Montag, 13. Dezember 2010
Zerstörung
«Under destruction» im Museum Tinguely
Den Erziehungsballast abwerfen und agieren wie ein Kind: Künstler wie Paul Klee und Pablo Picasso haben versucht, das Erlernte zu vergessen, um den freien Ausdruck zu erlangen. Auch bei Jean Tinguely, dem Bastler nutzloser und zerstörender Maschinen erkennt man den kindlichen Spieltrieb.


Fender mal anders: Christian Marclay optimiert den Sound der Landstraße.

«Under destruction» stellt einige dekonstruktivistische Gefährten und Nachfolger von Tinguely vor. Roman Signer ist mit dem immer wieder amüsanten Video «Rampe» vertreten, Christian Marclay schleppt eine Gitarre hinter seinem Pickup über Feldweg und Landstraße («Guitar Drag»). Bei Pavel Bücher ist die Herangehensweise interessanter als das Ergebnis. Für seine «Modern Paintings» hat er auf Flohmärkten erworbene Gemälde aus dem RAhmen gelöst und in der Waschmaschine gewaschen, um sie dann im Sinn von Art-Brut-Abstraktionen neue aufzuziehen. Jonathan Schippers «The Slow Inevitable Death of American Muscle» kann man im Netz verfolgen - im Zeitraffer.
Kunst kann lustig sein -- und praktisch: Rechtzeitig vor dem nächsten Umzug begonnen, reduziert destruktive Kunst den Aufwand.

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Freitag, 10. Dezember 2010
Orhan Pamuk - Museum der Unschuld
Acht Jahre lang wirbt Kemal um Füsün. Dass sie seine Liebe nicht erhört – nicht erhören kann –, hält ihn nicht davon ab. Mehrmals wöchentlich besucht er ihre Eltern, kommt zum Abendessen und bleibt zum Fernsehen. Er finanziert eine Filmgesellschaft, um seiner Angebeteten zu Schauspielerinnen-Ruhm zu verhelfen. Und vor allem steckt er alles ein, was eine Beziehung zu Füsün haben kann: vom Salzstreuer über den Wackel-Dackel auf dem Fernseher bis hin zu Ohrringen und Zigarettenkippen. Als Füsün beginnt, seine Liebe zu erwidern, dauert das Glück nicht lange. Sie lenkt das Auto gegen einen Baum und stirbt. Kemal richtet mit seinen Füsün-Devotionalien das «Museum der Unschuld» ein und erzählt seine ganze Geschichte – und mehr als das.
Orhan Pamuk zeichnet ein Gesellschaftsporträt der Türkei der 1970er-Jahre. Der Nobelpreisträger erzählt weitschweifig und opulent illustrierend von der unerwiderten Liebe und zeigt gleichzeitig die Moralvorstellungen einer Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne.

Auch wenn es für das detailreiche, fast 600 Seiten starke Werk 18 CDs braucht: Es war eine gute Entscheidung, den Roman ungekürzt zu lesen, Ulrich Noethen macht das angemessen bedächtig.

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Freitag, 3. Dezember 2010
Coconami - Ensoku
Das Konzept von Coconami erscheint einfach: Sie setzen auf den Exotenbonus. Nachzuahmen sind sie trotzdem nicht so leicht. Denn erstens sind Coconami zwei in München gestrandete Japaner, und zweitens – schon eher kopierbar – haben sie ein eindeutiges Faible für die Ukulele. Darüber hinaus reisen sie lieber mit leichtem Gepäck und bringen nicht mehr mit als Melodica, Glockenspiel und ihre Suzuki Andes, eine japanische Tastenharmonika.

Das alles taugt nicht nur für Kinderlieder: Die Coverversion des italienischen Rock'n'Roll-Schlagers der 1960er-Jahre «Tintarella di luna» rockt ganz schön – wenn auch nicht unbedingt im ursprünglichen Sinn des Wortes. Dazu spielen sich Coconami durch eine Reihe von unterschiedlichen Coverversionen, etwa das romantische «Dreamland» von den Moonlighters, die «Stern-Polka» und einen «Boarischen» oder die Rockballade «Sweet Child O'Mine», der sie das übertriebene Pathos der Guns'n'Roses nehmen. Auch der «bayerische Japaner» Ferdl Schuster ist wiederum dabei. Die sprechgesungene «Kaiserbirne» des Wirte-Originals aus dem Münchner Stadtteil Haidhausen ist sicher nicht das schlechteste Stück.

Die wenigen eigenen Stücke – mit einfachen Melodien und mitunter ansatzweise hauchiger Stimme gesungen – fallen gegen die Coverversionen deutlich ab. «Ananas Man», ein witziges Instrumentalstück, tröstet darüber hinweg, dass den Eigenkompositionen die geschmeidigen Melodien und Rhythmen fehlen. Dafür haben sie die «Three Cool Cats» (von Jerry Leiber und Mike Stoller, die zu den wichtigsten US-amerikanischen Hitproduzenten der 1950/60er-Jahre zählen) und eine glückliche Hand bei der Wahl der Coverversionen und ihrer Arrangements.

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Dienstag, 30. November 2010
Quatuor Ébène - Fiction
Crossover ist ein alter Hut, auch in der Klassik. Pogorelich versetzte Beethoven einen Schuss Jazz, das Kronos Quartet spielte Hendrix und ließ afrikanische Musiker für sich komponieren – ihr "Peaces of Africa" (1992) ist ein Meilenstein, heute spielen sie auch Sigur Rós und Nine Inch Nails.

Die Möglichkeiten sich in anderen Gefielden zu tummeln sind nach wie vor unerschöpflich, und die französischen Kammermusiker spielen nicht nur Bartok, Brahms und Debussy, sondern wildern gerne in Pop, Jazz und Filmmusik. Dafür arbeiten sie mit dem Schlagzeuger Richard Héry zusammen, laden Sängerinnen wie Luz Casal, Stacey Kent und Fanny Ardant ein und spielen Stücke von den Beatles ("Come Together") und Bruce Springsteen ("Philadelphia") genauso wie Tango, Bossa Nova und Jazz-Standards. Das klingt zwar nach einem Unterhaltungsprogramm, geht aber über Stücke wie "Misirlou" ("Pulp Fiction") hinaus, das zwar auch virtuos, vor allem aber effekthascherisch ist. Aber selbst wenn sie Kompositionen wie das früher von Rita Hayworth gesungene und oft gecoverte "Over The Rainbow" durchaus passend süßlich interpretieren, werden Quatuor Ebène niemals kitschig.

Und sie überzeugen mit einer interessanten Stilpalette und wechseln zwischen sperrig-anspruchsvollen und eingängig-gefäligen Stücken: Quatuor Ébène sind funky, chansonesque und Gipsy-jazzig, spielen erst im relaxten Latin-Stil, dann wieder feurig-virtuos und bei Bedarf auch einfühlsam-weich.

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Samstag, 27. November 2010
Für und mit Ernst
Christian Muthspiel im Theater am Saumarkt, Feldkirch
Lyrik ist (auch) Rhythmus. Das wird an den Gedichten von Ernst Jandl deutlich, die eine neue Dimension erreichten, wenn der vor zehn Jahren verstorbene Autor sie selbst las. Christian Muthspiel geht mit seinem Programm -- das er seit einigen Jahren aufführt, und das noch viele Jahre aktuell sein wird -- noch weiter: Er macht die Gedichte zu Musik. Muthspiel greift Jandls Witz und Bösartigkeit auf, verschmilzt seine musikalischen Ideen mit den Gedichten, die er neu rhythmisiert und akzentuiert. Seine Kompositionen sind völlig neue, eigenständige Werke, voller Humor, Hintersinn und originellen Einfällen.



Ein achtzigminütiges Konzert war angekündigt, und nach 20 Minuten war alles vorbei -- nach gefühlten zwanzig Minuten wohlgemerkt. Denn was Christian Muthspiel mit seiner fulminanten Jandl-Hommage bot, war nicht nur ideenreich und eloquent präsentiert, sondern auch überaus kurzweilig. Das Programm -- er führt es bereits seit einigen Jahren auf -- ist einer der Meilensteine der Sparte Lyrik und Jazz. Wobei man das mit dem Jazz bei Christian Muthspiel nicht so eng fassen darf. Bei ihm hat alles Platz -- Volks- und Blasmusikelemente (wenn auch ohne Humtata), Vogelgezwitscher, Lautmalereien und Geräuschkaskaden. Sampler ersetzen ihm die Band, wobei praktisch alle Einspielungen live und handgemacht sind. Spur für Spur nimmt er kurze Sequenzen auf, schichtet sie übereinander, spielt und singt und pfeift dazu. Das klingt mal romantisch (wenn er zum Beispiel mit verschiedenen Pfeifen Vogelgezwitscher imitiert, bis eine ganze Vogelschar tiriliert) und dann wieder wie das Stakkato von Maschinengewehrfeuer und einschlagenden Granaten. Die Stücke gehen nahtlos ineinander über, das Programm ist ein einziger an- und abschwellender Fluss, das der Pianist und Trompeter im richtigen Wechsel zwischen wohltemperiert und aufregend-spritzig gestaltet. Muthspiels groovt ungemein und wird trotz seines durchdachten Ansatzes niemals akademisch. Und obwohl er neben seinen Instrumenten eine erkleckliche Anzahl von Fusstasten für Loops und Einspielungen beherrschen muss, wirkt seine Musik in keinem Augenblick zu technisch oder gar hölzern, sondern durchweg geschmeidig und beseelt.

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