Sonntag, 9. Januar 2011
Das Lebensgefühl an der Schnittstelle von Orient und Okzident
Andreas Herzau fotografiert das Leben in Istanbul
Seit einigen Jahren zählt Istanbul zu den angesagten Metropolen der Welt. An der Schnittstelle von Orient und Okzident gelegen, bietet es eine lebendige Kunstszene, die Clubkultur, die sich junge Europäer wünschen, und – selbst wenn man im Ausgeh-Viertel Beyoglu keinen Muezzin rufen hört – die notwendige Dosis Exotik. Der türkischstämmige Regisseur Fatih Akin hat mit seinen Filmen „Gegen die Wand“ und „Auf der anderen Seite“ sowie dem Musikfilm „Crossing the Bridge“ kräftig dabei mitgeholfen, die Stadt und ihre (Jugend)Kultur bei uns bekannt zu machen.

Das grossformatige Buch von Andreas Herzau ist eine Reportage in Bildern. Er fotografiert die Taubenfuttermittelverkäuferin vor der Yeni-Moschee, Menschen beim Warten und im Café, freizügige Werbung auf einem Bus und Gläubige beim Waschen ihrer Füsse vor dem Gebet. Viele Bilder wirken wie beiläufig entstandene Schnappschüsse. Sie sind gelegentlich recht roh, manche haben keinen eindeutigen Schärfebereich. Schwarzweiss-Aufnahmen durchbrechen die überwiegend farbigen Fotos.
Dem Mainzer Fotograf geht es um die Vermittlung von Stimmungen. Er zeigt seine persönliche Sicht der Stadt und nicht die eines Reiseführers. Er bringt viele Alltagsszenen, Menschen in den Strassen oder die aufgereihten Schuhe eines Strassenverkäufers. Seine bei den Streifzügen durch die Stadt entstandenen Bilder benennt er nach Stadtteilen, und nicht etwa nach dem Lokal, in dem er fotografiert hat, nicht nach der abgebildeten Moschee und auch nicht nach der portraitierten Person.

Natürlich kann man sich fragen, warum er nur ein Bild aus dem touristischen Sultanahmet-Viertel bringt, das nicht nur touristische Motive bietet, und wieso er so oft in Eminönü herumgestrichen ist und nicht auch mal Ortaköy, wo früher viele Armenier wohnten. Aber solche, oft von persönlichen Vorlieben geprägten Wünschen muss Andreas Herzau natürlich nicht entsprechen. Er ist seiner eigenen Route, seinem eigenen Spürsinn gefolgt. Und das ist gut so. Denn was zählt, ist, dass er mit seiner Sicht der Stadt ihr Lebensgefühl transportiert. Und das gelingt ihm zweifellos.

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