Mittwoch, 18. Juli 2007
Dolchstoß
Ein paar olle Kamellen zu verschenken, wie es Peter Gabriel mit der Gratis-Beilage seiner Best-of-CD machte, mag ja noch ein vertretbarer Werbeaufwand sein. Aber ein neues Album vor dem Veröffentlichungstermin zu verschenken, ist schlicht Unfug. Prince wird als der Robin Hood dargestellt. Doch was vordergründig wie das Erkennen eines neuen Trends aussieht und sich für Prince auch rechnen mag, ist nicht mehr als ein kurzsichtiger Marketinggag, den sich allenfalls bekannte, mit einem hübschen finanziellen Polster ausgestattete Künstler leisten können.

Immerhin kommt Prince so auf Absatzzahlen, von denen er sonst wohl nur träumen könnte - und natürlich ins Gerede. So viel weltweite Aufmerksamkeit kann man kaum mit so wenig Aufwand generieren. Und die entgangenen Einnahmen durch die normalen Verkäufe - wenn sich sein Album überhaupt gut verkauft hätte - kann er getrost auf den Marketing-Etat buchen. Der ist damit noch immer niedriger, als wenn er ein aufwändiges Internet-Spiel hätte inszenieren müssen, bei dem sich schon mal verheben kann.

Und gratis für die Käuferinnen und Käufer der "Mail on Sunday" heißt natürlich noch lange nicht, dass Prince seine Arbeit verschenkt. Der Kleine ist ja nicht blöd: Die "Mail on Sunday wird schon genügend hingeblättert haben.

Das Nachsehen hat seine Plattenfirma (die vermutlich ohnehin nicht mehr ist als sein Vertriebspartner) und mit ihr die Branche, die einen weiteren Dolchstoß in ihren maroden Rücken bekommt, die einmal mehr düpiert wird und sich zeigen lassen darf, dass ihr Geschäftsmodell obsolet ist.
Aber das haben wir auch vorher schon gewusst.

Die Aufregung um die nicht übertrieben originelle PR-Aktion ist überflüssig. Denn sie führt nicht weiter.
Da würden mich doch Initiativen viel mehr interessieren, die günstige Musik für die Verbraucher bei gleichzeitig befriedigenden Einnahmen für die Marktteilnehmer ermöglichen.

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Sonntag, 15. Juli 2007
Sind sie möglicherweise doch nicht so schlecht?
Was die Raveonettes angeht, halte ich es eigentlich mit Herrn ms. Retroschick passt und gefällt mir, ganz besonders wenn die gestern und heute so clever verwoben werden wie bei den als hochnäsig beschriebenen Kings of Leon. Die fahren auch noch im Rückwärtsgang nach vorne, während die Raveonetts - so dachte ich zumindest bisher - im Kriechgang in die Sackgasse von gestern fahren.
In Musikvideos unbewandert, musste ich mich jedoch von Herrn Kid darauf aufmerksam machen, dass die Raveonettes das Gestrige durchaus roh und zeitlos bringen können. Komprimierung und schlechte Computerboxen - für Menschen mit Ohren ein Graus - sind dafür unabdingbar und durchaus ein Segen. Fortschrittliche Technik ist ein Segen - mitunter gerade dann, wenn sie unzureichend ist.
Aber sind nicht die als besser einzuschätzen, die solche Hilfsmittel gar nicht brauchen, um unterirdisch roh zu klingen?

Anmerkung: Vor Beschwerden, dass sich auch Reverend Beat-Man von zeitgemäßer Technik helfen lasse, bitte das Original auf CD hören. Auch dieses ist musique brut in ihrer reinsten Form.

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Freitag, 20. April 2007
Wie viel Musik?
Was braucht der Mensch zum Überleben? Auf die Musik bezogen beantwortet die Auflistung der Inselplatten diese Frage. Zehn Stück werden meistens abgefragt. (Sie zeigen dabei oft hübsch die musikalische Sozialisation der Befragten und sagen letztlich nichts aus.) Weil zehn eine hübsche Zahl ist? Weil die Aufzählung dann gerade lang genug für eine nette Zeitungsspalte ist? Weil man für die Flucht gerade noch zehn Platten zusammenraffen kann? Weil man sich dann noch fünf Missgriffe erlauben kann, die fünf Nieten werden noch vor dem Landgang im Meer versenkt?

Bei jedem Umzug - und ehrlich gestanden auch zwischendurch - denke ich daran, meine Plattensammlung auf 100 Stück zu reduzieren. Noch weniger würde zwar noch mehr Platz sparen, aber das erscheint mir illusorisch. (Und in den hundert Stück sind die ständigen Neuzugänge nicht eingerechnet - aber das ist ein anderes Problem.)

Also: 100 Scheiben, der persönliche Kanon, die unverzichtbaren „Klassiker“. Musik, die man - mit der eigenen Biographie untrennbar verwoben - immer wieder hören kann (und möchte). Musik, die immer wieder berührt.
Jetzt habe ich zum wiederholten Mal radikal reduziert - wie immer auf geschätzte 1500 Stück. Doch dieses Mal stellt sich keine Zufriedenheit ein. Die Regale werden nicht weniger, sie sind nur vorübergehend ein bisschen luftiger gefüllt (etwa so wie die Regale der neuen Bibliothek von Alexandria, nur dass in meinen Regalen nicht so viel Schrott steht.)

Das Bedürfnis nach Vertiefung, und die beständige Lust auf Neues kämpfen beständig - bei offensichtlich ausgewogener Kraftverteilung.

Wie viel Musik braucht der Mensch? Oder sollte man besser danach fragen, ob denn die Musikmeter nicht vom Eigentlichen, vom Hören, ungebührlich ablenken?

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Mittwoch, 7. März 2007
Schon schwierig, ...
... sich als multinationaler Konzern mit wild gewordenen Künstlern herumzuschlagen (und umgekehrt). Don Dahlmann macht in seinem Irgendwas ist ja immer-Blog auf eine verworrene Abmahn-Geschichte aufmerksam, die er als Kollateralschaden einer abgefeimten viralen Marketingkampagne interpretiert.
Doch wenn man so liest, was er schreibt, hat man eher den Eindruck, dass die beteiligten Parteien schlicht Koordinationsprobleme und ihre Kampagne nicht richtig im Griff haben. Oder ... (aber das wäre jetzt bösartig) ...

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Montag, 5. März 2007
Es gibt viel schnelles Geld ...
... aber nicht genügend Anstand. Wie man der aktuellen Ausgabe des Schweizer Nachrichtenmagazins Facts entnehmen darf, möchte Herbert Grönemeyer bis hin zu den Titeln Beiträge und Interviews über ihn mitbestimmen. Kritische Stimmen sollen schon im Vorfeld erstickt werden. So muss, wer Grönemeyer interviewen will, zunächst einen Vertrag unterzeichnen, der neben vielen Details sogar die Grösse des - Artikels festlegt, schreibt Facts. Dann muss das Medium warten, bis Grönemeyer penibel redigiert hat - oder Aussagen zurückzieht, schreibt das Magazin.

Er gebe den Mächtigen eins drauf, habe ich in einer Besprechung des neuen Grönemeyer-Albums gelesen. Wer austeilt und sich - zu Recht - kritisch gibt, sollte jedoch selbst kritikfähig sein. Alles andere ist, finde ich, selbst dann scheinheilig, wenn es den Usancen des Popgeschäfts entspricht. Nur weil andere die Pressefreiheit einschränken, ist das noch lange kein Grund, es ihnen nachzumachen.

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Freitag, 2. März 2007
Mamdoh El-Gibaley - Takasim Oud Vol. 2
Soll keiner sagen, ich hätte nicht versucht, zurückzukommen, mich an die fremde Heimat zu gewöhnen, geistig hier zu sein und die Arbeit aufzunehmen. Ich wollte es sanft machen, mit Akli D., der mir vorher schon gefallen hat, und mit dem neuen Album von Dakota Suite, auf das ich durch den hervorragenden Film Wintersong aufmerksam wurde. Akli D. war mir zu wild, Dakota Suite plätscherten - wenn auch überaus angenehm - wiederum an mir vorbei. Offensichtlich ist die Zeit für die Rückkehr noch nicht gekommen. Mit dem Film Beijing Bubbles. Punk and Rock in China's Capital, der durchaus verführerisch auf meinem Tisch liegt, brauche ich da gar nicht anzufangen und entdecke doch lieber neue Facetten an Takasim Oud von Mamdoh El-Gibaley. Sehr beruhigend, anheimelnd und eingängig. Trotz kurzer, furioser Läufe wirken die Stücke durch überlegt eingesetzte Pausen wohlig entspannt. Die Trommel gibt den stupenden Rhythmus vor, über dem El-Gibaley seine Melodien entwickelt. Immer wieder kehrt er zur Stille zurück, setzt neu und überraschend an, moduliert dezent und abwechslungsreich. Damit gehe ich jetzt schlafen, Scheherazade, gute Nacht.

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Donnerstag, 1. März 2007
Mohamed Abdel Wahab - Bafakar Fely Naseny
Die arabische Schrift sieht wunderschön aus, ist für mich aber unlesbar. Ratlos frage ich den fast so hilflosen wie hilfsbereiten Verkäufer, welchen Platten mir die Tür zum Werk von Mohamed Abdel Wahab öffnen würden. Cleopatra und Bafakar Fely Naseny seien die richtigen. Erstere hätte ich mir selbst auch noch ausgesucht - weil ich wenigstens die Transkription des Titels verstehe und weil das grün der billigen Hülle nicht so schrecklich wie die Farben der anderen Hüllen ist. Schön, dass ich manchmal auch blind treffe. Zuhause lege ich seinen ersten Tipp ein, Bafakar Fely Naseny, und bin überrascht: rohe Kunst. Ein Oud, viel weniger feinsinnig als die virtuosen Übungsstücke, die ich beim Besuch im Kairoer "Haus der Oud" gehört habe. Das wirkt so gar nicht nach Popstar mit Schmelz in der Stimme, so gar nicht nach dem Erneuerer, der alle erdenklichen Stile in seine Musik integrierte.

Die drei unendlich langen Stücke klingen so, als ob sich Mohamed Abdel Wahab - und das ist jetzt als unbedingtes Kompliment gemeint - mit Nachdruck in die obere Liga der universalen Traurigkeit und Depression spielen wollte. Wie Rembetiko, nur nicht tanzbar, wie Fado, aber nicht so feingesponnen, wie der Blues, nur mit mehr Takten und Tonarten.
Auf lange Intros folgt eine dunkle Stimme mit düsterem Gesang. Man möchte mitweinen, weiß jedoch nicht, was denn so traurig ist. So schön es wäre, manche Schlagertexte nicht zu verstehen, so bedauernswert empfinde ich hier die fehlenden Sprachkenntnisse.
Ersatzweise stelle ich mir vor, wie Mohamed Abdel Wahab seine Lieder in einem kleinen Café spielt. Nicht in einer der oft malerisch heruntergekommenen Kaschemmen, in denen die Shisha rauchenden Männer die Welt Welt und die Arbeit Arbeit sein lassen, sondern eines, indem auch die Frauen aus der Tristesse die Kraft für einen neuen Tag schöpfen. Das - ich gebe es gerne zu - ist aus den mal überraschten, mal begeisterten und dann wieder einfach zustimmenden Zwischenrufen nicht herauszuhören. Aber ist nicht auch traurige Musik zum Träumen da ...?

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Sehnsucht nach Cleopatra
Das ist aber alte Musik, sagte der Verkäufer im Diwan Bookshop eindringlich und besorgt. Genau das ist es, was ich (auch) möchte. Denn bislang ging arabische Musik ziemlich an mir vorbei - zumindest arabische Unterhaltungsmusik, den der Oud von Rabih Abou-Khalil oder der Rai-Sänger Khaled waren schon immer ausgenommen. Arabische Sängerinnen wie Fairuz oder Umm Kulthumm zwischendurch zu hören oder beim Klang der orientalischen Orchester zu schwelgen, war nicht mehr als nett.
Natürlich ist es immer wieder schön, im Taxi, beim Kassettenstand oder aus den Cafés mit Umm Kulthumm oder Oriental-Pop beschallt zu werden (auch wenn der Koransender viel reizvoller klingt), oder mit dem Gesang libanesischer Tuareg durch die Wüste zu brausen. Schade nur, dass manche Taxifahrer meinen, sie müssten den westlichen Kunden Durschnittsrap beglücken.

Aber für immer diese Musik hören? Das vielleicht nicht - aber für die nächste Zeit. Seit einigen Tagen wieder Zuhause, weigere ich mich anzukommen. Durch die Musik von Mohamed Abdel Wahab und Umm Kulthumm, dem Oriental-Jazz von Fathy Salama oder den Takasim-Melodien von Mamdoh El-Gibaley bleibe ich wenigstens in Gedanken vor Ort, auch wenn der weit im Hintergrund sichtbare, dampfende Schlot nicht die Luft von Kairo verpestet, keine Muezzin den Morgen ankündigt und die hupende Kakophonie als beständige Geräuschkulisse fehlt.


Der Koransender würde unbeachtet im Hintergrund laufen - hier gewinnt
gerade Al Ahly, der erfolgreichste Fußballverein in Ägypten. Aber auch
das interessiert offensichtlich nicht alle.


Wenn es Zeit ist, anzukommen, werde ich wieder da sein. Und wenn ich wieder weg will, werde ich die sanften Schritte der Kamele hören, ihr Klagen bei der Untersuchung durch den Tierarzt oder einfach das Vogelgezwitscher in den Moscheen, werde Machfus lesen, zum wiederholten Mal die Bilder vom Leben in Kairo bestaunen und meinen Turkish Coffee mit ein bisschen Kardamom aufbrühen, wie ich es auf der Tala Ranch kennengelernt habe.

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Dienstag, 27. Februar 2007
Musikalische Religion
Für sie ist es Religion, für mich Musik - sanfte Gesänge mit einschmeichelnd modulierenden Stimmen und wunderbaren Melodien. Im Fischrestaurant kommen sie aus dem Fernseher - der dadurch nicht stört, sondern im Gegenteil als angenehme Bereicherung das Abendessen veredelt. Im Taxi rauscht er aus dem Radio, vielleicht auch von Kassette.

Der Koransender macht in Ägypten die Musik jeden Tag zu einem neuen musikalischen Erlebnis, zwingt förmlich zum Innehalten bei Besorgungen, lässt mich vor dem Obststand verweilen und vor dem Bügelmann. Er bringt ebenso Ruhe in einen aufgeregten Tag wie die anschwellende Kakophonie der Muezzins, die ich noch nie so eindrücklich erlebt habe wie in Siwa, einer Oase in der Nähe der lybischen Grenze.
Am anderen Ende der Oase beginnen die ersten beiden Muezzins. Weit weg, klingen sie leise und sanft. Schon bald dröhnt es tief und rasselnd aus dem Lautsprecher nebenan. Die Moschee ist fünfzig Meter weg. Kaum einer geht hin. Es bleibt eine exklusive Vorstellung.

Zum Glück ist in Ägypten die Zeit derart unwichtig, dass nicht einmal die Muezzins die Gebetszeiten einhalten. Mangels funktionierender Uhren würde den ganzen Tag irgendein Muezzin quäken, unken die Kairoer. Elhamdalullah! Noch mehr Freude in den Ohren. Die Uhrmacher sollen weiter ruhen.

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Freitag, 9. Februar 2007
Popdichter, preisgekrönt
Das Eis ist gebrochen. Zwar gibt es noch keine Ehrendoktorwürde für einen deutschsprachigen Popdichter, aber die Preise fliegen tief. Jetzt hat es Stephan Remmler getroffen: Er bekommt heute den "Internationalen Musikpreis" - weil er sich um die deutsche Sprache im Ausland verdient gemacht hat. Hat er. Und Texte geschrieben, die sogar ich mir merken kann (zugegeben, nur einen, aber damit kann ich schon mehr Remmler-Texte auswendig als eigene). Den Preis hat er also verdient. Nur Doping, geschätzte Preisverleiher, wie es Udo Lindenberg schon im Januar mit der Zuckmayer-Medaille um den Hals gehängt wurde, soll er bitte keines kriegen. Die Erinnerung an den letzten Remmler-Aufguss ist nicht wirklich prickelnd.

Auch Udo Lindenberg hat die Carl-Zuckmayer-Medaille nicht für gute Texte bekommen, sondern auch für seine Verdienste um die deutsche Sprache. Hat er, streite ich nicht ab. Und der neue Song mit Helge Schneider ist auch wirklich lustig. Ich fürchte nur, dass Lindenberg mit dem Zuckmayer-Doping neue Lieder schreibt.

Wie der Preisregen weitergehen könnte, schreibt die FAZ. Ein Preis wurde vergessen: die Goldene Monstranz für Xavier Naidoo. Nicht für gute Texte, sondern für offensives Glaubensbekenntnis. Aber macht schnell. Der Vorbeter hat nämlich schon gemerkt, dass er mit weniger Liturgie mehr Platten verkaufen kann. Und ihr wollt doch nicht, dass er vom rechten Pfad abkommt und den Agnostiker-Award nach Hause trägt - oder noch schlimmer, den Goldenen Ring für Angewandten Atheismus.

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