Sonntag, 23. Juni 2013
Hossein Mortezaeian Abkenar – Skorpion auf den Stufen des Bahnhofs von Andimeschk
Knapp, lakonisch und selbst Erschütterndes wird beiläufig erzählt: Die lange Erzählung von Hossein Mortezaeian Abkenar erinnert in mancherlei Hinsicht an die deutsche Trümmerliteratur. Kein Wunder, wenn der Vater der Texte der Krieg ist. Im Fall des iranischen Autors ist es der achtjährige Krieg, mit dem sich der Irak das von der Revolution geschwächte Nachbarland Iran einverleiben wollte. Hossein Mortezaeian Abkenar, der damals selbst als Soldat an die Front musste, beschreibt in «Skorpion» die schwierige Rückfahrt eines Kriegsheimkehrers. Halluzinierend und den Schikanen der Feldjäger ausgesetzt, die seine Entlassungsurkunde zerreißen, muss Mortesâ Hedâyati fürchten, als Deserteur wieder zurück an die Front geschickt zu werden. Zum Glück findet er immer wieder freundliche Helfer.

Vom Kriegsgeschehen völlig verstört wähnt Mortesâ Hedâyati noch immer seinen erschossenen Kameraden bei sich, gibt diesem Befehle und kümmert sich um ihn. Vielem anderem gegenüber ist er wiederum völlig gleichgültig. Selbst als ein anderer Mitfahrer, der neben ihm auf der Fahrt stirbt, vom Lastwagenchauffeur mit einem kurzen Gebet durch die Fahrertür auf die Straße geschubst wird, empfindet er offenbar keine Regung. Der Krieg – so vermittelt der Autor eindringlich und ohne es direkt zu benennen – hat alle abgestumpft, Mortesâ Hedâyati funktioniert wie eine Maschine.

«Skorpion auf den Stufen des Bahnhofs von Andimeschk» ist 2006 erschienen und wurde in der damaligen liberalen Phase sogar mit Preisen ausgezeichnet. Mittlerweile darf die Erzählung nicht mehr neu aufgelegt werden. Der anklagende Impetus, der in ihr steckt, passt nicht zur patriotischen Revolutions-Rhetorik, mit der sich das Regime verstärkt zu legitimieren versucht. Hossein Mortezaeian Abkenar schildert kein heldenhaftes Kriegsgeschehen, sondern stellt den Druck in den Vordergrund, den das eigene Regime ausübt. Er drückt sogar das Mitleid mit den gegnerischen Soldaten aus und überwindet so den nationalen Blickwinkel. Der Iran-Irak-Krieg dient ihm nur als Beispiel, an dem er die Auswirkungen des Krieges zeigt und verdeutlicht, dass dieser zu innerer Repression führt. Verstärkt wird der verstörende Eindruck durch abrupte Wechsel von Erzählung und Selbstgespräch, von Beschreibung und Delirium. Dann bringt der Autor nicht nur abgehackte Sätze, sondern zeigt das auch am Satzbild, indem er kurzerhand auf die Interpunktion verzichtet .

Mit knapper Sprache hat Hossein Mortezaeian Abkenar einen eindringlichen Text über die Folgen des Krieges geschaffen, der nicht nur deswegen aktuell ist, weil in zahlreichen Ländern Krieg geführt wird. Er sollte bei uns Verständnis wecken, weil 25 Jahre nach dem Ende des Iran-Irak-Kriegs wiederum Länder des nahen Ostens Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen sind oder unter deren Folgen leiden. Die Erzählung vermittelt deutlich die seelische Verfassung, in der sich viele Kriegsopfer befinden, die bei uns Schutz suchen.

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