Dienstag, 18. Dezember 2012
Heidi Happy - On The Hills
So wie in den 1990er-Jahen plötzlich die Schweizer Britpop-Bands aus dem Boden schossen, verzeichnet die Confoederatio Helvetica seit einigen Jahren ihr Fräuleinwunder. Heidi Happy bestätigt mit „On The Hills“ einmal mehr ihre Klasse.

Nach ihrem Ausflug in die Welt der Pop-Philharmonie ist Heidi Happy wieder zum countrylastigen Folkpop zurückgekehrt. Die Schwermut ist nicht verschwunden, aber manche Lieder sind etwas fröhlicher ausgefallen, wodurch sie mitunter eine Spur banaler wirken. Heidi Happys Lieder sind ohnehin ein wenig gefälliger als beispielsweise die ihrer mehr dem kunstvollen Pop zuzuordnenden Kollegin Sophie Hunger. Aber Heidi Happy ist selbst dann nicht minder raffiniert, wenn sie wie in «Patient Heart» das naive Mädchen gibt – ein Rollenbild, mit dem sie noch immer gerne spielt und für das sich ihre Stimme hervorragend eignet.

«On The Hills» ist ein homogenes, abwechslungsreich arrangiertes Album. Wie immer stechen die Stimme der Luzerner Musikerin und der mehrstimmige Gesang hervor. Er ist eines der Markenzeichen von Heidi Happy und gibt manchen Liedern – etwa «I’m Busy» – einen leicht nostalgischen Touch. Mit ihm sorgt sie aber auch, in «Land Of Horses» für cineastische Dramatik. Die stärksten Stücke des Albums sind die melancholischen, «Canada» und «Not Long Ago», ein traurig-romantisches Duett mit Scott Mathew, dessen warm-weiche, gefühlvolle Stimme hervorragend mit der von Heidi Happy harmoniert.

Trotz gelegentlicher klischeehafter Passagen – etwa die künstliche Dramatik durch die verzerrte E-Gitarre in «Bad Boy» – finden sich auch auf diesem Album wieder jede Menge charmanter Ideen, von originellen Gesangsarrangements und einem schrägen 20-er-Jahre-Cabaret-Piano bis hin zu Elektropop-Anklängen.

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Sonntag, 16. Dezember 2012
Martin Tingvall – En Ny Dag
Martin Tingvall fühlt sich in unterschiedlichen Gefilden wohl. Als Jazzmusiker preisgekrönt und als Pop-Komponist hitparadenerprobt, integriert er ein seine Kompositionen auch Einflüsse aus Klassik und nordischer Volksmusik. Das Ergebnis sind poetische Lieder, die ihre Kraft aus großer Ruhe schöpfen.

Oft sind es Jazzmusiker, die Pop den Pep verleihen, ihn würzig machen und manchmal erst so richtig groß – Quincy Jones als Produzent von Michael Jacksons Hit-Alben, der Altsaxofonist Maceo Parker als regelmäßiger Gast bei Prince, der Jazzpianist Christoph Stiefel als Arrangeur von Schweizer Pop- und Rockmusikern wie Andreas Vollenweider und Max Lässer oder neuerdings auch Martin Tingvall als Hit-Komponist für Udo Lindenberg. Wirklich berührende Musik macht der junge Schwede allerdings mit seinem preisgekrönten Trio – und neuerdings auch solo.

In vierzehn musikalischen Szenen erzählt der Wahl-Hamburger von fallenden Sternen und herumtollenden Hunden, von der Melancholie nach dem letzten Tanz oder welche Gefühle das Hissen der Flagge beim Mittsommerfest in ihm auslöst. Martin Tingvall transponiert Erlebtes in lyrische Miniaturen. Die Kompositionen sind einfach, seine Melodien mitunter so eingängig wie die eines gediegenen Schlagers. Er braucht nicht viel, um sie von diesem abzuheben und in erhabener Schlichtheit erstrahlen zu lassen. Nichts ist pompös an den überwiegend ruhigen Kompositionen mit ihrer oft stimmungsvoll melancholischen Ausstrahlung. Manche Kompositionen sind so ruhig wie die eines Didier Squiban, andere von so viriler Leichtigkeit wie die eines Keith Jarrett (wenngleich Tingvall nicht improvisierend mäandert). Dass er sich stilistisch nicht beschränkt, die Einfachheit der nordischen Volksmusik genauso zulässt wie die Eingängigkeit des Pop, führt zu poetischen, zeitlos wirkenden Liedern, die ihre Kraft aus großer Ruhe schöpfen.

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Samstag, 1. Dezember 2012
Matthias Schriefl - Six, Alps & Jazz
Jazz und Volksmusik sind schon seit langem ein äußerst attraktives Paar. Matthias Schriefl hat es neu eingekleidet – traditionsbewusst und originell.

Es ist nicht gut bestellt um die Volksmusik. Die Biermösl Blosn sind Geschichte, und ohnehin sorgt nur die sogenannte volkstümliche Musik für ansprechende Quoten. Die Bewahrer – so scheint es – haben verloren. Auch der Studiengang Volksmusik an der Münchner Musikhochschule macht mit weniger als einer Handvoll eingeschriebener Studenten einen mehr als traurigen Eindruck.

Doch Tradition bleibt ohnehin nicht dadurch lebendig, dass man sie konserviert. Sie lebt weiter, wenn sie angepasst wird an Veränderungen, an neue Bedürfnisse. Die heutigen Volksmusiker kommen schon längst nicht mehr aus der Bauernstube. Sie haben oft – wie etwa Ils Fränzlis da Tschlin aus der Schweiz oder die Unterbiberger Hofmusik – Musik studiert und sich meist in anderen musikalischen Gefilden getummelt, bevor sie zur Volksmusik (zurück)gefunden haben.

Die Genre-Grenzen überschreitende Neue Volksmusik ist längst etabliert; der Jazztrompeter Matthias Schriefl schon ein Vertreter der zweiten Generation. Da er oft mit der Unterbiberger Hofmusik spielt, ist seine Hinwendung zur Volksmusik auf «Six, Alps and Jazz» nicht überraschend. Dabei reichert der junge Allgäuer seinen virtuosen Jazz nicht bloß mit volksmusikalischen Elementen an, sondern interpretiert zum Teil arg geschundenes Liedgut neu. So bringt er den «Andachtsjodler» nach einem an mongolischen Obertongesang erinnernden Intro lässig zum Grooven, um es dann im konventionell schönen mehrstimmigen Gesang ausklingen zu lassen. Mit «S’isch Mer Alles Oi Ding» wiederum bietet er eine wilde, freejazzige Melange an Klängen. Dabei hat man nie den Eindruck, dass Schriefl mit dem Material respektlos umgeht – im Gegenteil: Das Ausloten des Potenzials, das in diesen Stücken steckt, darf man als Ehrerbietung verstehen.

Eingespielt hat Matthias Schriefl das Album mit einer ganzen Riege an Multi-Instrumentalisten und größtenteils dort, wo die Musik herkommt – auf dem Land in der Scheune, im Bauernaus und im Berggasthaus, wo nicht nur die Kinderstimmen das Spiel kommentieren, sondern ein – angeblich spontaner – Chor den «Punzenjodler» mitsingt. Matthias Schriefl zeigt einmal mehr, wie gut Volksmusik und Jazz zusammenpassen – und dass er ein gutes Händchen beim Arrangieren hat. Dass er wie immer überaus virtuos spielt, sei nur der guten Ordnung halber erwähnt.

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Mittwoch, 28. November 2012
Neil Young - Psychedelic Pill
Warm und weich, rund und doch kraftvoll, bestimmt – Neil Young kultiviert wieder einmal den «Rust-Never-Sleeps»-Klang. Roh und dumpf grummelt das Feedback. Die mitunter ausufernd langen Stücke fließen wie ein mächtiger Fluss, der auf seiner Reise alles mitnimmt, was sich ihm in den Weg stellt. Das ist nicht immer ein reines Naturschauspiel, es gibt auch einige Kollateralschäden: Die Backing Vocals in «Walk Like A Giant» klingen mitunter, als hätten Neil Young und seine verrückten Pferde zu viel Beach Boys gehört. Und die gepfiffene Passage im gleichen Stück wären in einem Pennäler-Film der 50er-Jahre nicht schlimmer ausgefallen. Doch wenn «Walk Like A Giant» nach 14 Minuten schwerfällig zum Beinahe-Stillstand kommt, fast ausklingt, um sich dann doch noch einmal zum furiosen Ende aufzubäumen, ist man doch wieder versöhnt. Dass Neil Young dann eine Reprise des Mitstampf-Krachers «Psychedelic Pill» hinterher schiebt, ist überraschend – und überraschend passend.

Neil Young greift zwar auch zur akustischen Gitarre, aber er bringt keine rein akustischen Songs. Seine Melodien sind wie gewohnt einfach, mitunter gar lieblich. Ein «Heart Of Gold» fehlt allerdings ebenso wie ein «Pocahontas», auf der ungestümen Seite vermisst man einen Song in der Qualität von «Hey Hey, My My (Into The Black)». Es gibt also keine Nummern, in die man sich vom ersten Takt an verliebt, stattdessen immer wieder Eigenheiten, auf die er hätte verzichten können. Trotzdem sind es nicht nur die elegischen, wie verwurzelt wirkenden, erdigen Stücke «Walk Like A Giant» und «Driftin Back», die – trotz kleiner Irritationen – ihre Sogwirkung ausüben. Die mit knapp 17 Minuten Länge nicht eben kurze altersmilde Betrachtung einer auch durch Tiefschläge gewachsenen Beziehung «Ramada Inn» oder seine Beobachtung, wie ihn im Alter seine Herkunft einholt (in «Born In Ontario»), haben eine lange Halbwertszeit. Da darf er zwischendurch gerne mal ein bisschen pfeifen.

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Dienstag, 6. November 2012
Various - Franz Josef Degenhardt: Freunde feiern sein Werk
Vor zwanzig Jahren absolvierte ich einen Workshop in einem alternativen Selbstversorger-Zentrum. Während wir an Hörspielen puzzelten, erholten sich die anderen Gäste, durchweg eingefleischte Antikapitalisten, vom Klassenkampf. Eine sympathische Atmosphäre, deren Würze ein paar Eigenheiten waren, derentwegen wir unsere Eltern als spießig gescholten haben. Der Vorzeige-Kommunist studierte jeden Morgen die Aktienkurse in der NZZ. Seine Welt teilte er trotzdem in unten und oben ein, in Ausbeuter und Ausgebeutete. Welche Musik er hörte, weiß ich nicht. Für Kultur war neben Aktien und Klassenkampf kein Platz.

Dabei war er selbst ein Paradebeispiel dafür, dass die Fronten längst aufgeweicht sind, im Unten immer auch ein bisschen Oben mitschimmert. Dass Franz-Josef Degenhardt in seinen frühen Liedern eine klare Trennlinie zog und vielleicht später nicht mehr ganz aus seiner Haut konnte, ist verständlich. Aber selbst er, der gerne vom «Klassenfeind» sprach, erhob nicht nur plump den Zeigefinger gegen die Ungerechtigkeit. Er umschrieb sie poetisch und zeigte sich in seinen besten Liedern als einfühlsamer Beobachter, der die Geschichten für sich sprechen ließ. Viele seiner Lieder sind – auch wenn sie angesichts der aktuellen Wirtschaftslage etlichen aus der Seele sprechen mögen – durchaus nicht zeitlos. Man muss sie im historischen Kontext betrachten, um die altbackene Begrifflichkeit akzeptieren zu können.

Franz Josef Degenhardt hat tolle Lieder geschrieben: «Väterchen Franz», «P.T. aus Arizona», «Spiel nicht mit den Schmuddelkindern» und viele mehr. Ihn zu feiern und ihm ein Tribute-Album zu widmen, ist gerechtfertigt. Zu sehen, was denn seine Nachfolger wohl mit den Liedern anstellen, ist ein interessanter Ansatz. Neben einiger altgedienter Musiker wie Konstantin Wecker machen bei diesem Album Goetz Steeger (der Degenhardts letzten Alben produziert hat), Degenhardts Söhne Kai und Jan, die «Kleingeldprinzessin» Dota und Daniel Kahn mit. Doch egal wie jung die Interpreten sind: Sie präsentieren keine neue Lesart der Lieder, und sie bringen sie nicht frischer und lebendiger als der Degenhardt selbst. Und was noch schlimmer ist: Die meisten der eigenen Stücke – jeder Interpret liefert neben einem Degenhardt-Cover auch einen eigenen – klingen ebenso wie von gestern. Allenfalls Dota und Daniel Kahn heben sich davon ein wenig ab, und auch das kraftvolle Spiel Konstantin Weckers kann wieder begeistern.

Der klassische Protestsong hat ausgedient. Niemand wartet mehr auf ein neues Album von Wolf Biermann. Und auch Musiker wie der auf diesem Album nicht vertretene Heinz Ratz (Strom & Wasser), der seine Überzeugung wie kaum ein anderer Protestsänger mit tatsächlichem Engagement verbindet, hört man nicht nur wegen der Haltung: Seine Umsetzung in witzige Texte, sein drängender Gesang und die oft forsche Musik sind ebenso essenziell.

So gerne ich kritische Lieder höre und so sehr ich das Engagement für Veränderung schätze: Meist bleibt ein unangenehmer Beigeschmack, weil oft Poesie und Originalität auf der Strecke bleiben und weil die meist undifferenzierte, plakative Beschreibung der Verhältnisse nichts anderes als populistisch ist.

Es ist eben alles nicht mehr so einfach wie früher – obwohl es, objektiv betrachtet, auch damals schon ganz schön kompliziert war.

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Sonntag, 30. September 2012
Tinu Heiniger – Bis a ds Ändi vo der Wält
Tinu Heiniger ist der wohl leiseste unter den Schweizer Musikern. Der Liedermacher erzählt hintersinnige, subtil humorvolle Geschichten und betrachtet voll poetischer Zuneigung die Nebensächlichkeiten der Welt – und zeigt so im Kleinen das Große.
Leicht rumpelnd, aber nicht ganz so grob wie Tom Waits, eröffnet Heiniger mit dem Titelstück. Einige Takte mit Schlagzeug und Klavier, dann eine geschmeidig groovende Posaune und schon folgt die angenehm warme Stimme von Tinu Heiniger. Unaufdringlich, aber doch bestimmt, changiert er zwischen Sprechgesang und Lied.
Während manche seiner Lieder von ausgeprägten Motiv- und Tempowechsel leben, hält er andere so schlicht wie ein Gute-Nacht-Lied. Wenn er dann die Liebe anspricht («S wird gäng eso sy»), geht er auch hart an die Kitschgrenze – einzig seine einfühlsame Interpretation verhindert, dass er sie durchbricht. Heiniger erliegt jedoch keiner falschen Romantik. Und obwohl er längst wesentlich milder ist als zu Beginn seiner Karriere – seine erste, 1976 erschienen Platte war wenig subtil mit «Es schysst mi a» betitelt – parodiert er mit «Zwärgeland 2» die aktuellen politischen Verhältnisse.
Dass er in berndeutscher Mundart singt, für die meisten der schönste und angenehmste Schweizer Dialekt, sollte auch bundesdeutsche Hörer nicht abschrecken. Die Texte sind im Booklet abgedruckt, und die universale Sprache der Musik unterstützt auch dabei, sie zu verstehen.

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Samstag, 2. Juni 2012
Die Aeoronauten - Too Big To Fail
Die Aeronauten sind wie die Klitschkos und treten eigentlich nur gegen sich selbst an. Kein Wunder, sie fühlen sich omnipotent. Doch selbst wer zu großartig ist um zu fallen, muss (sich) das immer wieder beweisen – besonders im dreißigsten Jahr des Bestehens.

Ihre Melodien sind unverschämt eingängig und trotzdem trägt ihr Klang noch immer die rustikale Note, welche die Aeronauten immer schon liebenswert gemacht hat. Dazu sind die Texte von Oliver Maurmann so schräg und originell wie bei keiner zweiten Schweizer Band. Ganz im Sinn, dass auch das Private politisch ist, singt er über den persönlichen Reifeprozess, kommentiert aber auch – ohne es explizit zu benennen – aktuelles Geschehen. So verweist etwa "Too Big To Fail" zwar auf die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise, aber zum primitiven Banken-Bashing, das man bei diesem Titel durchaus erwarten könnte, lassen sie sich nicht herab.
Die oft von einem ironischen Ton geprägten Lieder sind nicht nur textlich humorvoll: «IQ 39» erinnert an einen T-Rex-Heuler, "Das Ende ist nah" zeigt wie man den drohenden Weltuntergang empfangen soll: ausgelassen und mit einem fröhlichen Lied, dessen Chorus in der Art des 60er-Jahre-Pop durchaus hart an der Kitschgrenze schrammen darf. Wie immer bedienen sich die Aeronauten freizügig im Pop-Arsenal vergangener Zeiten, bieten einmal sogar Country- und Dixieland-Anklängen, haben rockige Gitarren und immer wieder fetzige Bläsersätze.

Zum Jubiläum haben sich die Aeronauten ein Doppelalbum gegönnt. Neben zwölf fast durchweg erstklassigen Songs (auch der Ausreißer «Uswanderer» ist zu verkraften) zelebrieren sie ihre Liebe zu B-Movies. 14 Instrumentalstücke, zum Teil mit Dialogen aus Filmen unterlegt, führen in die Welt altmodischer Krimis und Klopper-Filme.

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Dienstag, 22. Mai 2012
Erstes Wiener Heimorgelorchester – Ütöpie

Sie geben an, keine Vorbilder zu haben und erinnern trotzdem ungemein an den Synthie-Pop der 80er-Jahre. Das mag an den einfachen Instrumenten liegen, die das Erste Wiener Heimorgelorchester (EWHO) seit fast zehn Jahren unverdrossen einsetzt – simple Keyboards für den Hausgebrauch, die jeder auch nur halbwegs ambitionierte Keyboardnovize rundheraus ablehnen würde. Sie erinnern quasi automatisch an die Frühzeit der elektronischen Popmusik. Originalität und Eigenständigkeit hat das Quartett hinlänglich bewiesen, und die Bezüge zur Vergangenheit – wenn sie denn doch gewollt sind – sind nicht epigonal, sondern ironisch gebrochen.
So kann man «Käseleberkäse» mit seinem harten, stupenden Rhythmus als DAF-Persiflage lesen. Nur dass das EWHO nicht mehr provozieren muss und zum Leberkäseessen auffordert. Wobei sie noch einen doppelten Boden eingezogen haben: Aufgrund der Mundart ist es nicht eindeutig, ob es sich um eine Aufforderung handelt oder um eine Feststellung. Gleichzeitig machen sie sich ganz nebenbei über den einzigen Hit der österreichischen Band Opus (1985) lustig: «Live is life», singt das EWHO, «Rotwein rot/ Weißbrot weiß/ tot ist tot».

Als Connaisseure erweisen sich die Wiener durch die Vertonung des absurd-abgründigen Ror-Wolf-Gedichts «Das Nordamerikanische Herumliegen», dessen groteske Komik sie apokalyptisch-düster umsetzen. Diese Vertonung verdeutlicht auch, wo sich das EWHO ansiedeln möchte: bei den Dichtern der literarischen Hochkomik, Robert Gernhard, seinen Kompagnons von der Neuen Frankfurter Schule und ihren Vorläufern wie Christian Morgenstern und Ernst Janda. Das ist keineswegs vermessen. Denn selbst die scheinbar reinen Nonsens-Texte der Gruppe sind hintersinnig. Wenn sie, wie im gleichnamigen Lied, über das Echo singen, verstärken sie dessen Wirkung nicht bloß, sondern verkehren sie ins Gegenteil. Dann zieht sich der Ich-Erzähler des Stücks zwar mit seinem Kamm nur «nachlässig einen Scheitel», doch das Echo wirft ihm ein «eitel eitel eitel eitel» zurück. Und wenn er sich einredet, dass sie nur bei ihm sein wolle «und zwar sofort», entlarvt dies das Echo sofort als Trugschluss und wirft ihm umgehend sein «fort fort fort fort» zurück. Dafür gibt es keine Vorbilder.

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Sonntag, 6. Mai 2012
Adam Arcuragi - Like A Fire That Consumes All Before It
Die Etikette «Death Gospel», mit der Adam Arcuragi seine Musik versehen hat, braucht mehr Erklärung, als sie beim Einordnen seiner Musik hilft. Man kann sich seinen Liedern aber auch ohne intellektuelle Auseinandersetzung hingeben.

Die Musik von Adam Arcuragi ist energiegeladen und versprüht durchaus Lebensfreude. Die Bezeichnung «Death Gospel» bezieht sich auf seine Einschätzung, dass – salopp gesagt – das Leben kein Zuckerschlecken ist und letztlich vom Ende bestimmt wird; von der Vergänglichkeit, die auch die schönsten Momente mit Schwermut überzieht. Deshalb sollte man gemäss Arcuragi der Freude an den schönen Seiten des Lebens umso vehementer Ausdruck verleihen.

Folk, Country, Americana und von Gospel inspirierte, mächtige Chorusse zeichnen die meist in forschem Tempo gespielten Stücke Arcuragis aus. Der oft prägende Chorgesang lässt die Stücke überaus hymnisch wirken. Dabei sind es nicht feinsinnige Engel, die hier rufen. Intensität und Leidenschaft stehen bei Arcuragi, der seine Lieder durchweg mit rauer Stimme intoniert, im Vordergrund. Und der Liedermacher aus dem Südwesten der USA singt so dringlich, als ob er das Ende durch die Inbrunst seines Gesanges aufhalten wollte. Der Titel des Albums zeigt schon, dass Arcuragi durchaus Wuchtiges im Sinn hat: «Like A Fire That Consumes All Before It» verweist auf die Ilias, die Homer zugeschriebene Erzählung vom Trojanischen Krieg. Epische Ereignisse brauchen keinen weinerlichen Erzähler, der dem Ende entgegenzittert. Sie brauchen eine starke Stimme und kraftvolle Musik. Adam Arcuragi bringt dazu noch den Willen zum überbordenden Pathos mit. Mit welcher Etikette er sich vermarktet, ist völlig gleichgültig. Das aktuelle Nebeneinander der Stile macht eine Abgrenzung, wie sie beispielsweise für Outlaw Country noch sinnvoll war, völlig überflüssig. Und sie täuscht auch nicht darüber hinweg, dass er die Musik nicht grundsätzlich neu erfindet. Aber das wäre auch zuviel verlangt.

Konzerte: 7.5. Jena, 8.5. Hamburg, 10.5. Aachen, 13.5. Freiburg, 14.5. Tübingen, 19.5. CH-Zürich

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Sonntag, 22. April 2012
Richard Koechli - Howlin' With The Bad Boys
So weit ist die Schweiz gar nicht von den USA entfernt: Schon Erika Stucky hat festgestellt, dass die traditionelle Musik so tief in die Seele geht wie der Blues. Da überrascht es nicht, dass dieses Land auch hervorragende Blues-Musiker hervorbringt. Obwohl sich der Innerschweizer Gitarrist Richard Koechli als Roots-Musiker versteht und auf den Spuren von Folk, Blues und Country wandelt, hat er sich für «Howlin With The Bad Boys» ganz dem Blues verschrieben. Aus fast praktischem Grund: In seinem jüngsten Buch – Koechli ist auch Autor von Gitarre-Lehrbüchern – vermittelt er die Spieltechniken der großen Meister des frühen akustischen Blues. Sich mit eigenen Songs auf die Spuren der Vorbilder und Inspiratoren zu begeben ist naheliegend.

Koechli, der alle Songs selbst geschrieben hat und mit einschmeichelnd-brüchiger Stimme auch singt, widmet sich zwar den typischen Blues-Themen von Schmerz und Verlust (in «Bruno» etwa über seinen früh und qualvoll verstorbenen Bruder), gleitet aber nicht romantisierend ins Gestern zurück: Im «CEO Worksong» trägt er – zwar eindimensional und stereotyp, aber ist nicht Simplizität ein wichtiges Kennzeichen des Blues? – den veränderten Arbeitsbedingungen Rechnung. Auch wenn Koechlis Texte – er singt in Schweizer Mundart, Englisch und Französisch – einfach sein mögen, sein Spiel ist gleichermaßen entspannt und dringlich. Er beherrscht das subtile Fingerpicking auf der akustischen ebenso wie die Slides auf der E-Gitarre.

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