Sonntag, 18. Oktober 2009
Mein Mio - Irgendwo in dieser großen Stadt
Ihren Bandnamen haben sie dem Titel einer Astrid-Lindgren-Geschichte entnommen und ihre Lieder nennen sie Großstadtmärchen. Sind die vier jungen Herren bei Märchenbüchern hängen geblieben? Meinetwegen. Vielleicht hat ja das für die Sensibilität gesorgt, mit der sie ihre Lieder arrangiert haben, und für das Gespür, mit der Sebastian Block textet und singt.
Großstadtmärchen schreibt er übrigens nicht, sondern durchaus über die normalen Befindlichkeiten: über die Liebe natürlich, über die Sehnsucht, dass der Freitag und die Wochenendbeziehung kommen mögen, und auch über die Suche nach dem richtigen Platz in der Welt. Block findet seine eigenen Worte und seine Band die passend gefühlvollen und spannend aufgebauten Ohrwürmer. Die Lieder von Mein Mio wirken - bei allen vorhandenen Reminiszenzen - zeitlos. Sie sind durchdacht und einfach schön.

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Montag, 14. September 2009
Werner Aeschbacher - Solo
Das lange verachtete Akkordeon ist mittlerweile ein zumindest unter Musikfreunden respektiertes Instrument. Das ist nicht nur Tex-Mex-Musikern wie Flaco Jimenez zu verdanken, sondern auch Indie- und Jazz-Bands ohne Scheu (Calexico, Tin Hat Trio) und natürlich besonders Akkordeonisten wie Bratko Bibic, Maria Kalaniemi und Guy Klucevsek, die sich mit Otto Lechner zu Accordion Tribe zusammengefunden haben. In der Schweiz sind es der avantgardistische Akkordeonist Hans Hassler, Erika Stucky oder der im Traditionellen verwurzelte Werner Aeschbacher.

Werner Aeschbachers Stücke sind durchweg einfach, minimalistisch und unaufgeregt. Es sind Stücke von einem, der in sich hineinhorcht, Lieder die atmen. Gelegentlich sind sie sogar 'lüpfig' (leichtfüßig) - und dabei trotzdem bei weitem nicht so oberflächlich wie die normalerweise als 'lüpfig' bezeichnete Volksmusik. Werner Aeschbacher bedient auch Menschen, die sich gerne zum 3/4-Takt drehen, aber er legte es nicht darauf an, ausgelassene Massen zu übertönen. Er spielt für die leisen Genießer; seine Lieder wollen, dass man in sie hineinhört.

Aufgefallen ist Werner Aeschbacher durch die überraschende Zusammenarbeit mit Martin Hägler, der seinen Stücken einen avantgardistischen Touch verlieh. Manche der mit Hägler eingespielten Stücke - das lebendige "A Ufsteuer füre Ueli" oder das originelle "Banana Joe" - bringt Werner Aeschbacher auch auf seinem ersten Soloalbum. Und siehe da: Es fehlt nichts. So schön und interessant die moderne Begleitung ist - die Stücke von Werner Aeschbacher kommen problemlos ohne sie aus. Und das nicht nur, weil er den Klang der unterschiedlichsten Knopfharmonikas auslotet, sondern die traditionellen Grundlagen genauso in seine eigene Sprache transponiert wie fremde Einflüsse von Musette, Tango und Tarantelle.

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Samstag, 25. Juli 2009
Chris Isaak - Mr. Lucky
Warum nicht mal eine Schmalzbacke auflegen, einen Abgewiesenen, einen auf Liebesentzug?
Von Chris Isaak hat es lange kein neues Album gegeben. Auch wenn es von ihm kaum herausragende Lieder gibt, mit Wicked Game ist ihm ein Evergreen gelungen, der nicht nur in der Version von Les Reines Prochaines grossartig ist. Das kann Chris Isaak mit Mr. Luck" nicht wiederholen. Er bleibt bei überwiegend sehnsuchtsschmalzigen Liedern, in denen er der verlorenen Liebe hinterher weint oder von verschenkten Herzen singt. Mit dem konventionell-fetzigen Mr. Lonely Man zeigt er seine durchaus angenehme, flotte Seite. Abwechslung bringen das exzellente Duett mit der Country-Sängerin Trisha Yearwood, die Hawaii-Anklänge von Take My Heart oder der Country-Rock-Song Best I Ever Had.
Mr. Lucky bietet keine Meilensteine, aber - gefällig und sorgfältig produziert - äußerst gediegenen Mainstream. Und das darf es zwischendurch ja auch mal sein.

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Dienstag, 7. Juli 2009
Werner Muth - Muths Koffer
Dieser Koffer wird in jedem Online-Shop feilgeboten. Doch obwohl er schon seit Monaten herumsteht, scheint sich kaum jemand dafür zu interessieren. In den Medien gibt es kaum Produktvorstellungen, mit Erfahrungsberichten in Internet-Foren ist es nicht anders. Selbst der Name des Duisburger Liedermachers Tom Liwa (Flowerpornoes), der dieses Album gemeinsam mit der Indie-Band Arms Akimbo und der Musikerin und Schauspielerin Manuela Weichenrieder eingespielt hat, scheint nicht zu ziehen.
Woran liegt das – schreckt Lyrik ab, mangelt es am Vertrieb? An den von Werner Muth mit sonorer Stimme gelesenen Gedichten kann es ebenso wenig liegen wie an den Liedern, die seine Kollegen aus den Texten gezaubert haben – mit zweistimmiger Rezitation, folkigen Lieder und mit zarter Musik untermalten Gedichten, mit bluesigen Anklängen und einer kakophonischen Hörspielsequenz zaubern sie ein vielfältiges und trotzdem homogenes Album. Obwohl die Gedichte Solitäre sind und nicht aufeinander Bezug nehmen, wirkt der Ablauf stimmig, fügen sich die Stücke aneinander wie bei einem Konzeptalbum.
Die Gedichte des spät berufenen Autors wirken oft sehr persönlich. Sie wirken abgeklärt und lebenserfahren, gelegentlich aber – auf eigenartig angenehme, altmodische Weise – auch jugendlich frisch und ungestüm. Werner Muth thematisiert sein Verhältnis zu Amerika (er selbst nennt neben Heinrich Heine auch Jack Kerouac als wichtigen Einfluss), hinterfragt sein – und damit auch unser – Verhalten. Selbst humorige Texte, wie die Einladung ins Wrackmuseum Stickenbüttel (das es tatsächlich gibt), haben noch eine ernste Ebene, und seine zahlreichen Liebesgedichte sind auch ohne falsches Pathos und frei von kitschigen Bildern anrührend.

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Freitag, 26. Juni 2009
Seun Kuti & Fela's Egypt 80 - Many Things
Jetzt also auch der kleine Bruder: Nachdem Femi Kuti den von seinem Vater Fela miterfundenen Afrobeat weitergeführt hat, kommt mit Seun das nächste Familienmitglied. Der jüngste, jetzt 27-jährige Seun hat sich mit seinem Debütalbum lange Zeit gelassen. Er hatte bereits nach dem Tod seines Vaters (1997) dessen Band Egypt 80 übernommen, der er schon angehört, seit er neun Jahre alt war.

Während Femi Kuti die sanftere, an den Jazz angelehnte Version des Afrobeat spielt und seinen eigenen Weg sucht, kennt Seun keine Emanzipationsgelüste. Die Songs sind ganz im Geist des Vaters -- von der politischen Einstellung, den unwirschen und in unverblümten Pidgin-Englisch hingeworfenen Worten und der stolzen Haltung des Sängers und Saxophonisten bis hin zum Klang. Seun Kutis Afrobeat ist rau wie seine Stimme. Er glänzt mit funkigen Gitarren, scharfen Bläsern und treibendem Chorgesang.

Die auf Many Things enthaltenen Songs spielt Seun Kuti schon lange live; jetzt ist das bereits im vergangenen Jahr erschienene Album auch in Deutschland erhältlich.

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Donnerstag, 18. Juni 2009
Justin Adams & Juldeh Camara - Tell No Lies
Erst gingen die europäischen und amerikanischen Musiker – zum Beispiel Damon Albarn – nach Afrika, um Inspirationen zu suchen, dann holten sich die afrikanischen westliches Knowhow ins Land (Amadou & Mariam). Das Feld der Kollaborationen ist abgegrast. Justin Adams weiß das. Er ging in den 1990er-Jahren mit Jah Wobble auf musikalische Entdeckungsreise und produziert unter anderen die marokkanische Tuareg-Blues-Band Tinariwen.
Den ersten eigenständigen Erfolg feierte der Gitarrist (u.a. in der Band von Robert Plant) nach der Jahrtausendwende mit seinem vom afrikanischen Blues inspirierten Album "Desert Road", den er mit dem Album "Soul Science", eingespielt mit dem Gambier Juldeh Camara, noch übertreffen konnte. Mit "Tell No Lies" kombiniert er die treibenden, vorwärtsgerichteten afrikanischen Rhythmen mit rohem Blues ("Tonio Yima") und Rock'n'Roll-Klängen der 1950er-Jahre ("Kele Kele"). Das bietet sich an und bietet immerhin eine neue Facette der euro-afrikanischen Zusammenarbeit. Anders als das artifiziellere und eigenständigere Album "Mali Music", das vom Entdecken neuer Ideen lebt, liegt der Reiz von "Tell No Lies" im Wiedererkennen der neu erweckten alt(modisch)en Klänge. Die Melange klingt – vor allem bei den flotteren Stücken – trotzdem recht frisch und unterhaltsam.

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Sonntag, 7. Juni 2009
Ringsgwandl - Untersendling
Keine kuriosen Ausflüge ins Zitherspiel, etwas weniger Klamauk und doch voller Witz: "Untersendling" - musikalisch tadellos funkig, rockig und folkig, melodiös, abwechslungsreich und kompakt - ist ein Album, wie man es von Ringsgwandl erwarten darf.
Inhaltlich bewegt sich der bayerische Liedermacher und Kabarettist auf vertrautem Terrain. Er betet wieder eine Frau an, der sonst niemand ein Lied widmet (hervorragend, Beim Bäcker Meier), übt Kapitalismuskritik (zu einfach, Schuah putzn), macht sich über gehörnte Ehemänner lustig (nicht durchgehend stilsicher, Analog) und thematisiert die Veränderung der Heimat (gelungen, Dahoam is net dahoam). Er spielt wieder den armen Einsamen und den unter die Räder kommenden Angestellten, aber auch den gewitzten Kommentator, der es sich mitunter zu leicht macht.

Von Ringsgwandl darf man mehr erwarten als stereotype Betrachtungen über Vorgesetzte, die tadellos wirken aber letztlich doch knallhart ihre eigenen Interessen verfolgen, oder über erfolgreiche (und nach Ansicht von Ringsgwandl und Stammtischpolitikern damit zwangsläufig skrupellose) Unternehmer, die ihre Beziehung vernachlässigen und deren Frau in den Armen der von ihnen Verachteten landen. Doch auch dann, wenn die grobe Richtung zu einfach ist, setzt er immer wieder mit eindrücklichen Beobachtungen und witzigen Formulierungen kleine Rettungsanker für weniger gelungene Lieder.
Wenn das Album mit dem einfachen, eindringlich-ruhigen und subtilen Kemma Sehng ausklingt, ist man ohnehin mit Allem versöhnt.

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Dienstag, 2. Juni 2009
Lenz - Augen auf und durch
Wir hätten den Beweis nicht mehr gebraucht, dass deutsche Pop-Texte durchaus literarisch sein können. Aber es ist schön, dass es uns das Berliner Trio aufs Neue zeigt, auch wenn sie es nicht ganz frei von Platitüden schaffen. Zeilen wie In jedem Wort steckt ein Roman/In jeder Brise ein Orkan/In jeder Freude steckt auch Leid/In Langeweile steckt viel Zeit passen besser ins Poesiealbum, und dass die Träume Schäume bleiben, sollte sich für Herren im fortgeschrittenen Pop-Alter eigentlich von selbst verbieten.

Aber das Album besteht ja nicht nur aus Ausrutschern, und Lenz geben gar nicht vor, das Rad neu zu erfinden. Die Berliner suchen sich in der weiten und überwiegend eintönigen Welt des Pop ihre eigene Nische. Diese richten sie sich nach ihren Vorbildern (sie selbst nennen The Beatles und Coldplay) mit überwiegend getragenen Melodien kuschelig ein. Oft stehen Klavierklänge im Vordergrund, mitunter Gitarren, und über allem deutlich der Gesang.

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Mittwoch, 20. Mai 2009
Spencer - Timewarp
Es ist weit mehr als zehn Jahre her und ich musste zum Konzert des Radiokollegen. Er ist nett, wegzubleiben wäre unfreundlich gewesen. Er spielte in in einem kleinen Club im Schweizerischen Baden, den Namen seines Trios habe ich längst vergessen. Nicht vergessen habe ich den Auftritt. Der Kollege überzeugte als Frontmann und versierter Gitarrist, er sang und kasperte ein wenig. Ich war beeindruckt und überzeugt: der wird Erfolg haben. Den hatte er, wie ich später von weitem beobachten konnte -- allerdings als Journalist, der neben seinem Brotjob verschiedene Schweizer Indie-Radios mit frischer Musik versorgt und hoffnungsfrohe Nachwuchsbands aller Stilrichtungen ins dafür viel zu kleine Studio quetscht, um deren Musik live durch den Äther zu jubeln.

Dass DJ Leo daneben noch Zeit für seine eigene Musik findet, habe ich schon lange nicht mehr registriert. Mit Erstaunen habe ich daher festgestellt, dass er mit seiner aktuellen Combo Spencer (übrigens wieder ein Trio) bereits das zweite Album eingespielt hat.
Timewarp - im weitesten Sinne Britpop - begleitet mich nun schon länger als ursprünglich vermutet. Spencer bringen zwar den Britpop nicht nach London und Manchester, aber sie stehen Schweizer Nationalrockern wie den mittlerweile abgeschmierten Lovebugs in deren besseren Zeiten ebenso wenig nach wie den ebenso gestandenen Dada Ante Portas.

Das Badener Trio startet unbekümmert mit dem rockigen Titelsong "Timewarp", flicht in "Primetime" eine angenehme Prise Wave ein und lehnt sich mit dem zarten Refrain von "Calm Down" an die Red Hot Chili Peppers an. Die ruhigen Stücke und Sequenzen lassen erkennen, dass es der relativ tiefen und durchaus anständigen Stimme des Frontmanns gut tut, wenn sie vom satten Klang gestützt wird, der auch "Alien Nation" auszeichnet, mit dem sich Spencer wohl schon für Auftritte im Stadion empfehlen möchten. Spencer setzen nicht auf überflüssige Eskapaden, sondern auf gediegenes Handwerk für geradlinige Songs.

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Montag, 4. Mai 2009
Daniel Kahn & The Painted Birds - Partisans & Parasites
Er singt jüdische Volkslieder und vertont Tucholsky; mal klingen seine Lieder wie aufgekratzte Festmusik, dann wirken sie ganz so, als ober er sie aus einem Berliner Cabaret der 1920er-Jahre ins neue Jahrhundert herübergerettet hätte, um wenig später so schwermütig wie schwerfällig vor sich hin zu stampfen oder in lockeren Dixieland-Jazz zu mutieren. Lachen und Weinen liegen bei Daniel Kahn so nah beieinander wie die unterschiedlichen Stile, die er zum jiddischen Ursprung seiner Musik addiert. Hinter der Klezmer-Klarinette jault die E-Gitarre, wenig später folgt eine Melodie im Stil von Arbeiterliedern. Dazu singt er auf jiddisch, englisch und deutsch die verrücktesten Geschichten – abgründig, höchst politisch und voller verschmitztem Witz.

Zurecht wird Daniel Kahns Musik mit den Pogues verglichen: Auch er ist roh und ungestüm, und wie die irischen Vorläufer entwickelt er die Musik seiner Vorfahren weiter. Seine Arrangements sind vielfältiger und differenzierter, aber an lärmigem Vergnügen und Spielfreude stehen Daniel Kahn & The Painted Bird ihren Kollegen in nichts nach. Das Album ist so mitreißend wie ein furioser Auftritt.

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