Mittwoch, 28. November 2012
Neil Young - Psychedelic Pill
Warm und weich, rund und doch kraftvoll, bestimmt – Neil Young kultiviert wieder einmal den «Rust-Never-Sleeps»-Klang. Roh und dumpf grummelt das Feedback. Die mitunter ausufernd langen Stücke fließen wie ein mächtiger Fluss, der auf seiner Reise alles mitnimmt, was sich ihm in den Weg stellt. Das ist nicht immer ein reines Naturschauspiel, es gibt auch einige Kollateralschäden: Die Backing Vocals in «Walk Like A Giant» klingen mitunter, als hätten Neil Young und seine verrückten Pferde zu viel Beach Boys gehört. Und die gepfiffene Passage im gleichen Stück wären in einem Pennäler-Film der 50er-Jahre nicht schlimmer ausgefallen. Doch wenn «Walk Like A Giant» nach 14 Minuten schwerfällig zum Beinahe-Stillstand kommt, fast ausklingt, um sich dann doch noch einmal zum furiosen Ende aufzubäumen, ist man doch wieder versöhnt. Dass Neil Young dann eine Reprise des Mitstampf-Krachers «Psychedelic Pill» hinterher schiebt, ist überraschend – und überraschend passend.

Neil Young greift zwar auch zur akustischen Gitarre, aber er bringt keine rein akustischen Songs. Seine Melodien sind wie gewohnt einfach, mitunter gar lieblich. Ein «Heart Of Gold» fehlt allerdings ebenso wie ein «Pocahontas», auf der ungestümen Seite vermisst man einen Song in der Qualität von «Hey Hey, My My (Into The Black)». Es gibt also keine Nummern, in die man sich vom ersten Takt an verliebt, stattdessen immer wieder Eigenheiten, auf die er hätte verzichten können. Trotzdem sind es nicht nur die elegischen, wie verwurzelt wirkenden, erdigen Stücke «Walk Like A Giant» und «Driftin Back», die – trotz kleiner Irritationen – ihre Sogwirkung ausüben. Die mit knapp 17 Minuten Länge nicht eben kurze altersmilde Betrachtung einer auch durch Tiefschläge gewachsenen Beziehung «Ramada Inn» oder seine Beobachtung, wie ihn im Alter seine Herkunft einholt (in «Born In Ontario»), haben eine lange Halbwertszeit. Da darf er zwischendurch gerne mal ein bisschen pfeifen.

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Montag, 26. November 2012
Spielen, tänzeln, sich lösen
Anouar Brahem im Haus der Kunst, München
Dass sich Anouar Brahem nach nur zwei Zugaben verabschiedet, wusste Manfred Eicher persönlich zu verhindern. Der ECM-Chef brachte dem Oud-Virtuosen einfach sein Instrument zur Bühne, als dieser mit seinen Kollegen den dritten Schlussapplaus genoss.

Anouar Brahem machte es sich mit einem kleinen Kniff etwas leichter: Er wiederholte einfach seine als zweites Stück gespielte Komposition «Dance With Waves». Der Grund dafür mag der plötzliche Ausfall seines Bassisten Björn Meyer sein. Unvermittelt zum Trio geschrumpft – neben Anouar Brahem an der Oud blieben Klaus Gesing, Bassklarinette, und Khaled Yassine an Darbuka und Bendir –, fehlten eine wichtige Klangfarbe und die Variationsmöglichkeit im tiefen Register. Dass Klaus Gesing den Ausfall wenigstens teilweise kompensieren konnte, ging ein wenig zu Lasten der Abwechslung. Öfters als wohl geplant spielten sich Brahem und Gesing die Bälle zu, spielten immer wieder Passagen zweistimmig, trennten sich, um ein wenig frei im Raum herumzutänzeln, bevor sie sich wieder zur gemeinsamen Melodie fanden.

Anfangs noch etwas verhalten wirkend, spielte sich das Trio zunehmend frei und agierte gelöst.
Anouar Brahem spielt seine Oud immer wieder mit festem Anschlag, was in den hohen Lagen manchmal metallisch klingt und in den tiefen mitunter zu hart. Ein Merkmal des Albums «The Astounding Eyes Of Rita» (2009), von dem die meisten der gespielten Stücke stammen, ist der warme Hall. Im Haus der Kunst gelingt es der Technik nicht, ihn zu reproduzieren. Kurz und hart wird er zurückgeworfen, was nicht nur den Klang der Oud mitunter durchschnittlich klingen lässt, sondern gelegentlich auch der Bassklarinette den Zauber nimmt.

Davon unbeeinträchtigt begeistert die Virtuosität der Musiker. Der junge Khaled Yassine bringt an Darbouka und Rahmentrommel nicht nur den treibenden Rhythmus, sondern setzt immer wieder mit leichter Hand überaus kunstfertige Akzente. Klaus Gesing und Anouar Brahem überzeugen nicht nur mit ihrem meisterhaften Spiel, sondern durchweg mit melodiösen und akzentuierten Soli. Klaus Gesing verlässt sich dabei nicht nur auf den weichen Klang der tiefen Register, sondern bläst seine Läufe auch in den hohen souverän und zaubert aus seinem Instrument auch mal Perkussions-Effekte. Anouar Brahem, dem bei Erscheinen seines letzten Albums «The Astounding Eyes Of Rita» vorgeworfen wird, sich seit einiger Zeit nicht mehr neu erfunden zu haben, bleibt nicht nur das Verdienst, zeitlos schöne Melodien zu komponieren, die sich mit den Jahren in der Mitte zwischen Orient und Okzident eingependelt haben und als universal betrachtet werden dürfen. In seinen Soli spinnt er diese Melodien weiter wie Geschichten, die erstaunliche Wendungen nehmen. So machte das Anouar Brahem Trio die technischen Unzulänglichkeiten vergessen – und beinahe auch die Klangfarbe, die Bassist Björn Meyer nicht beisteuern konnte. So bedauerlich sein überraschender Ausfall ist: Ihn zu vermissen ist ein Zeichen der Anerkennung – und auch das unerfüllte Begehren hat eine schöne Komponente.

Das Konzert des Anouar Brahem Trios fand im Rahmen der Konzertreihe zur Ausstellung «ECM — Eine kulturelle Archäologie» statt.

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Sonntag, 25. November 2012
Bildhaft und klar
Das Tarkovsky Quartet im Haus der Kunst, München
Die Kompositionen von François Couturier sind mehr als eine Referenz an den russischen Regisseur Andrei Tarkowski. Die formal strengen Kompositionen öffnen eine bildreiche Welt. Transparent, weitgehend klar und doch gefühlvoll – das Tarkovsky Quartet bringt seine Stärken auch auf der Bühne zur Geltung.

Das Tarkovsky Quartet hat mit seiner eigenwilligen Mischung aus Jazz, Klassik und ethnischen Einflüssen sowie mit seiner ungewöhnlichen Besetzung (François Couturier, Klavier; Anja Lechner, Cello; Jean-Marc Larché, Sopransaxophon; Jean-Louis Matinier, Akkordeon) eine eigenständiges und eigenwilliges Klangbild geschaffen. Es ist mehr als eine Referenz an den russischen Regisseur, nach dem es sich benannt hat. Der Name der Gruppe verweist darauf, dass sein musikalischer Weg den Hörer in eine bildreiche Welt führt. Doch die imaginären Filme, die das Tarkovsky Quartet beim Hörer evoziert, sind nicht nur dem russischen Autorenkino zuzuordnen: Die Bandbreite reicht von der atmosphärisch-dichten, unterschwelligen Dramatik, welche die Filme von Michael Haneke auszeichnet, über die subtile Üppigkeit, die die Filme von Peter Greenaway kennzeichnet, bis hin zu slapstickartigen Sequenzen, die vielen Stummfilmen eigen sind. Wenngleich es nicht nur Filme sind, die man mit der Musik des Tarkovsky Quartet verbindet – mal evoziert es die warme Abstraktion eines Juan Miró, dann wieder die harte eines Wassily Kandinsky –, so führen die Assoziationen in der Regel zum bildhaften Ausdruck.

Die Kompositionen von François Couturier sind von klassischer Strenge, an der sich auch die beseelte Interpretation orientiert. Auch wenn man sich gelegentlich an den Stil einer Volksweise erinnert fühlt oder das Cello mal leicht bluesig gezupft wird, sind die Stücke durchkomponiert. Stilelemente und Klangfarben werden zielgerichtet und wirkungsvoll, aber niemals effekthascherisch gesetzt. Kein Instrument wird – was durchaus originell sein könnte – zweckentfremdet, kein rhythmisches Klopfen auf dem Cello, kein exaltiertes Überblasen des Saxophons.
Dabei bringt das Tarkovsky Quartet die strenge Schönheit der Kompositionen so klar und differenziert auf die Bühne, wie man es vom Album kennt. Selbst wenn sich der Klang der Instrumente verschränkt, sind sie immer klar identifizierbar. François Couturier verbindet auf ureigene Weise Einflüsse von Minimal Music und Klassik, die sein Quartett einzigartig – subtil zwischen kontemplativen und lyrischen bis hin zu vorwitzigen Stimmungen changierend – umsetzt.

Das Konzert des Tarkovsky Quartets war der Auftakt einer vielversprechenden Konzertreihe im Rahmen der Ausstellung «ECM — Eine kulturelle Archäologie».

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Montag, 19. November 2012
Privater Biosphärenpark
Ein besonderer Garten unter einem besonderen Blickwinkel
Dieses Buch ist ein einziger Farbenrausch – ungemein satt die Blüte des Löwenzahns, fast schon grell das ins Pink gehende Rot der Pfirsichblüte. Dann sind es wieder das warme Gelb des Herbstlaubs, das frische Grün eines Blattes in Grossaufnahme oder das leuchtende Weiss der Strauchpfingstrose, die Lust darauf machen, all die Pflanzen in der wilden Vielfalt in einem Garten zu versammeln, die der österreichische Biologe Georg Grabher in seinem Refugium pflegt. Grabherr, bis 2011 Abteilungsleiter und Universitätsprofessor für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie an der Universität Wien, hat am Rand des Unesco-Biosphärenparks Wienerwald seine Pflanzen-Arche-Noah errichtet. Mit ihr unterstützt er im Kleinen die Ziele, die global mit den weltweit 500 bestehenden Biosphärenparks erreicht werden sollen: die Biodiversität der Naturpflanzen wie auch der Kultursorten zu erhalten.



Grabherr hat einen erfrischend pragmatischen Zugang. «Leben und leben lassen» ist seine Maxime. Fühlt sich eine Sorte im trockenen Klima der pannonischen Tiefebene nicht wohl, verzichtet er eben auf sie. Keimen im Gegensatz dazu Pflanzen von selbst, die er eigentlich nicht schätzt, lässt er sie stehen und verhindert bloss, dass sie andere Sorten verdrängen.
Grabherr schreibt, was ihn in seinem Garten zu jeder Jahreszeit erfreut und verpackt darin seine Gartenphilosophie. Diese präsentiert er auch in zahlreichen zusätzlichen Exkursen, die einzelnen Themen wie Unkraut, importierten Pflanzen und einigem mehr kundtut.
Seine Gartenphilosophie vermittelt er fast durchweg leicht verständlich, anschaulich und ansteckend. Und immer wieder öffnet er den Blickwinkel, tritt gewissermassen vor den Garten und schaut in die Welt.



So besonders der Garten von Gerhard Grabherr sein mag. Er entspricht so gar nicht dem, was man landläufig unter einem prächtigen Garten versteht. Grabherrs Gartenreich ist keine prächtige Parkanlage und kein exquisiter Rosengarten. So sehr er den Garten auch gestaltet – so setzt er beispielsweise jährlich 1500 Tulpenzwiebeln – so wild und natürlich wirkt er. Das ist eigentlich nicht die Kulisse für einen Bildband mit Hochglanz-Fotos im XXL-Format. Und trotzdem strotzt der grossformatige Band vor eindrücklichen Fotos – viele davon ein- oder doppelseitig. Der Fotograf Lois Lammerhuber zeigt die Blumen in ihrer ganzen Pracht und – etwa die Blütenstände des Zierlauchs – aus einer oft ungewöhnlichen Perspektive. Selbst bereits totfotografierte Pflanzenmotive wie beispielsweise die eine luftige Kugel bildenden Flugschirmchen des Löwenzahnls präsentiert er mit frischem Blick. Zwar gibt es auch die grossformatigen Ausschnitte herrlicher Tulpenblüten. Aber viele Bilder geben faszinierende Einblicke in den üppigen und unbearbeitet wirkenden Garten.
Lois Lammerhuber vermittelt nicht nur in seinen Gesamtansichten Standpunkt und Einstellung des Gartenbesitzers, sondern auch ein vielen Einzelaufnahmen. Der preisgekrönte Fotograf zeigt die Anmut der Raupe, die sich gerade anschickt, ein Blatt anzuknabbern, ebenso wie die Schönheit des rankenden Zaunwinde.



«Ein Garten für das 21. Jahrhundert» ist ein ungewöhnliches Buch. Der Autor, Gerhard Grabherr, ist sicher nicht der erste, der für den naturnahen Garten plädiert. Sein mit Anekdoten angereicherter, fachkundiger Gang durchs Gartenjahr ist vergnüglich zu lesen. Lois Lammerhubers Bilder wiederum dokumentieren nicht nur die wilde Opulenz des Gartens und sind mehr als Beleg für die ungestüme Farbenpracht, die Grabherr so begeistern: Sie begeistern durch einen ungewöhnlichen Blickwinkel und die eigene, originelle Bildsprache des preisgekrönten Fotografen.

Georg Grabherr/Lois Lammerhuber «Ein Garten für das 21. Jahrhundert» Edition Lammerhuber, 368 Seiten mit 304 Farbfotos, zweisprachig D/E, Baden 2012

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Sonntag, 18. November 2012
Fernab von sicherem Terrain
Christian Zehnder, Arkady Shilkloper und John Wolf Brennan im Jazzclub Tangente in Eschen (FL)
Ein Trio mit Christian Zehnder ist per se originell. Wer als Musiker gegen den Kuriositätenbonus des Obertonsängers anspielen muss, hat es gewiss schwer, doch dem Hornisten Arkady Shilkloper und dem Pianisten John Wolf Brennan fällt die Aufgabe leicht.

Der beiläufige Hinweis von Christian Zehnder, dass das Trio bei jedem Auftritt anders klinge, wirkt wie unbegründete Koketterie. Die drei Musiker haben sich ihre Meriten längst erworben. Doch schon beim ersten Stück merkt man deutlich: Die drei, die noch nicht allzu lange gemeinsam spielen, bewegen sich oft fernab von gesichertem Terrain.

Der Obertongesang, in den 1960er-Jahren in die westliche Musik eingeführt, ist immer noch außergewöhnlich. Daher ist es nicht überraschend, dass Christian Zehnder im Mittelpunkt steht. Er bringt nicht nur westlichen Obertongesang, sondern singt auch in der asiatischen Tradition und wechselt immer wieder in den knarrig tiefen Kehlkopfgesang. Dazu beweist er als Tonpantomime, der alle Rollen einer hitzigen Auseinandersetzung verkörpert, auch komödiantisches Talent. Doch auch wenn Brennan und Shilklopper ihrem Kollegen immer wieder den Platz an der Sonne überlassen, stehen sie ihm in nichts nach. Arkady Shilkloper – er zählt zu den derzeit virtuosesten Alphornspielern überhaupt – bringt ungeahnt temperamentvolle Läufe, spielt sein Horn auch zweistimmig oder funktioniert es kurzzeitig zum Didgeridoo um, indem er einfach den dritten Teil des Rohres weglässt. Die Musik der australischen Ureinwohner zitiert er nur kurz, schon bald wechselt er von der Zirkularatmung zu kräftigen, rhythmischen Stößen und ersetzt so Bass und Schlagzeug. Wenn einer der drei ihre Instrumente verändern – Christian Zehner spielt schon seit vielen Jahren ein modifiziertes Akkordeon, von ihm als 'Wippkordion' bezeichnet – dann wohl nicht nur aus Lust an der Verfremdung, sondern weil es er Charakter des Stückes erfordert. So kann John Wolf Brennan den warmen Bordunton, der in einer Komposition die Grundlage für die Höhenflüge der Kollegen liefert, nur erzeugen, indem er einen gewachsten Faden durch die Klaviersaiten zieht.

Der Hintergrund jedes Stückes wird meist humorvoll erläutert. Dann macht etwa Christian Zehnder einen kleinen Exkurs zu den strengen Aufnahmekriterien japanischer Alphorn-Vereine (man muss ein Alphorn selbst gebaut haben) deren Bläser dafür «völlig inspirationsfrei spielen» würden. Er erzählt von den «letzten Ureinwohner Europas», die das Jodeln noch in den Tagesverlauf integriert hätten und man «noch vor der Zeitrechnung, wie die Pygmäen» jodle. So eindrücklich das folgende, von den Muotataler Jodlern inspirierte Stück klingt: Zehnders Hoffnung, es eines Tages auch im Muotatal zu hören, wird sich so lange nicht erfüllen, wie die dortigen Bauern ihren Stall nicht im 7/4-Takt ausmisten.

Jazzmusiker haben bereits lange vor der Erfindung der Weltmusik Elemente ethnischer Musik integriert. Christian Zehnder, Arkady Shilkloper und John Wolf Brennan scheinen mühelos das Vertrauen und die gemeinsame Basis gefunden haben, auf der sie ihre eigene Spielart entwickeln können. Dass sie auch live experimentieren und keine festgelegten Arrangements bringen, zeigen die Reaktionen der Musiker. So freut sich Arkady Shilklopper herzhaft über Zehnders vokale Eskapaden, sie wechseln anerkennende Blicke und signalisieren Erleichterung, wenn einer vom Seil zurück auf den sicheren Boden springt. Zehnders Hinweis, dass sie jedes Mal anders klingen würden, war offenbar ernst gemeint.

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