Donnerstag, 12. Februar 2009
Gerhard Polt - Drecksbagage
Schon der Titel signalisiert: Hier spricht der Philister, hier regt sich einer auf, der sich für rechtschaffen hält, der seine Vorurteile pflegt und sich auch dann nicht beirren lässt, wenn er schon längst weiß, dass er eigentlich im Unrecht ist – vielleicht gerade dann erst recht nicht. Zugegeben, so offensichtlich ist das alles nicht nur aufgrund des Titels, sondern auch im Zusammenhang mit dem Autor ersichtlich. Denn der bayerische Kabarettist Gerhard Polt hat für die Bühne viele Charaktere erschaffen, indem er "dem Volk aufs Maul geschaut" hat und die Aussagen und Einstellungen seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger überspitzt und in dadurch so desavouierende wie lustige Geschichten gepackt hat. Polt zeigt immer wieder, welche Doppelmoral hinter dem bayerisch-spießbürgerlichen Denken steckt. Er verdeutlicht, wie vorurteilsbehaftet es ist und wirkt so immer auch aufklärerisch.

Gerhard Polt, mittlerweile im Pensionsalter, veröffentlicht bereits seit einigen Jahren seine Geschichten, Stücke und Monologe auch in Buchform. Für den recht schmalen Band Drecksbagage hat er einige neue Figuren erfunden, die nach demselben Muster konzipiert sind wie die Personen seiner Bühnenstücke. Es sind durchweg amüsant zu lesende Monologe. Wesentlich kürzer als die Bühnenstücke, funktionieren sie auch ohne den persönlichen Auftritt des Kabarettisten.

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Samstag, 3. Januar 2009
Perikles Monioudis – Land
Es kommt immer wieder gut, wenn das Thema eines Buches nur ein vermeintliches ist, etwa wenn in einem Krimi der Fall bloß nebensächlich ist und die Psychologisierung der Figuren in den Vordergrund tritt, die Gewohnheiten der Protagonisten oder einfach eine ganz andere, unvermutete Geschichte. Perikles Monioudis erzählt die Geschichte eines Reisenden auf der Suche nach dem Rezeptbuch einer Zuckerbäckerdynastie, das bei der Flucht aus Alexandria zurückblieb. Zwangsläufig lernt der Reisende jemanden kennen. Das Buch wird gefunden, beiläufig, die Reise und die Empfindungen des Suchenden protokolliert. In schlichtem Stil, was nicht an und für sich schlecht ist, wird Alltägliches so banal präsentiert, dass man seine Zeit lieber für einen Miss-Marple-Film reserviert.

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Donnerstag, 1. Januar 2009
Andrea Camilleri – Die dunkle Wahrheit des Mondes
Immer wenn ich M. besuche – in der Regel zwei Mal im Jahr – schreitet er zu seinem Fundus an Rezensions- und Verlosungsexemplaren und wählt ein Exemplar als Heimatbesuchslektüre aus. Dieses Mal war es wieder ein Buch von Camilleri – seicht, aber süffig. Das wurde mir schon beim ersten Commissario-Montalbano-Krimi angekündigt. Und genauso war es. Eigentlich ein Krimi für eine ältere Generation. Aber ich übe schon, las dann kurz darauf – schon mehr erwartend und leicht enttäuscht – aus eigenen Stücken Camilleris Pension Eva.

Die Prognose für den "neuen" Camilleri stimmte übrigens – es war der gleiche, den ich vor einem Jahr geschenkt bekam. Immerhin habe ich es nach zehn Seiten gemerkt.
Die Geschichte ist hübsch abstrus, das Leben im Kommissariat menschelt italienisch und wenn man beim Lesen ein bisschen wegnickt, hat man nichts versäumt – schmerzfreie Lektüre für Pensionierte (ab erhöhtem Pensionsalter).

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Donnerstag, 10. April 2008
Gelebte Musikgeschichte
Joe Boyd - White Bicycles
Er könnte prahlen, er könnte sich mit großen Namen schmücken und er könnte seine weniger rühmlichen Unternehmungen mehr oder weniger unbemerkt übergehen: Aber Joe Boyd ist kein Selbstdarsteller und die eigene Biographie interessiert den Musikproduzenten nur insofern, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort bei den richtigen Leuten war.
Joe Boyd organisierte Tourneen mit Blues- und Jazzmusikern, nahm mit Nick Drake und Fairport Convention Platten auf, erlebte Bob Dylans Elektrifizierung beim Newport Festival genauso hautnah mit wie das Chaos in Woodstock, und nicht zuletzt prägte er als Gründer des Ufo Clubs (mit Pink Floyd als Dauergästen) das Londoner Musik- und Partyleben der 1970er Jahre mit.
Joe Boyd erzählt chronologisch. Das wirkt anfangs ermüdend und verdeutlicht nicht mehr als seine Begeisterung für Musik. Doch mit der Beschreibung von Dylans Auftritt beim Newport Festival setzt die Analyse ein – und die macht White Bicycles richtig spannend.
Hier erzählt er mehr als äußerst amüsante Geschichten über das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Managementkulturen bei der britischen Eroberung Amerikas: Joe Boyd vermittelt glaubwürdig das damalige Lebensgefühl, den Zugang zur Musik und setzt ihn mit dem heutigen Umgang in Beziehung. $Er beschreibt die Geschäftspraktiken und den Werdegang hoffnungsfroher Künstler aus seiner ganz persönlichen Sicht. Dass Joe Boyd seine Fehler und Fehleinschätzungen freimütig eingesteht, wirkt sympathisch. Müßig ist die Überlegung, ob er nicht doch lieber der erfolgreiche Musikmogul wäre als die 'graue Eminenz', die sich mit den letzten Zeilen verabschiedet: Er spielte seine Rolle in einer wichtigen Phase der Folk- und Rockmusik, er hat etwas zu sagen und er erzählt es gut.

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Sonntag, 16. März 2008
Montagsroman
Rocko Schamoni - Sternstunden der Bedeutungslosigkeit
Rocko Schamoni hat mit seiner mit autobiographischen Elementen durchsetzten Geschichte Dorfpunks einen so lustigen wie lebensnahen Entwicklungsroman geschrieben. Das 2004 erschienene Buch zeigt den Musiker als gewitzten Schriftsteller und machte Hoffnungen auf einen brillanten Nachfolger. Doch obwohl auch Sternstunden der Bedeutungslosigkeit ein vergleichbares Konzept zugrunde liegt, bleibt das erhoffte Feuerwerk aus.

Der Protagonist mit dem durchaus originellen Namen Sonntag ist – um eine Metapher zu verwenden, die man auch Rocko Schamoni zuschreiben könnte – eher ein Montagskind. Hoffnungslos lebensuntüchtig, stolpert der Kunststudent durch sein Leben als Uni-Verweigerer und Gelegenheitsjobber.

Doch Schamoni möchte nicht einfach eine Geschichte über einen Versager schreiben. Ihm schwebte offensichtlich eine Art Entwicklungsroman vor. Die Berichte von Sauftouren und Frauenbekanntschaften, von den Erlebnissen mit seinem koksenden Auftraggeber oder den Nachbarn haben ein Ziel: Läuterung. Ihn auf diesem Weg zu begleiten ist mitunter amüsant, oft aber langweilig. Denn der Roman ist höchstens dann halbwegs kurzweilig, wenn er seinen Helden in groteske Situationen schickt, etwa in die Arbeitshöhle des Plakateklebers Maff, bei dem Sonntag gelegentlich jobbt. Aber auch da bietet er nicht mehr als durchschnittlichen Slapstick. Ziemlich öde wird der Roman, wenn Rocko Schamoni seinen Sonntag ziemlich unergiebige Lebensweisheiten verbreiten lässt.

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Freitag, 15. Februar 2008
Peter Hein - Geht so. Wegbeschreibungen
Peter Hein ist ein guter Beobachter, der das Gesehene sowie Stimmungen und Befindlichkeiten bildhaft beschreibt und treffsicher formuliert. Das zeigen die Texte seiner Lieder. Seine entbehrlichen Wegbeschreibungen offenbaren diese Fähigkeit jedoch keineswegs.

In seinem ersten Buch versammelt der Fehlfarben-Sänger kurze, tagebuchartige Texte über Städte, die er auf seinen Konzertreisen besucht hat. Die Texte werfen einen persönlichen, meist vom Moment geprägten Blick auf die besuchten Orte. Er trat diese Reisen ohne Vorbereitung an, denn einziges Ziel und Zweck war es, in der betreffenden Stadt ein gutes Konzert zu spielen. Hein nimmt mit, was ihm entgegen fällt: Er stapft durchs Niemandsland in Tuttlingen und durch die Weinreben bei Würzburg, er besucht die Fuggerei in Augsburg, wo er die Spuren Bert Brechts genauso ignoriert wie die moderne Kunst, oder er fährt einfach im Zug den Rhein entlang und beklagt die Zersiedelung und – zum wiederholten Mal – den mangelnden Service der Deutschen Bahn.

Musik und Tourneeleben sind zwar Grundlage und Anlass für dieses Buch, in den Texten aber mitunter nur beiläufige Randerscheinungen. Er erzählt in einem schnoddrig-schlampigen Erzählstil immer aus persönlicher Sicht und gießt seine kurzen Beobachtungen zu allgemeingültigen Aussagen. Doch diese sind weder erhellend, noch bringen sie Erkenntnisgewinn. Peter Hein sagt nichts Neues - auch nicht über die Lächerlichkeit des Kunstbetriebs, den er mit einer Beschreibung eines Documenta-Besuchs aufs Korn zu nehmen versucht. Seine Kritik bleibt durchweg oberflächlich, und seine Sprachschöpfungen wirken nicht lässig, sondern gewollt.

Für den Fan mag es nett sein, von Peter Hein einige Geschichten, Erlebnisse und Ansichten präsentiert zu bekommen. Wer mehr als oberflächlichen Unterhaltungswert erwartet, ist mit den Songtexten besser beraten.

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Mittwoch, 16. Januar 2008
Stefan Maelck - Tödliche Zugabe
Full Metal Klepzig ist als Musikfreund und Saufkumpan schwer in Ordnung - aber als Kommissar nur mäßig tauglich. Für die Aufklärung von Morden gibt es Privatdetektive wie Hank Meyer. Der verliert trotz stetig sinkender Einnahmen - viele meiner früheren Kunden hatten inzwischen den ganzen Tag zur freien Verfügung und konnten ihre Frauen selbst überwachen - weder Mut noch Sarkasmus, orientiert sich an den richtigen Vorbildern aus dem Fernsehen und ist vor allem mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Doch eine bizarre Mordserie im Musikermilieu erschüttert auch ihn: Der Gitarrist der Gruppe Frohe Zukunft wird vor dem Konzert tot auf der Bühne aufgefunden - ermordet mit seiner Gitarre, deren Hals noch aus seinem Rücken ragt. Wenig später erwischt es den Sänger der Band Perlen: Er wird mit einem Cello erstochen. Da ist Hank Meyer den Mördern längst auf der Spur, zieht durch die Kneipen von Halle und trauert seinem sinnsuchenden Freund Heuser nach, den er an eine Frauen-WG verloren hat.

Tödliche Zugabe ist Stefan Maelcks zweiter Roman, in dem er den Privatdetektiv und Radio-DJ Hank Meyer durch Halle stolpern lässt. Dass dieser den Mord am Ende tatsächlich aufklärt, ist unerheblich und wohl dem Genre geschuldet. Diese Geschichte macht daher nicht wegen des Plots oder der Aufklärung eines kniffligen Verbrechens Spaß, sondern weil Stefan Maelck die absurde Geschichte mit selbstironischen Lebensbetrachtungen einem Außernseiter in den Mund legt; einem Außenseiter, der nicht deshalb am Rand der Gesellschaft steht, weil er ausgesondert wurde, sondern weil es zu ihm passt. So kommentiert Stefan Maelck die Gesellschaft, ohne in stiere Gesellschaftskritik zu verfallen. Das ist die kostenlose Draufgabe zu einem Kriminalroman, der eigentlich nicht mehr sein möchte als eine kleine, lässig-irrwitzige Geschichte.

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Montag, 7. Januar 2008
Andrea Camilleri - Die dunkle Wahrheit des Mondes
Ratzfatz durch und vergessen - schnelles Lesevergnügen für geistlos-trübe Tage. Doch nachdem ich kurz nach dem Lesen erfahren habe, dass der Autor seinen 80sten schon hinter sich hat, sehe ich das gnädiger. Dafür wirkt er erstaunlich frisch. Aber vielleicht sind heute nicht nur die Kinder aufgeweckter als früher, sondern auch die Alten. Wenn sein nächstes Buch erscheint, werde ich das nochmals testen.

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Donnerstag, 6. Dezember 2007
Timna Brauer - Reise durch die Weltmusik
Es wirkt überaus anmutig, wie das Mädchen den Kopf zum Bogen neigt, ihre wohlfrisierten Haare wie die Saiten einer Lyra hinunterfallen und sie mit ihrer reich verzierten Hand darüber streicht. Die Harfe sei aus dem Bogen entstanden, erzählt Timna Brauer, schließlich entstehe beim Zupfen an der Jagdwaffe ein Ton. Und da dachte der Mensch: "Ich werde eine zweite Schnur an diesem Bogen befestigen, und dann habe ich zwei verschiedene Töne." Das machte der Mensch so lange, erzählt Timna Brauer weiter, bis auf dem Bogen kein Platz mehr war. Aus der Waffe wurde ein Musikinstrument. Die Flöte wiederum entdeckte der Mensch, weil er sich gemäß Brauer alles, was er in der Natur fand, ansah, es aufhob, daran roch und leckte. So war es auch beim Bambusrohr - und wie durch einen Zufall blies er in dieses unbekannte Ding hinein, und es entstand ein Ton. Wie gut, dass Timna Brauer dabei war, denn dadurch wissen wir: Zuerst erschrak der Mensch, so etwas hatte er noch nie zuvor gehört!

Timna Brauer ist zweifellos eine respektable Musikerin und ihr Programm, mit dem sie Kindern die Entstehung der Musik nahe bringt, ist zu begrüßen. Doch abgesehen von zweifelhaften Aussagen gelingt die Transformation ins Buch nicht. Ihre Illustrationen sind zwar ansprechend, aber für ein Sachbuch zu illustrativ. Die Fotos von ihr und ihren Musikern - es gibt kaum eine Doppelseite ohne ihr Konterfei - könnten eine sinnvolle Ergänzung sein. Doch auch sie sind nur illustrativ und damit schlichtweg unnötig.
Die beiliegende CD wiederum ist nichts anderes als der schlecht aufgenommene Mitschnitt einer Live-Veranstaltung. Immerhin gibt es hier wenigstens ansatzweise die im Titel angekündigte weltmusikalische Reise, die im Buch praktisch nicht vorkommt. Timna Brauers Vorhaben mag als Kinder-Animationsprogramm funktionieren. Als eigenständige CD ist es nicht spannend genug aufbereitet und die Mitmach-Passagen wirken langweilig. Als Ergänzung zum Buch ist die CD mit diesem nicht genügend verzahnt.

Eine konventionelle, aber durchdacht konzipierte Sach-CD mit kindgerechten, informativen Texten wäre für Kinder vermutlich nicht nur der passendere Einstieg, sondern würde auch ihren Wissensdurst besser stillen helfen.

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Mittwoch, 28. Februar 2007
Nagib Machfus - Die Midaq-Gasse
Lindenstrasse in Kairo - Klatsch, Tratsch und alltägliche Wehwechen. Es ist eine pittoresk heruntergekommene, aber vordergründig völlig banal wirkende Welt, die Nagib Machfus präsentiert. Nette Episoden, die vor allem die Exotik reizvoll macht. Arabisches laissez faire, eigentümliche Gepflogenheiten, wenig bemerkenswerter Alltag kleiner Leute* mit dem üblichen Neid, mit Missgunst, Sehnsüchten und Verliebtheit. Das ändert sich, sobald sich herausstellt, dass einer Protagonistin die Prostitution mehr bietet als das Leben in der Gasse, dass sie als Hure aus eigener Kraft den Wohlstand erreicht, den sie sich schon von Kind auf erträumt. Das - wie auch die Episoden um den homosexuellen Caféhausbesitzer - macht den Roman provokativ und fesselnd. Gleichzeitig zeigt Machfus, wie sich die Welt und Werte verändern, die Alten mit einem befremdlichen Gefühl abtreten und das Verhalten ihrer Nachfolger nicht mehr verstehen.

Am Schluss seines Lebens hat der Kairoer Autor den Veränderungen vermutlich genauso macht- und ratlos gegenübergestanden wie seine gealterten Protagonisten. Mit Mitgefühl habe ich die aussterbende Garde der Kairoer Intellektuellen beobachtet, die sich Orte wie das Pub 28 als Refugium von Toleranz und Aufklärung gegen den dominierenden islamischen Konservatismus erhalten haben. Eigenartig, dass ich mir deren Leben eher vorstellen kann als das Leben der Leute, die Machfus beschreibt. Vielleicht, weil es geistig näher ist - und das andere nur physisch greifbar. Sichtbar und doch fremd.


* Das wiederum ist als Sujet für die Enstehungszeit des Romans wohl durchaus bemerkenswert.

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