Montag, 19. November 2012
Privater Biosphärenpark
Ein besonderer Garten unter einem besonderen Blickwinkel
Dieses Buch ist ein einziger Farbenrausch – ungemein satt die Blüte des Löwenzahns, fast schon grell das ins Pink gehende Rot der Pfirsichblüte. Dann sind es wieder das warme Gelb des Herbstlaubs, das frische Grün eines Blattes in Grossaufnahme oder das leuchtende Weiss der Strauchpfingstrose, die Lust darauf machen, all die Pflanzen in der wilden Vielfalt in einem Garten zu versammeln, die der österreichische Biologe Georg Grabher in seinem Refugium pflegt. Grabherr, bis 2011 Abteilungsleiter und Universitätsprofessor für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie an der Universität Wien, hat am Rand des Unesco-Biosphärenparks Wienerwald seine Pflanzen-Arche-Noah errichtet. Mit ihr unterstützt er im Kleinen die Ziele, die global mit den weltweit 500 bestehenden Biosphärenparks erreicht werden sollen: die Biodiversität der Naturpflanzen wie auch der Kultursorten zu erhalten.



Grabherr hat einen erfrischend pragmatischen Zugang. «Leben und leben lassen» ist seine Maxime. Fühlt sich eine Sorte im trockenen Klima der pannonischen Tiefebene nicht wohl, verzichtet er eben auf sie. Keimen im Gegensatz dazu Pflanzen von selbst, die er eigentlich nicht schätzt, lässt er sie stehen und verhindert bloss, dass sie andere Sorten verdrängen.
Grabherr schreibt, was ihn in seinem Garten zu jeder Jahreszeit erfreut und verpackt darin seine Gartenphilosophie. Diese präsentiert er auch in zahlreichen zusätzlichen Exkursen, die einzelnen Themen wie Unkraut, importierten Pflanzen und einigem mehr kundtut.
Seine Gartenphilosophie vermittelt er fast durchweg leicht verständlich, anschaulich und ansteckend. Und immer wieder öffnet er den Blickwinkel, tritt gewissermassen vor den Garten und schaut in die Welt.



So besonders der Garten von Gerhard Grabherr sein mag. Er entspricht so gar nicht dem, was man landläufig unter einem prächtigen Garten versteht. Grabherrs Gartenreich ist keine prächtige Parkanlage und kein exquisiter Rosengarten. So sehr er den Garten auch gestaltet – so setzt er beispielsweise jährlich 1500 Tulpenzwiebeln – so wild und natürlich wirkt er. Das ist eigentlich nicht die Kulisse für einen Bildband mit Hochglanz-Fotos im XXL-Format. Und trotzdem strotzt der grossformatige Band vor eindrücklichen Fotos – viele davon ein- oder doppelseitig. Der Fotograf Lois Lammerhuber zeigt die Blumen in ihrer ganzen Pracht und – etwa die Blütenstände des Zierlauchs – aus einer oft ungewöhnlichen Perspektive. Selbst bereits totfotografierte Pflanzenmotive wie beispielsweise die eine luftige Kugel bildenden Flugschirmchen des Löwenzahnls präsentiert er mit frischem Blick. Zwar gibt es auch die grossformatigen Ausschnitte herrlicher Tulpenblüten. Aber viele Bilder geben faszinierende Einblicke in den üppigen und unbearbeitet wirkenden Garten.
Lois Lammerhuber vermittelt nicht nur in seinen Gesamtansichten Standpunkt und Einstellung des Gartenbesitzers, sondern auch ein vielen Einzelaufnahmen. Der preisgekrönte Fotograf zeigt die Anmut der Raupe, die sich gerade anschickt, ein Blatt anzuknabbern, ebenso wie die Schönheit des rankenden Zaunwinde.



«Ein Garten für das 21. Jahrhundert» ist ein ungewöhnliches Buch. Der Autor, Gerhard Grabherr, ist sicher nicht der erste, der für den naturnahen Garten plädiert. Sein mit Anekdoten angereicherter, fachkundiger Gang durchs Gartenjahr ist vergnüglich zu lesen. Lois Lammerhubers Bilder wiederum dokumentieren nicht nur die wilde Opulenz des Gartens und sind mehr als Beleg für die ungestüme Farbenpracht, die Grabherr so begeistern: Sie begeistern durch einen ungewöhnlichen Blickwinkel und die eigene, originelle Bildsprache des preisgekrönten Fotografen.

Georg Grabherr/Lois Lammerhuber «Ein Garten für das 21. Jahrhundert» Edition Lammerhuber, 368 Seiten mit 304 Farbfotos, zweisprachig D/E, Baden 2012

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