Samstag, 27. November 2010
Für und mit Ernst
Christian Muthspiel im Theater am Saumarkt, Feldkirch
Lyrik ist (auch) Rhythmus. Das wird an den Gedichten von Ernst Jandl deutlich, die eine neue Dimension erreichten, wenn der vor zehn Jahren verstorbene Autor sie selbst las. Christian Muthspiel geht mit seinem Programm -- das er seit einigen Jahren aufführt, und das noch viele Jahre aktuell sein wird -- noch weiter: Er macht die Gedichte zu Musik. Muthspiel greift Jandls Witz und Bösartigkeit auf, verschmilzt seine musikalischen Ideen mit den Gedichten, die er neu rhythmisiert und akzentuiert. Seine Kompositionen sind völlig neue, eigenständige Werke, voller Humor, Hintersinn und originellen Einfällen.



Ein achtzigminütiges Konzert war angekündigt, und nach 20 Minuten war alles vorbei -- nach gefühlten zwanzig Minuten wohlgemerkt. Denn was Christian Muthspiel mit seiner fulminanten Jandl-Hommage bot, war nicht nur ideenreich und eloquent präsentiert, sondern auch überaus kurzweilig. Das Programm -- er führt es bereits seit einigen Jahren auf -- ist einer der Meilensteine der Sparte Lyrik und Jazz. Wobei man das mit dem Jazz bei Christian Muthspiel nicht so eng fassen darf. Bei ihm hat alles Platz -- Volks- und Blasmusikelemente (wenn auch ohne Humtata), Vogelgezwitscher, Lautmalereien und Geräuschkaskaden. Sampler ersetzen ihm die Band, wobei praktisch alle Einspielungen live und handgemacht sind. Spur für Spur nimmt er kurze Sequenzen auf, schichtet sie übereinander, spielt und singt und pfeift dazu. Das klingt mal romantisch (wenn er zum Beispiel mit verschiedenen Pfeifen Vogelgezwitscher imitiert, bis eine ganze Vogelschar tiriliert) und dann wieder wie das Stakkato von Maschinengewehrfeuer und einschlagenden Granaten. Die Stücke gehen nahtlos ineinander über, das Programm ist ein einziger an- und abschwellender Fluss, das der Pianist und Trompeter im richtigen Wechsel zwischen wohltemperiert und aufregend-spritzig gestaltet. Muthspiels groovt ungemein und wird trotz seines durchdachten Ansatzes niemals akademisch. Und obwohl er neben seinen Instrumenten eine erkleckliche Anzahl von Fusstasten für Loops und Einspielungen beherrschen muss, wirkt seine Musik in keinem Augenblick zu technisch oder gar hölzern, sondern durchweg geschmeidig und beseelt.

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Samstag, 6. November 2010
Stilvoll inszeniert
Mariza im Festspielhaus Bregend (A)
Sie lächelt verschmitzt und fragt, ob sie für die letzte Zugabe wirklich alle Freiheiten hätte. Zum ersten Mal wirkt Mariza etwas unsicher. Wie ein aufgewecktes Mädchen, das überlegt, ob sie wirklich bringen kann, was sie ausgeheckt hat. «Ok», beendet sie lächelnd den kurzen Dialog mit dem Publikum, «dann sollen die Jungs für euch singen.» Ihre beiden Gitarristen, Diogo Clemente an der klassischen Gitarre und Angelo Freire an der Guitarra Portuguesa, spielen die Überraschten. Sie geben sich irritiert, stellen ihre Beine nebeneinander auf einem Stuhl ganz vorne am Bühnenrand und beginnen nach kurzem Überlegen mit dem Intro zu «O Gente Da Minha Terra». Ihre Instrumente sind unverstärkt, und nach den ersten Takten füllt die Stimme von Mariza das Festspielhaus - auch sie kommt ohne Mikrofon aus.


Herrin jeder Gefühlslage: Mariza

Die gespielte Unsicherheit dieser Szene verdeutlicht, wie konsequent durchinszeniert der Auftritt von Mariza ist. Sachlich und mit ernster Miene instruiert sie während der Verbeugung zwischen den Zugaben ihre Musiker, bevor sie wieder ihr warmes, einnehmendes Lächeln für die Zuschauer aufsetzt. Die wohl bekannteste portugiesische Sängerin der Gegenwart verkörpert ihre Rolle als Sängerin so wie sie in ihren Liedern aufgeht. Sie leidet, wenn sie das melodramatische «Chuva» singt, und bei Stücken wie «Vozes Do Mar» und «Rosa Branca» wirkt sie einnehmend ausgelassen. Sie hat eine wunderbare, ausdrucksstarke Stimme, was man bei jedem Stück merkt und nicht erst bei der A-capella-Zugabe. Immer wieder gibt es Raum für eine kurze unbegleitete Solo-Passage. Mariza bringt die hohe Kunst des Fado und befriedigt die Bedürfnisse des Publikums aus sich herauszugehen und ausgiebig mitzuklatschen. Es folgt ihr wie Teenies die Hände in die Höhe reißen, wenn Tom Kaulitz dazu auffordert.

Mariza und ihre hervorragende Band spielen sich mit warmer Perfektion durch ein gut angelegtes Programm mit wechselweise eindringlich-zurückhaltenden und Stücke voller Lebensfreude abwechseln.

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Samstag, 9. Oktober 2010
Nah am Stillstand
Mose in der Johanniterkirche, Feldkirch (A)
Kaum jemand spielt langsamer als sie, die Lieder von Mose sind von Haus aus nahe am Stillstand. Ihr neues Americana-Album haben sie an einem exklusiven Ort vorgestellt.

Roh ist sie, leer und kalt: Die Johanniterkirche in Feldkirch stammt aus der Zeit der Kreuzzüge. Heute ist die unscheinbare Kirche ein Ausstellungsraum, in denen internationale Künstler wie Jenny Holzer und Kimsooja ausgestellt werden. Zwischen zweien solcher Ausstellungen dürfen Mose ihr sechstes Album präsentieren. Der Kirchenraum selbst ist unbegehbar, das kleine Konzert findet in der Apsis statt, dem hier ungewöhnlich grossen Altarraum.


Drei auf einer Seite: Thomas Keckeis, Markus Marte,
Karl Müllner


Während die Ausstellungen fein eingerichtet werden, bleibt Mose nur die grobe, improvisierte Inszenierung. Ein paar Lampen – eine muss gar durch die geöffnete Tür aus dem Vorraum die Bühne bestrahlen – müssen genügen. Ein auf dem Boden liegender Scheinwerfer strahlt durch das leere Kirchenschiff und taucht die Wand in leicht gespenstisch anmutendes, gelbes Licht. Für die Atmosphäre muss vor allem die Musik sorgen. Nicht nur das gespenstische «Date With Elvis» passt in dieses Ambiente, auch einige andere lassen mit ihrer Schwermut zur Kälte die Feuchtigkeit hochkriechen.

Mit – wechselweise eingesetzt – Banjo, Akkordeon, Casio-Minikeyboard und Xylophon, setzen Mose subtile Akzente. Obwohl stilistisch vergleichbar, wechseln sich die Musiker am Mikrofon ab. Über weite Strecken verzichten sie völlig auf den Gesang, mitunter zerfasert dann das Konzert, und der Spannungsbogen fällt ab. Das Quartett nimmt ihn jedoch immer wieder mit akzentuierten («Les Yeux») bis kantig-lauten Stücken («Sodumir», «Flisch») auf. Meist steht dann Thomas Kuschnys reduziert-prägnantes Gitarrespiel im Vordergrund. Das tut immer wieder gut. Mit der letzten Zugabe erinnern Mose schliesslich daran, dass man solcherart Abwechslung gelegentlich vermisst hat: Das verhältnismässig flotte «Nuke» mit seinem angenehmen Alternative-Country-Touch ist das einzige Stück, zu dem man, wäre es gewollt, sogar hätte tanzen können. Aber das, andererseits, passt dann doch nicht – nicht zu Mose, und schon gar nicht in eine Kirche mit dieser Geschichte.

Prägnant auf der anderen Seite: Thomas Kuschny (Bild 2)

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Sonntag, 3. Oktober 2010
Am Ende großes Kino
Nach einer Aufwärmphase mit einzelnen guten Songs schliessen Nufa ihr Konzert in Dornbirn großartig ab
Ihr Rezept könnte man simpel nennen. Denn schon lange vor Nufa haben Bands sanfte Musik mit Störgeräuschen gebrochen, liebliche Melodien mit wilden Ausbrüchen konterkariert und die Lärmorgien wiederum im Nichts ausklingen lassen. Nufa überraschen trotzdem schon nach wenigen Minuten: Das abrupte Ende des ersten Stückes wirkt wie ein Überfall. Gefahr eine Massenpanik besteht nicht - nur wenige interessieren sich für das Konzert, das nach einer kleinen Durststrecke großartig enden wird.


Alltägliche Beobachtungen im eigenen Duktus: Nufa-Sänger Jacob Schneikart.

Im ersten Teil des Auftritts gelingt es der Gruppe noch nicht, ihre Stücke harmonisch zu verbinden. Sie bleiben Solitäre, einige davon immerhin wirklich gute. Aber gegen Ende beginnen Nufa doch noch mit dem großen Kino. Auf ein grooviges Instrumenal-Stück folgen «Du denkst», eines der besten Stücke des neuen Albums «Das Wetter ist schön heute», sowie das bedrückende «Vor einem Monat» und sorgen für einen hervorragenden Abschluss.

Jacob Schneikart ist zwar kein hervorragender Sänger, was insbesondere in den ruhigen Passagen nicht zu verbergen ist. Doch es gibt genügend ausdrucksstarke Beispiele dafür, dass das kein Manko sein muss -- von Hildegard Knef bis zu Element-of-Crime-Sänger Sven Regener. Und Jacob Schneikart hat seinen eigenen, eigenwilligen Duktus gefunden, der hervorragend zu seinen Texten passt.
In «Du denkst» verkörpert er zudem geradezu die Schüchternheit, mit welcher der Ich-Erzähler des Textes einer Frau sagt, was er an ihr mag. Und in «Vor einem Monat» erzählt er in knappen Worten von den regelmäßigen Sonntagsausflügen zur Großmutter, deren Routine erst leerer wird, weil das Enkelkind das Interesse verliert und später, weil die Großmutter immer schwächer wird. «Es gab Lasagne», singt er vom letzten Besuch, «früher gab es Braten.» Das Leben wird beschwerlicher, die Gerichte einfacher. Man kann das Ende eben nicht aufhalten, nur dabei zusehen, wie es langsam kommt und gute Miene dazu machen. Und nach dem Essen schaut man die Bilder vom 82. Geburtstag an, der vor einem Monat gefeiert wurde - vielleicht wird es der letzte sein, denkt man unwillkürlich, während die Band das Stück weiter treibt, dringlich und trocken.
Jacob Schneikart verwendet für seine Texte alltägliche Begebenheiten und zeichnet mit einfachen Bildern emotionale Situationen. Gerade ein Text wie «Vor einem Monat» erwartet man nicht von einem Anfangszwanziger. Auch auf die Musik müssen andere viel länger hinarbeiten als das deutsche Quintett, das in den romantisch-feinfühligen Bereichen niemals kitschig wird und seine Ausbrüchen in geschmackvoll-kultivierter Wildheit vollzieht.

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Samstag, 3. Juli 2010

Das Streichquartett Alder im Hof der Burg Gutenberg (Balzers, FL)
Wenn in den USA, in Dubai oder bei der Weltausstellung in Shanghai Swissness gefragt ist, dann holt man gerne das Streichquartett Alder, das für Tradition und Unterhaltung steht. In der speziell Appenzeller Besetzung mit Hackbrett, Geige, Bass und Akkordeon (das oft übliche Cello fehlte diesmal) begeben sich die weitgereisten Hobbymusiker, hauptberuflich mehrheitlich Bauern und Handwerker, nie in die Niederungen der volkstümlichen Musik. Auch wenn sie wohl «nur» unterhalten wollen. Aber das mit Stil - und daher mit Stücken, die schon ihre Vorfahren geschrieben haben, sowie mit eigenen, die den Geist der Streichmusik-Gründer weiterleben lassen. Traditionelle Melodien heißen mitunter einfach «E-Moll-Polka», weil niemand mehr weiß, welchen Titel der unbekannte Komponist der über Generationen hinweg mündlich überlieferten Melodie gab.


Bordunton zum Zäuerli: Talerschwingen.

Das Programm des Streichquartett Alder, das im Ausland als exotische Weltmusik so gut ankommt, ändert die Streichmusik Alder offenbar auch dann kaum, wenn sie in der näheren Umgebung aufspielen. Aber das ist, wenn man die Musik aus der Stube, aus der «Beiz» (Kneipe) oder von der Alp auf die Konzertbühne holt, nicht notwendig: Denn durch diese Umgebungsänderung wird jede traditionelle Musik automatisch zur Folklore. Und der Hackbrettspieler Jakob Freund kündigt es als Sprecher und Unterhalter der Gruppe ironisierend-verschmitzt offen an, wenn sie den Pfad der Tradition verlassen, um dem Publikumsgeschmack zu entsprechen. Und was die Freude an Jodelakrobatik und Mitklatschliedern angeht, unterscheiden sich einheimische Konzertbesucher offenbar nicht von denen in Übersee.
Doch es gibt - abgesehen von den allzu ausgiebigen Einlagen mit Witzen für die Generation 70-plus - nur wenige schlichte Schenkelklopfer. Selbst im zweiten, von Freund als «lüpfiger», also fröhlich und leichtfüßig unterhaltender Teil des Programms angekündigt, zeigt das Quintett, welche Anmut und Tiefe in der überlieferten Musik steckt. Die Gruppe beschränkt sich auch dann nicht auf Polkas und Dreivierteltakt, nicht nur auf den fröhlichen "Gruß aus Urnäsch" oder die «Birreweggen-Polka» mit ihrem Gstanzl-artigen Text, sondern bringt wiederum Zäuerli (Naturjodel) zu Schellen und Talerschwingen.


Hansueli Alder, Musiker in der fünften Generation, dahinter
der 88-jährige Multiinstrumentalist Ueli Alder am Bass.


Das von den Brüdern Ulrich und Johannes Alder gegründete musikalische Familienunternehmen gibt es seit 126 Jahren. Die Streichmusik hält als konservativer Zweig von derzeit drei Alder-Projekten die Tradition in Ehren, während der klassisch ausgebildete Musiker Arnold «Noldi» Alder, beim Streichquartett nicht dabei, als einer der profiliertesten Erneuerer der aktuellen Schweizer Volksmusik gilt.

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Sonntag, 30. Mai 2010
Zum Glück hat er Gunkl
Alfred Dorfer bei den Oltner Kabarett-Tagen. Aus dem Film «Indien», meiner Meinung nach ohnehin überschätzt, ist er mir nicht mehr in Erinnerung; was ich nachlese, klingt jedoch interessant.
Dann überwiegt – seine Gestik weitgehend abgegriffen und einige Witze sind so abgstanden, dass es eine Schande ist – die Enttäuschung. Alfred Dorfer kasteit ein bisschen die Österreicher, teilt ein wenig gegen EU und Deutschland aus und macht sich auch über die Schweizer lustig. Sein aktuelles Programm «fremd» bietet – Bemerkungen etwa über Inzest-Katholiken sind längst nicht mehr originell – nicht mehr als konventionelle Kabarett-Unterhaltung.
Am besten ist es noch, wenn Gunkl eingreift, der als Bassisist und Saxofonist eines unoriginellen, rockigen Trios dabei ist.

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Sonntag, 2. Mai 2010
Sie können nichts dafür
Das EWHO ist in Vaduz fehl am Platz
Verloren wie im Einkaufszentrum stehen die vier Musiker vor der Touristeninformation. Die Weltausstellung ist eröffnet, und die Liechtensteiner haben nicht nur in Shanghai einen Pavillon errichtet, sondern - er wirkt eher wie ein Vordach - auch in der Fußgängerzone ihrer Hauptgemeinde. Das EWHO ist wohl aufgrund eines Missverständnisses hier: Ihr stampfiges Lied «Vaduz», eines ihrer schlechteren, gefällt hier schon deswegen, weil niemand sonst über diesen Landstrich und seine Bewohner singt.


Jetzt stehen die vier aufgereiht wie Kraftwerk - wenn auch ohne deren Willen zur Selbststilisierung - vor den paar Versprengten, die sich vom nass-kühlen Wetter nicht abhalten lassen. Die meisten sehen nicht aus wie Freunde rustikaler elektronischer Musik und die EWHO-Mitglieder versenken sich lieber in ihre Instrumente und versuchen ert gar nicht, die traurige Anlage in eine Partyzone zu verwandeln. In der Tiefe des Raumes hinter der Bühne laufen auf einem wandhohen Bildschirm Trickfilme - ein rein typographischer zu «Anton», einfach-kraftvolle Strichzeichnungen zu «Ruhe im Zimmer» und ein über Sahnewellen rauschender Banana-Split-Eisbecher zu «Pfirsich Melba». Die Animationen der jungen Künstlerin Claudia Larcher passen gut zur Machart der EWHO-Lieder und sie sind immer wieder so humorvoll wie die Texte des Quartetts, dessen nächster Auftritt hoffentlich so freundliches Ambiente bietet, dass es ein wenig aus sich herausgehen kann.

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Sonntag, 25. April 2010
Wir fangen dann schon mal an
40 Jahre Embryo - ausufernd entspanntes Jubiläumskonzert mit vielen Gästen
Als Embryo-Gründer Christian Burchard in den 1970er-Jahren Stücke mit ungeraden Rhythmen komponierte und statt ausschließlich fetzig-elektrifizierte Musik Vibraphon und Oud als ein akustisches Duo einführte, wurde das nicht nur vom Publikum abgelehnt. Seine exotischen Vorlieben stießen sogar bei seinen Mitmusikern auf Widerstand. Die Zeiten haben sich gründlich geändert. Die Vermischung musikalischer Kulturen ist weitgehend alltäglich, und dass Embryo ihr Jubiläumskonzert zum 40-jährigen Bestehen mit afghanischen Ragas eröffnen, wird begeistert aufgenommen, der helle Klang der afghanischen Laute Rubab begrüsst. Ihre Kombination mit Marimba und Vibraphon ist ebenso selbstverständlich wie der Wechsel zur chinesischen Mundorgel Sheng und der zweisaitigen Erhu.


Heute wie damals: Christian Burchard lässt seinen Musikern
weitgehend Gestaltungsfreiheit


Auf der Bühne herrscht ein beständiges Kommen und Gehen, die Zahl der Mitspieler wächst den ganzen Abend über. «Wir haben keinen Chef», sagt Christian Burchard, der - wen auch nur gelegentlich - immer wieder die Rolle des Bandleaders übernimmt. «Wir fangen schon mal an», verkündet er mehrfach, wenn ein Musiker nicht auffindbar, weil an der Bar ist oder mit seiner Familie plaudert und für den Auftritt erst das Instrument holen muss. Und irgendwann - man hat ihn gar nicht mehr vermisst, weil Christian Burchard furios über die Platten des Vibraphons fegt - ist der Vermisste plötzlich da und sorgt für eine neue Klangfarbe.


Die nächste Generation:
Marja Burchard an Marimba und Keyboards


Das ist sympathisch unorganisiert, verursacht mitunter nicht unangenehme Pausen zwischen den Stücken und sorgt während des Spiels für Überraschungen, wenn sich plötzlich die Bläsergruppe während des Gitarrensolos warm spielt und den Gitarristen langsam in den Hintergrund schiebt. Burchard fordert seine Mitmusiker kaum zu Solos auf. Da kommt es schon vor, dass sich die Band begeistert dem Tutti hingibt und erst nach einigen Takten merkt, dass sich die Gitarre schon zum Soloausflug verabschiedet hat.


Einer der vielen Gäste: Wolfgang Schlick, Vorsitzender
der Münchner Express Brass Band


Embryo & Gäste spielen Eigenkompositionen (auch alte Stücke wie das bereits 1967 mit dem Wal Maldron Quartet eingespielte «Marokko»), afghanische Ragas oder Adaptionen von traditionellen Stücken aus Marokko oder Ägypten. Die altgedienten Musiker halten die Stücke zusammen. Der Nachwuchs - neben Burchards Tochter ein zweiter Gitarrist und Oud-Spieler sowie ein jugendlicher Perkussionist an der Djembé - holt sich keine Meriten und stürzt bei Mal Waldrons «All alone», das ganz offensichtlich den wenigsten Musikern bekannt war, vollends ab. Doch es ist der einzige wirkliche Tiefpunkt auf der riskanten Reise, zu der Embryo ihr Publikum mitnehmen. Beherrscht wird sie von ausgeprägter Spielfreude, virtuosen Improvisationskünstlern und einer entspannten Atmosphäre, wie man sie nur von Marihuana- und LSD-geschwängerten Konzerten der 1960er-Jahre kennt.

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Sonntag, 11. April 2010
Unfreiwillige Entdeckung
Wenn Freunde rufen, geht man auch zum Benefizkonzert. Lokalheroen, ein Abend voller Bier und sonst nicht weiter bemerkenswert. Und dann The Burning Rosettas , simpel, direkt und voller Witz.
Spät am Abend kommen noch Vivid - Funk, Jazz, braucht man das? Sie tun, als ob sie nichts Besonderes machen würden, unprätentiös. Nach einigen Songs beginne ich zu fotografieren und merke, dass die poetische Ausstrahlung der in sich gekehrten Musiker genau das Gegenteil ihrer Musik Ausdrücken. Die wissen, was sie tun.

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Samstag, 3. April 2010
Wenn die besten Jahre vorüber sind
Khaled im SAL in Schaan (FL)
Er steht da und strahlt, als stünde er beim Kindergeburtstag vor der Torte. Dabei steht er nur vor der ausverkauften Halle. Und das sollte der algerische Sänger, auch wenn die Höhenflüge des „Roi du Raï“ schon einige Jahre zurück liegen, gewöhnt sein. Khaleds Spielfreude wirkt nie aufgesetzt; er scheint tatsächlich enormen Spaß zu haben -- bis zu den vier Zugaben, darunter das unvermeidliche «Aïcha», das nach wie vor schön zu hören ist, aber hier so wenig außergewöhnlich wie der Rest des Konzerts.



Der Klang ist klar, die Instrumente sind deutlich differenziert und Khaleds Musiker lassen keinen Zweifel: Raï ist Unterhaltung - in erster Linie fröhlich, in zweiter laut. Die Oud ist durchweg satt, knallig und virtuos gespielt. Aber es fehlt an Zwischentönen. Zwei Keyboarder, von denen einer immer in den Vordergrund drängt, dominieren den Klang über weite Strecken. Akkordeon, Streicher und Bläser können sie nur imitieren, aber nicht ersetzen. Dabei ist die Band mit - neben Khaled - sieben Musikern ohnehin großzügig besetzt. Im Vergleich zu den üppigen Arrangements seiner Alben bleibt sie trotzdem nur Surrogat.



Khaled hält sich mit Ansprachen zurück, schaut zwischendurch schelmisch zu seinen Kollegen. Er treibt einige Songs vor sich her - vom neuen Album «Sbabi Ntya» und «Liberté», aber auch ältere wie «Chebba» und «Kebou Kebou» -, bevor er zu zurückhaltenden Flamenco-Rhythmen ein langes Intro mit orientalischen Melodielinien singt. Hier wird er akzentuierter und auch mal leiser. Was den Rezensenten freut, begeistert das Publikum weniger. Dieses scheint froh zu sein, dass die ruhigeren Stücke seltene Intermezzi bleiben.



Im Grunde ist es interessanter, wenn Künstler ihre Songs für Live-Auftritte neu arrangieren. Ein Album unter Live-Bedingungen zu reproduzieren, ist meist langweilig. Das Album kann man schließlich zu Hause hören - und mit Streichern auf Tournee zu gehen, können sich auch diejenigen Künstler kaum leisten, die große Hallen bespielen.
Khaled hat mit seinen Interpretationen offenbar den Publikumsgeschmack getroffen. Das mag ihn befriedigen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wären die Zuhörenden auch mit kunstfertigeren Interpretationen nicht weniger begeistert gewesen. Sein strahlendes Lachen und seine verschmitzten Blicke wären dann sogar noch ansteckender gewesen.

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