Donnerstag, 14. März 2013
Die vergessenen Neuigkeiten
Stefan Eicher im SAL
«Habemus papam» verkünden die Nachrichten auf dem Weg zum Konzert. Doch für wen sich die Kardinäle entschieden haben, ist noch nicht bekannt, als die Lichter im Saal ausgehen und ein Mann auf der kaum beleuchteten Bühne eine Schallplatte auf den Teller des in der Bühnenmitte platzierten Plattenspielers legt. Es vergeht einige Zeit, in der nur eine stupend im Vierteltakt gezupfte Saite zu hören ist, bevor Stephan Eicher in gemessenem Schritt die gesamte Bühne quert, sich ans Piano setzt und mit «La Relève» das Konzert eröffnet.


Lässt verschiedene Schaffensperioden anklingen: Stephan Eicher auf seiner
L'envolée-Tour.


Es ist der effektvoll-schlichte Auftakt eines knapp zweistündigen Konzerts, in dem Eicher alle Register zieht – vom intimen Singer/Songwriter-Stück zur akustischen Gitarre, bluesgetränkten Songs und der kammermusikalischen Inszenierung mit Violine und Horn bis hin zu einer Reminiszenz an seine Anfänge in den musikalisch unterkühlten 80er-Jahren und furiosem Rock, der sich wie eine Big Wave in den Saal ergießt.

Mit dabei sind Stücke, die er schon seit vielen Jahren spielt, das Guggisberg-Lied etwa oder das unverwüstliche «Campari Soda»; er spielt «Rivière» und «Hope» vom Album «Carcassonne» (1993), «Weiss Nid Was Es Isch» (von "Eldorado", 2007) und natürlich auch Lieder vom neuen Album «L'envolée», etwa «Dans Dos Tos» und «Morge».

Auch wenn er bis in die Anfänge seiner Solo-Karriere zurückgeht – mit «La Chanson Bleue» von seinem ersten, 1983 erschienenen Album «Les Chansons Bleues» bringt er eines seiner frühesten Stücke – spult Stephan Eicher nicht bloß ein simples Greatest-Hits-Programm ab. Mit seinem homogen und trotzdem abwechslungsreich arrangierten Set verweist er auf die unterschiedlichen Phasen seines mehr als 30-jährigen Schaffens. Es ist ein stimmungsvolles und mitreißendes Konzert, in dem sich Stephan Eicher durch die Geschichte seiner Musik bewegt – und dabei vergessen lässt, dass eben erst im Vatikan wichtige Weichen gestellt wurden. Doch die Welt ist ganz weit weg, und Jorge Mario Bergoglio aka Franziskus wird sich nicht daran gestört haben.

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Montag, 11. März 2013
Energie im Multipack
Acoustic Africa: Dobet Gnahoré, Kareyce Fotso, Manou Gallo im SAL in Schaan (FL)
Nimm drei, bezahle eine – die Reihe "Acoustic Africa" ist eine gute Marketingidee, die drei westafrikanische Popmusikerinnen auf die Bühne bringt.

Es geht schon hinter der Bühne los: Bereits im Off beginnend, spazieren Dobet Gnahoré, Kareyce Fotso und Manou Gallo – wie drei Frauen auf dem Weg zur Feldarbeit – singend auf die Bühne. Es ist die erste Demonstration von zwei großartigen Stimmen. Die Sängerinnen Dobet Gnahoré und Kareyce Fotso stehen zu Recht im Rampenlicht, während die Bassistin und Gelegenheitsvokalistin Manou Gallo überwiegend im Hintergrund bleibt.


Unterschiedliche Charaktere (v.r.): Dschinn, Diva und resolute Business-Frau

Es sind drei völlig unterschiedliche Charaktere, die sich auf der Bühne treffen. Kareyce Fotso gibt die Diva mit künstlichem Lächeln und Hochsteckfrisur, die exaltierte Dobet Gnahoré wirbelt wie ein wild gewordener Dschinn über die Bühne, und die energische Manou Gallo wirkt wie die moderne energische Geschäftsfrau im europäischen Stil. Die Vielfalt, die diese unterschiedlichen Charaktere versprechen, wird nicht durchweg geboten. Aber man kann sich an ihnen auch während der wenigen eher gleichförmig-treibenden Passagen erfreuen.

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Bass und Human Beatbox: Maou Gallo

Angetrieben wird die Musik der drei Frauen von einem exzellenten Balafon-Spieler, einem gediegenen Schlagzeuger und einem gediegenen Rhythmusgitarristen, der sich seiner Aufgabe als Solist nur mäßig gewachsen zeigt.
Besonders eindrücklich gerät "Mayole", eines der beiden ruhigsten Stücke des Abends, zu denen sich Kareyce Fotso mit einer simpel gezupften Gitarre begleitet. Nach einigen Strophen steigen ihre Mitmusiker ein und treiben das melancholische Lied über Naturzerstörung bis zur kontrollierten Ekstase – und aus der lächelnden Diva wird eine entrückte Schamanin, die völlig in der mitreißenden Musik aufgeht.


Wirbelig: Dobet Gnahoré

Obwohl Manou Gallo als Bassistin meist im Hintergrund bleibt, trägt sie maßgeblich zur Abwechslung bei: Dass sie aus live eingespielten Tönen Loops macht und diese übereinanderschichtet, ist nicht neu. Doch sie bastelt sich ihre eigenen Ein-Ton-Flöten. Dafür leert sie Mini-Schnapsflaschen so lange Schluck um Schluck, bis die Tonhöhe stimmt. Ihre Human Beatbox macht das verblüffende Klangwerk komplett. Sie verweist damit auch darauf, dass zeitgenössische afrikanische Musik längst mehr ist als die Grammy-verdächtige Mischung aus traditioneller Musik mit Pop, sondern dass von Abidjan bis Yaoundé alle Spielarten der Musik gepflegt werden, die nicht beinahe zwangsläufig Assoziationen rückständiger Agrarwirtschaft wecken. Nur dass diese Musik fast ausschließlich für heimisches Publikum gespielt und produziert wird. Dafür ist das Afropop-Angebot schon längst so groß, dass man daraus auch Multipacks schnüren kann.

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Sonntag, 3. März 2013
Mehr als Unterhaltung
FisFüz verlieren gegen die Ignoranz
Die Musiker werden dieses Konzert in schlechter Erinnerung behalten: In die Ecke einer gesichtslosen Hotelbar gedrängt, spielen FisFüz gegen eine Masse an, für die sie nichts als Aufputz sind. Die Mehrheit der Gäste möchte den Auftakt der Türkischen Filmfestspiele feiern, sich amüsieren und miteinander unterhalten.
So gut der "Oriental Jazz" des Trios in diese Szene passt - FisFüz sitzen zwischen den Stühlen. Die eigenen Stücke, meist Kompositionen der Klarinettistin Annette Maye, sind für die Festatmosphäre zu ruhig. Die türkischen Volkslieder wiederum, mit denen sie doch einen erklecklichen Teil der Zuhörer zum Mitsingen animieren konnten, bringen sie nicht mitreißend genug.


Gute Töne im unerquicklichen Ambiente: Annette Maye und der Rahmen-
trommler Murat Coscun.


Schon die Besetzung mit Klarinette/Bassklarinette, Oud/Gitarre und Rahmentrommel/Cajon ist ungewöhnlich. Anette Maye und Oudspieler bzw. Gitarrist Gürkan Balkan werfen sich den Melodieball zu, bringen immer wieder zweistimmige Läufe und treten wechselseitig zurück, um sich rhythmisch zu unterstützen. Vor allem Anette Maye besticht immer wieder mit melodiösen Solos, aus denen man gelegentlich auch Klezmer-Anklänge heraushören kann. FisFüz und der interessierte Teil des Publikums hätten einen erquicklicheren Rahmen verdient.

Noch bis 10. März: die Türkischen Filmtage 2013

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Montag, 25. Februar 2013
Wohltemperiert
Hamid Motebassem, Sepideh Raissadat und Ensemble Mezrab im Völkerkundemuseum München
Im Weltmusikreigen dreht sich die persische Musik nur selten mit. Die Münchner iranische Gemeinde greift regelmäßig zur Selbsthilfe und lädt erstklassige Künstler ein – viele von ihnen blicken aus dem Exil auf die reiche Musiktradition des Landes.

In seinem Ensemble Mezrab stellt der Komponist und Tar-Spieler Hamid Motebassem sein Hauptinstrument in den Vordergrund. Neben ihm, der auch die kleine Se-Tar spielt, besteht die Besetzung aus zwei weiteren Tar-Spielern (einer davon spielt die tiefer gestimmte Bam-Tar). Mit weiteren Instrumenten der klassischen persischen Musik, der Kurzhalslaute Barbat sowie die Perkussonsinstrumente Daf und Tombak, rundet er den Klang des Ensembles ab. Auf Streichinstrumente wie die oft eingesetzte Kamanche verzichtet Motebassem.


Hamid Motebassem und Sepideh Raissadat

Der vielversprechende Abend begann mit einem kleinen Dämpfer: Sepideh Raissadat sei erkältet, verkündete Hamid Motebassem gleich zu Beginn des Konzerts, sie werde entsprechend zurückhaltend singen. Raissadats Stimme integrierte sich in die vollen Arrangements des ersten Sets. Dabei ging sie keineswegs unter, aber die eher verhaltenen Modulierungen machten sie nicht zu viel mehr als zu einer weiteren, jedoch sicher nicht verzichtbaren Stimme im Tutti. In dunklen, zurückgenommenen Tönen zelebrierte Sepideh Raissadat die überwiegend elegischen Melodien der durchweg von klassischer Strenge gekennzeichneten Kompositionen.
Die Zurückhaltung der Sängerin ließ die Instrumente stärker in den Vordergrund treten, was beim überaus wohltemperierten Spiel der Gruppe gewiss kein Nachteil war. Besonders überraschte die Perkussionistin – und das nicht nur, weil die Bedienung des Schlagwerks üblicherweise Männerarbeit ist. Nagmeh Farahmand spielte ihre Daf und Tonbak so sanft wie kaum ein anderer Perkussionist. Sie sorgte für ein zugleich festes und flauschiges Fundament und umhüllte mit ihren sanften Schlägen die Töne ihrer Mitspieler.

In seinem Programm bringt das Ensemble Mezrab nicht die immer beliebten Vertonungen von Hafis- oder Saadi-Gedichten, sondern die von zeitgenössischen Lyrikern wie Mohammad Reza Shafii Kadkano und auch Akhavan Sales. Als unvermeidbares politisches Statement – nicht nur die Musiker leben im Exil, auch das Publikum besteht fast ausschliesslich aus Exilanten – bringt das Ensemble Mezrab «O Du Gärtner!» von Akhavan Sales, eine Hommage an Mohammed Mossadegh. Dass der iranische Ministerpräsident in den 50er-Jahren mit Unterstützung westlicher Geheimdienste weggeputscht wurde, damit das Erdöl weiterhin nach den alten Regeln fließen kann, war ein politischer Eingriff, der bis heute nachwirkt. Er verhinderte eine Demokratisierung des seit Jahrhunderten fremdbestimmten Landes, was bis heute viele Iraner dazu veranlasst, ihr Land zu verlassen.
Darunter sind viele Musiker, die vornehmlich im Westen ihr Auskommen suchen, etwa die in Kanada lebende Musikerin und Musikwissenschaftlerin Sepideh Raissadat oder der nach Deutschland emigrierte Hamid Motebassem.

Im etwas ruhigeren zweiten Set des Konzerts brachte das Ensemble Mezzrab etwas reduziertere, aber noch gefühlvollere Arrangements. So kam auch die Stimme von Sepideh Raissadat ein wenig mehr in den Vordergrund. Die abschließenden Ovationen waren verdient.
Die Musik des Ensemble Mezrab mag nicht so einfach konsumierbar sein wie die poppigen Songs afrikanischer Musiker. Die besonderen Klangfarben der persischen Musik, ihre Poesie und der durchweg überaus beseelte Vortrag, der auch dieses Konzert prägte, vermitteln einen eigenen Reiz. Umso bedauerlicher, dass die klassische persische Musik nicht öfter auf die Bühne gebracht wird. Es gäbe auch neben den anderen Ensembles von Hamid Motebassem noch vieles zu entdecken.

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Sonntag, 20. Januar 2013
Stürmisch bis lyrisch
Sophie Hunger im SAL in Schaan (FL)
Ein ungestümes «Rererevolution» zum Auftakt und das niedergeschlagene «Lied vor der Freiheitsstatue» in einer schönen A-cappella-Version am Ende des Sets: Sophie Hunger umspannt den ganzen Bogen der Gefühle und moduliert sie vom Anfang bis zum Ende. Die Songs für diese Stimmungswechsel fände sie auf ihrem aktuellen Album «Danger Of Light», von dem sie neben energiegeladenen Stücken auch besinnliche wie «Can You See Me?» und «Heharun» bringt. Doch sie beschränkt sich nicht darauf, ihr aktuelles Album herunterzuspielen, sondern bringt etwa vom Vorgänger «1983» (2010) das gleichnamige Titelstück und «My Oh My», das noch aus ihren Anfängen mit dem Rockquartett Fisher stammt und das sie schon länger in ihrem Live-Programm hat. «Damals haben wir uns gesagt, dass wir damit weltberühmt werden», erzählt sie in einer ihrer wenigen Ansagen – nur um dann zu zeigen, dass das Lied letztlich doch zu austauschbar für solch überspannte Erwartungen ist.


Nicht ohne meine Nebelmaschine – aber sonst inszeniert sich Sophie Hunger
ganz geschmackvoll.


Aber Sophie Hunger hat schon einiges geschafft. Sie wird international wahrgenommen und durchweg über den grünen Klee gelobt. Doch nicht die mit der euphorischen Berichterstattung verbundene Erwartungshaltung scheint sie zu belasten, sondern eine Erkältung. Dieser ist wohl geschuldet ist, dass Sophie Hunger manchen Ton nicht so lange hält wie erwünscht.


Ungekünstelt: Sophie Hunger kann unerkannt durchs Foyer schlendern und
gibt sich auch auf der Bühne schlicht.


Getragen wird sie auch von ihrer Band aus Multiinstrumentalisten, allen voran Keyboarder Alexis Anérilles, der neben Trompete und Flügelhorn auch mal zum Bass greift, und dem variantenreich und subtil akzentuiert spielenden Alberto Malo am Schlagzeug. Doch auch ihnen gelingt nicht immer der geforderte abrupte Wechsel zwischen druckvoll und poetisch. So wünschte man sich das Flügelhorn in den lyrischen Passagen etwas weniger fest, und dass Sophie Hunger, wenn sie die akustische Gitarre in den Vordergrund rückt, diese wesentlich sauberer spielt und nicht so, als ob sie ihre Gefühle auch noch dem letzten Zuseher im Wembley-Stadion begreiflich machen müsste.
Aber ein paar Wolken machen noch kein schlechtes Wetter und trüben auch kaum das wohlkonzipierte und in seiner geschmackvollen Schlichtheit auch optisch gelungene Programm.

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Sonntag, 2. Dezember 2012
Blues für Connaisseure und zum Mitklatschen
Eric Bibb & Habib Koité – Brothers in Schaan
Kommt der Blues aus Westafrika oder wurde er doch nur reimportiert? Möglicherweise ist es nur eine universale Grundstimmung, die den Blues und die ursprüngliche westafrikanische Musik-Erzählungen gemeinsam haben. Der Abend mit Eric Bibb und Habib Koité kann – und möchte – die Antwort nicht geben. Er zeigt aber, wie gut sich die Musiktradition der Bambara und der Blues zusammenfügen.


Seelenverwandte: Das Zusammenspiel ist für Habib Koité (l.) und Eric Bibb
eine Herzensangelegenheit


Habib Koité zählt nicht zu den ausgewiesenen Blues-Musikern wie Lobi Traoré, Grammy-Gewinner Ali Farka Touré und Boubacar Traoré, für die Mali bekannt ist. Er zählt zu den Liedermachern, die westliche Liedstrukturen mit traditionellen westafrikanischer Musik vermischen. Dass in seinem Spiel der typische Blues im Hintergrund steht, konventionelle Bluesriffs findet man bei ihm kaum, macht den Reiz am Zusammenspiel mit Eric Bibb aus, der gelegentlich zu einfachen, plakativen Kompositionen neigt. Dann bemüht er auch das überstrapazierte Klischee des schwarzen Amerikaners, der seine erste Reise nach Afrika als Nachhausekommen empfindet («On My Way To Bamako») oder prangert mit eher plumpen Worten die Konsumgesellschaft an («We Don't Care»).
Zwischendurch schieben die beiden sogar Songs vom Typ Gassenhauer dazwischen – fast so, als ob sie im Blues-Stadl auftreten würden. Tatsächlich wird auch das von ihnen erwartet. Bei diesen Stücken wird fast durchweg – wenn auch nicht von allen Besuchern auf eins und drei – begeistert mitgeklatscht.

Die Gemeinsamkeiten der beiden Musiker sind nicht mehr als die notwendige Voraussetzung für das Zusammenspiel, erst ihre Gegensätze machen die Musik von Eric Bibb und Habib Koité so anziehend. Der hart gespielte Blues und die kräftige Stimme von Eric Bibb unterscheiden sich sehr vom oft leger zurückgelehnt sitzenden Habib Koité, seinem zurückgenommenen Gesang und seinem über weite Strecken subtilen Spiel. Es ist nur eine vermeintliche Lässigkeit, denn die vertrackten Passagen – etwa des von ihm auf dem Banjo gespielten «Khafole» – schüttelt auch ein Habib Koité nicht aus der Hand.
In seltenen, sehr kurzen Passagen finden die beiden nicht wirklich zueinander. Trotzdem merkt man immer wieder, dass wohl Seelenverwandte sind und das Zusammenspiel eine Herzensangelegenheit ist. Und als sie sich beim letzten Stück und für die Zugabe erheben, mittänzeln und sich gegenseitig mit Blicken und Gesten anfeuern, sind die kleinen Kratzer im Lack längst vergessen.

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Montag, 26. November 2012
Spielen, tänzeln, sich lösen
Anouar Brahem im Haus der Kunst, München
Dass sich Anouar Brahem nach nur zwei Zugaben verabschiedet, wusste Manfred Eicher persönlich zu verhindern. Der ECM-Chef brachte dem Oud-Virtuosen einfach sein Instrument zur Bühne, als dieser mit seinen Kollegen den dritten Schlussapplaus genoss.

Anouar Brahem machte es sich mit einem kleinen Kniff etwas leichter: Er wiederholte einfach seine als zweites Stück gespielte Komposition «Dance With Waves». Der Grund dafür mag der plötzliche Ausfall seines Bassisten Björn Meyer sein. Unvermittelt zum Trio geschrumpft – neben Anouar Brahem an der Oud blieben Klaus Gesing, Bassklarinette, und Khaled Yassine an Darbuka und Bendir –, fehlten eine wichtige Klangfarbe und die Variationsmöglichkeit im tiefen Register. Dass Klaus Gesing den Ausfall wenigstens teilweise kompensieren konnte, ging ein wenig zu Lasten der Abwechslung. Öfters als wohl geplant spielten sich Brahem und Gesing die Bälle zu, spielten immer wieder Passagen zweistimmig, trennten sich, um ein wenig frei im Raum herumzutänzeln, bevor sie sich wieder zur gemeinsamen Melodie fanden.

Anfangs noch etwas verhalten wirkend, spielte sich das Trio zunehmend frei und agierte gelöst.
Anouar Brahem spielt seine Oud immer wieder mit festem Anschlag, was in den hohen Lagen manchmal metallisch klingt und in den tiefen mitunter zu hart. Ein Merkmal des Albums «The Astounding Eyes Of Rita» (2009), von dem die meisten der gespielten Stücke stammen, ist der warme Hall. Im Haus der Kunst gelingt es der Technik nicht, ihn zu reproduzieren. Kurz und hart wird er zurückgeworfen, was nicht nur den Klang der Oud mitunter durchschnittlich klingen lässt, sondern gelegentlich auch der Bassklarinette den Zauber nimmt.

Davon unbeeinträchtigt begeistert die Virtuosität der Musiker. Der junge Khaled Yassine bringt an Darbouka und Rahmentrommel nicht nur den treibenden Rhythmus, sondern setzt immer wieder mit leichter Hand überaus kunstfertige Akzente. Klaus Gesing und Anouar Brahem überzeugen nicht nur mit ihrem meisterhaften Spiel, sondern durchweg mit melodiösen und akzentuierten Soli. Klaus Gesing verlässt sich dabei nicht nur auf den weichen Klang der tiefen Register, sondern bläst seine Läufe auch in den hohen souverän und zaubert aus seinem Instrument auch mal Perkussions-Effekte. Anouar Brahem, dem bei Erscheinen seines letzten Albums «The Astounding Eyes Of Rita» vorgeworfen wird, sich seit einiger Zeit nicht mehr neu erfunden zu haben, bleibt nicht nur das Verdienst, zeitlos schöne Melodien zu komponieren, die sich mit den Jahren in der Mitte zwischen Orient und Okzident eingependelt haben und als universal betrachtet werden dürfen. In seinen Soli spinnt er diese Melodien weiter wie Geschichten, die erstaunliche Wendungen nehmen. So machte das Anouar Brahem Trio die technischen Unzulänglichkeiten vergessen – und beinahe auch die Klangfarbe, die Bassist Björn Meyer nicht beisteuern konnte. So bedauerlich sein überraschender Ausfall ist: Ihn zu vermissen ist ein Zeichen der Anerkennung – und auch das unerfüllte Begehren hat eine schöne Komponente.

Das Konzert des Anouar Brahem Trios fand im Rahmen der Konzertreihe zur Ausstellung «ECM — Eine kulturelle Archäologie» statt.

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Sonntag, 25. November 2012
Bildhaft und klar
Das Tarkovsky Quartet im Haus der Kunst, München
Die Kompositionen von François Couturier sind mehr als eine Referenz an den russischen Regisseur Andrei Tarkowski. Die formal strengen Kompositionen öffnen eine bildreiche Welt. Transparent, weitgehend klar und doch gefühlvoll – das Tarkovsky Quartet bringt seine Stärken auch auf der Bühne zur Geltung.

Das Tarkovsky Quartet hat mit seiner eigenwilligen Mischung aus Jazz, Klassik und ethnischen Einflüssen sowie mit seiner ungewöhnlichen Besetzung (François Couturier, Klavier; Anja Lechner, Cello; Jean-Marc Larché, Sopransaxophon; Jean-Louis Matinier, Akkordeon) eine eigenständiges und eigenwilliges Klangbild geschaffen. Es ist mehr als eine Referenz an den russischen Regisseur, nach dem es sich benannt hat. Der Name der Gruppe verweist darauf, dass sein musikalischer Weg den Hörer in eine bildreiche Welt führt. Doch die imaginären Filme, die das Tarkovsky Quartet beim Hörer evoziert, sind nicht nur dem russischen Autorenkino zuzuordnen: Die Bandbreite reicht von der atmosphärisch-dichten, unterschwelligen Dramatik, welche die Filme von Michael Haneke auszeichnet, über die subtile Üppigkeit, die die Filme von Peter Greenaway kennzeichnet, bis hin zu slapstickartigen Sequenzen, die vielen Stummfilmen eigen sind. Wenngleich es nicht nur Filme sind, die man mit der Musik des Tarkovsky Quartet verbindet – mal evoziert es die warme Abstraktion eines Juan Miró, dann wieder die harte eines Wassily Kandinsky –, so führen die Assoziationen in der Regel zum bildhaften Ausdruck.

Die Kompositionen von François Couturier sind von klassischer Strenge, an der sich auch die beseelte Interpretation orientiert. Auch wenn man sich gelegentlich an den Stil einer Volksweise erinnert fühlt oder das Cello mal leicht bluesig gezupft wird, sind die Stücke durchkomponiert. Stilelemente und Klangfarben werden zielgerichtet und wirkungsvoll, aber niemals effekthascherisch gesetzt. Kein Instrument wird – was durchaus originell sein könnte – zweckentfremdet, kein rhythmisches Klopfen auf dem Cello, kein exaltiertes Überblasen des Saxophons.
Dabei bringt das Tarkovsky Quartet die strenge Schönheit der Kompositionen so klar und differenziert auf die Bühne, wie man es vom Album kennt. Selbst wenn sich der Klang der Instrumente verschränkt, sind sie immer klar identifizierbar. François Couturier verbindet auf ureigene Weise Einflüsse von Minimal Music und Klassik, die sein Quartett einzigartig – subtil zwischen kontemplativen und lyrischen bis hin zu vorwitzigen Stimmungen changierend – umsetzt.

Das Konzert des Tarkovsky Quartets war der Auftakt einer vielversprechenden Konzertreihe im Rahmen der Ausstellung «ECM — Eine kulturelle Archäologie».

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Sonntag, 18. November 2012
Fernab von sicherem Terrain
Christian Zehnder, Arkady Shilkloper und John Wolf Brennan im Jazzclub Tangente in Eschen (FL)
Ein Trio mit Christian Zehnder ist per se originell. Wer als Musiker gegen den Kuriositätenbonus des Obertonsängers anspielen muss, hat es gewiss schwer, doch dem Hornisten Arkady Shilkloper und dem Pianisten John Wolf Brennan fällt die Aufgabe leicht.

Der beiläufige Hinweis von Christian Zehnder, dass das Trio bei jedem Auftritt anders klinge, wirkt wie unbegründete Koketterie. Die drei Musiker haben sich ihre Meriten längst erworben. Doch schon beim ersten Stück merkt man deutlich: Die drei, die noch nicht allzu lange gemeinsam spielen, bewegen sich oft fernab von gesichertem Terrain.

Der Obertongesang, in den 1960er-Jahren in die westliche Musik eingeführt, ist immer noch außergewöhnlich. Daher ist es nicht überraschend, dass Christian Zehnder im Mittelpunkt steht. Er bringt nicht nur westlichen Obertongesang, sondern singt auch in der asiatischen Tradition und wechselt immer wieder in den knarrig tiefen Kehlkopfgesang. Dazu beweist er als Tonpantomime, der alle Rollen einer hitzigen Auseinandersetzung verkörpert, auch komödiantisches Talent. Doch auch wenn Brennan und Shilklopper ihrem Kollegen immer wieder den Platz an der Sonne überlassen, stehen sie ihm in nichts nach. Arkady Shilkloper – er zählt zu den derzeit virtuosesten Alphornspielern überhaupt – bringt ungeahnt temperamentvolle Läufe, spielt sein Horn auch zweistimmig oder funktioniert es kurzzeitig zum Didgeridoo um, indem er einfach den dritten Teil des Rohres weglässt. Die Musik der australischen Ureinwohner zitiert er nur kurz, schon bald wechselt er von der Zirkularatmung zu kräftigen, rhythmischen Stößen und ersetzt so Bass und Schlagzeug. Wenn einer der drei ihre Instrumente verändern – Christian Zehner spielt schon seit vielen Jahren ein modifiziertes Akkordeon, von ihm als 'Wippkordion' bezeichnet – dann wohl nicht nur aus Lust an der Verfremdung, sondern weil es er Charakter des Stückes erfordert. So kann John Wolf Brennan den warmen Bordunton, der in einer Komposition die Grundlage für die Höhenflüge der Kollegen liefert, nur erzeugen, indem er einen gewachsten Faden durch die Klaviersaiten zieht.

Der Hintergrund jedes Stückes wird meist humorvoll erläutert. Dann macht etwa Christian Zehnder einen kleinen Exkurs zu den strengen Aufnahmekriterien japanischer Alphorn-Vereine (man muss ein Alphorn selbst gebaut haben) deren Bläser dafür «völlig inspirationsfrei spielen» würden. Er erzählt von den «letzten Ureinwohner Europas», die das Jodeln noch in den Tagesverlauf integriert hätten und man «noch vor der Zeitrechnung, wie die Pygmäen» jodle. So eindrücklich das folgende, von den Muotataler Jodlern inspirierte Stück klingt: Zehnders Hoffnung, es eines Tages auch im Muotatal zu hören, wird sich so lange nicht erfüllen, wie die dortigen Bauern ihren Stall nicht im 7/4-Takt ausmisten.

Jazzmusiker haben bereits lange vor der Erfindung der Weltmusik Elemente ethnischer Musik integriert. Christian Zehnder, Arkady Shilkloper und John Wolf Brennan scheinen mühelos das Vertrauen und die gemeinsame Basis gefunden haben, auf der sie ihre eigene Spielart entwickeln können. Dass sie auch live experimentieren und keine festgelegten Arrangements bringen, zeigen die Reaktionen der Musiker. So freut sich Arkady Shilklopper herzhaft über Zehnders vokale Eskapaden, sie wechseln anerkennende Blicke und signalisieren Erleichterung, wenn einer vom Seil zurück auf den sicheren Boden springt. Zehnders Hinweis, dass sie jedes Mal anders klingen würden, war offenbar ernst gemeint.

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Samstag, 17. November 2012
Gefühlvoll
Heidi Happy mit neuen und ein bisschen älteren Liedern
Sie wirkt wie das brave Mädchen, das sich die pensionierte Sekretärin von nebenan ihrem Enkel zur Frau wünscht. Den Ärger hinausschreien wie ihre rebellische Kollegin Evelinn Trouble? Ist Heidi Happy wahrscheinlich noch nie in den Sinn gekommen. Selbst übermütige Luftsprünge kann man sich bei ihr kaum vorstellen. Heidi Happy ist eher der Typ, der still vor Freude strahlt – viel mehr als gelegentliches Wippen im Takt erlaubt sie sich nicht. Auch das kann mitreißend sein.


Reduzierte Multiinstrumentalistin: Live spielt Heidi Happy «nur» Gitarre,
Glockenspiel – und ein kurzes Keyboard-Intermezzo.


Doch Heidi Happy ist alles andere als eine Langweilerin. Die Intensität ihrer feinsinnig konstruierten Songs kommt von innen. Sie und ihre überaus versierte Band bringen die Lieder gefühlvoll, gelegentlich mit einem überraschenden Bruch und ab und zu auch mit verschmitzt eingesetzten Klängen.
Beginnend mit «Canada», ihrem Lieblingsstück des neuen Albums «On The Hill», bringt die Luzernerin eine üppige Auswahl von Liedern der letzten beiden Alben. Sie kommen so sehr aus einem Guss, dass man meinen könnte, es habe keine Entwicklung stattgefunden. Doch dass sich das mitreißende «Sarah» so nahtlos an die atmosphärisch-ruhige, neue Komposition «Sailor» anfügt, zeigt nur, wie gut Heidi Happy und ihre Band die Stücke des symphonischen Popalbums «Hiding With The Wolves» für die Bühne transponiert haben.

Das neben ihrer Stimme wohl wichtigste Markenzeichen von Heidi Happy sind die Chorusse, deren Einzelstimmen sie im Konzert erst einsingt und dann im Loop ablaufen lässt. Das Prinzip strapaziert sie ein wenig zu sehr. Doch die von Tempo- und Rhythmuswechseln sowie einem großen Dynamikumfang gekennzeichneten Arrangements machen das weitgehend wett. Und den unprätentiös agierenden Musikern bei der Arbeit zuzuhören, ist durchweg ein großes Vergnügen. Gitarrist Charlie Zimmermann wechselt zwischen Dobro und E-Gitarre, er bluesrockt herzhaft beschwingt und bringt zwischendurch ein bisschen Italo-Western- und Country-Flair in die Songs, während Ephrem Lüchinger seine Hammond-Orgel wummen lässt und sich an ein paar dezent-knalligen Synthie-Pop-Einlagen freut. Der melodiös spielende André Pousaz am Bass und der subtil-abwechslungsreiche Schlagzeuger Arno Troxler halten das alles nicht nur zusammen, sondern machen es mit eigenen Akzenten richtig rund.

Die nächsten Konzerte von Heidi Happy

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