikalischen Einflüsse – und spielt sein Publikum damit in Trance.



«Flying Carpet» heißt das neue Album des Münchner Weltmusik-Quartetts – und sie haben ihn tatsächlich mitgebracht: Was da auf der Bühne liege, sei zwar in Tat und Wahrheit nur ein gewöhnlicher Teppich, gesteht Gruppensprecher Mulo Francel. Aber man solle sich bitte trotzdem darauf niederlassen, vielleicht würde man ja doch mit der Musik abheben.

Zum Abheben, wie es der fliegende Teppich suggeriert, eignet sich die Musik des Quadro Nuevo weniger. Ihre vor allem ruhigen Kompositionen mit gelegentlich schwelgerischen Passagen umgarnen, bringen zur Ruhe und lassen einen in den wohligen Tönen versinken. Und wohlig bleiben die Melodien und Arrangements eigenartigerweise auch bei den furiosen Perkussionseinlagen von Dietmar Lowka oder wenn sich Mulo Francel und Andreas Hinterseher zu einem ihrer eloquenten Soli aufschwingen.
Mulo Francel steuert mit Saxofonen und Klarinetten unterschiedliche Klangfarben bei, Andreas Hinterseher mit Akkordeon und Vibrandoneon, und wenn Dietmar Lowka vom wahlweise gezupft und gestrichenen Bass zu Dombak und – von ihm nur als Basstrommel eingesetzten – Daf wechselt, übernimmt Evelyn Huber mit der Harfe die tiefen Töne.



Das Quartett ist weit gereist, spielte mit Tango-Musikern in Argentinien und jüngst mit Musikern in Kairo, und amalgamiert dabei fremde Traditionen zu einem eigenen Stil. Da folgen Walzer- und Musette-Klänge auf eine melancholisch-elegische orientalische Melodie, und das Harfen-Glissando vereint sich mit Trommelrhythmen – eine Mischung, in der auch das Fremde anheimelnd vertraut wirkt.

Auch wenn der Teppich am Bühnenrand nicht abgehoben ist und die Zuhörer auf den Stühlen geblieben sind – sie haben sich trotzdem in anderen Sphären vergnügt, und zwar sehr.

... link (0 Kommentare)   ... comment