Sonntag, 5. Juni 2016
Hauptsache, es knallt
Imarhan, 27.5.2016, Palace, St. Gallen (CH)
Beim Auftritt der Tuareg-Band aus Algerien bleibt nicht nur das Gefühl auf der Strecke, auch mit ihren forcierteren Stücken verspielen sie die Chance, sich differenziert und originell darzustellen.

Die Bekleidung der Tuareg – das weite, knöchellange Gewand und der in der Art eines Turbans gewickelten Gesichtsschleier – ist zweifellos prächtig und weckt bei vielen das Gefühl von 1000 und einer Nacht, von der Freiheit des nomadischen Lebens und vielleicht auch von Abenteuer. Auf der Bühne ist das vermeintliche Zeichen von Authentizität eigentlich nicht mehr als ein stimmungsvolles und daher keineswegs zwingend notwendiges Accessoire. Trotzdem präsentieren sich (nord)afrikanische Gruppen ebenso gerne folkloristisch wie bayerische Volksmusikgruppen. Daher ist es überaus angenehm, dass Imarhan mit dieser Regel – von einer kleinen Ausnahme abgesehen – brechen. Sie gehen im Outfit des Durchschnittsmenschen auf die Bühne, um ihre Musik sprechen zu lassen.
Bei den forcierten, etwas schnelleren Stücken geht das wenigstens halbwegs gut. Doch sobald das Quintett die Zügel anzieht, zerstört die zu hoch ausgesteuerte Rhythmus-Sektion jeglichen Versuch des gefühlvollen Spiels. Dann stört es noch viel mehr, dass der Bass übersteuert ist und dass jeder Schlag auf die Kalebasse wirkt, als ob man in Plastiktonne sitzt, die mit dem Schlegel bearbeitet wird.
Die Rechnung von Imarhan, die Musik für den Tanzboden einfach ein wenig knalliger zu machen, geht nicht auf. Denn dabei bleiben nicht nur die verhaltenen Stücke auf der Strecke. Auch den anderen wird der eigene Charakter abgeschliffen, übrig bleibt bloß noch eine durchschnittliche Tuareg-Band. Dafür hätten die Algerier nicht auf Folklore verzichten müssen – und wären immerhin prächtig anzusehen gewesen.

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Samstag, 16. April 2016
Wiegenlieder zum Wachbleiben
Trio Da Kali, 9.4.2016, Spielboden, Dornbirn (A)
Bereits nach wenigen Takten fühle ich mich nach Ségou in Mali versetzt – einer der entspanntesten Orte, an denen ich jemals gewesen bin. Draußen flirrt die Hitze, im schattigen Innenhof legt sich die zwischen träge und gemütlich plätschernde Musik wie ein kühlender Kokon um die matt plaudernde Gesellschaft. Es ist keine aufgeregte Feststimmung, die das Trio Da Kali verbreitet, nichts erinnert an eine ausgelassene Hochzeitsgesellschaft oder an die aufgekratzten Besucher eines Dorffestes, zu denen der angesehenste Griot der Region in oft suggestiv-monotonem Singsang die Genealogie der Gemeinschaft repetiert und die hohen Würdenträger preist.



Auch das Trio Da Kali beruft sich auf die Herkunft seiner Mitglieder – allesamt entstammen sie Griot-Familien. Und Sängerin Hawa Kasse Mady Diabaté, Tochter des mit der Gruppe Afrocubism Grammy-nominierten Sängers Kasse Mady Diabaté, soll ihr Geld nach wie vor überwiegend mit Auftritten auf Hochzeiten verdienen. Für den Balafon-Spieler Lassana Diabaté ist das nicht mehr denkbar. Er spielte neben Afrocubism in Toumani Diabatés Symmetric Orchestra und tourt mit verschiedenen Formationen durch die Welt.

Als Abkömmlinge von Griots möchte das Trio Da Kali die Tradition erhalten und weitergeben. Ihr Verhältnis dazu erklären sie nicht, aber es wird in ihrer Musik deutlich. Das Trio Da Kali strebt ganz offensichtlich nicht danach, die Asche zu hüten. Sie wollen das Feuer weitergeben und verschließen sich keineswegs modernen Einflüssen. Das erstaunt nicht. Denn Lassana Diabaté und Mamadou Kouyaté spielen seit Jahren in innovativen, modernen Gruppen.

Der gleichermaßen gefühlvolle wie virtuose Lassana Diabaté begeistert immer wieder mit jazzigen Einwürfen. Und der Hinweis, dass die von Mamadou Kouyaté gespielte Kurzhalslaute Ngoni seit fast zweitausend Jahren gespielt wird, verdeckt die zeitgenössische Komponente. Die Bass-Ngoni, die er spielt, ist eine noch recht junge Weiterentwicklung seines Vaters Basseko Kouyaté. Demnach hat sie in konservativ-traditioneller Musik gar keinen Platz. Mamadou Kouyaté gelingt es jedoch nicht, sich prägend einzubringen. Oft spielt er die Melodielinie eine Oktave tiefer, gelegentlich lässt er in Rock-Manier die Saiten gegen das Griffbrett schnalzen, und in seinen Soli variiert er meist nur seine Begleitung.

Die meisten Stücke des Trios haben den Charakter von Wiegenliedern. Sie sind jedoch oft rhythmisch reizvoll und daher alles andere als einschläfernd. Daher wäre es gar nicht notwendig, den Auftritt mit einem Mitsing-Spiel zu beenden – das noch dazu das Publikum mit einer einfältigen Ohrwurm-Melodie nach Hause schickt, die die anheimelnde Stimmung völlig übertüncht.

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Samstag, 26. März 2016
Ashia Bison Rouge – Oder
Erst sorgte es in der populären Musik bei einzelnen Stücken für die bestimmende Klangfarbe, später wurde es bei Gruppen wie Rasputina und Apocalyptica zum zentralen Instrument: Das Cello hat in der Popmusik seit Jahrzehnten seinen festen Platz. Auch beim neuen Album von Ashia Grzesik steht es im Mittelpunkt. Die Cellistin und Sängerin hat sich ihrer Begleitmusiker entledigt, sich deren Namen Bison Rouge einverleibt und spielt – bis auf wenige Ausnahmen – solo und trotzdem vielstimmig. Sie loopt einzelne Sequenzen, schichtet die Spuren übereinander. Zum Teil schickt die in den USA aufgewachsene Polin die Töne auch durch Effektgeräte. Das Prinzip ist bekannt – der Schweizer Bassist Mich Gerber setzt es schon seit den 90er-Jahren ein –, doch Ashia Bison Rouge fügt eine weitere, tolle Facette hinzu.

Das Cello scheint ein für dieses Prinzip ideales Instrument zu sein. Es deckt den Bereich der männlichen Stimme ab. Ashia Bison Rouge, kann ihre kräftige Stimme mit einem ordentlichen Bass unterlegen oder ihren Stücke mit einer Art Streichquartett einen klassischen Touch geben. Und gezupft wird das Cello auch zu einer kleinen Rhythmusmaschine. Wenn Ashia Grzesik höhere Töne braucht, holt sie sich eine Geige dazu, mitunter ist auch eine Ukulele zu hören.

Der Albumtitel «Oder» verweist auf den Strom, der Polen und Deutschland trennt. Beide Länder spielen in der Biographie der Künstlerin, die derzeit in Berlin, lebt eine Rolle. Die Stücke sind auch eine Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft, der Song «Dig In Our Roots» kündigt das schon im Titel an. Ihre – mit Ausnahme des auf Polnisch gesungenen Titelstücks «Oder» –überwiegend stimmungsvollen und gelegentlich melancholischen Stücke singt Ashia Bsion Rouge in Englisch. Die Melodie des romantischen «Hold and Fall» erinnert an Gershwins «Summertime» Die durch repetitive Loops zwangsläufig redundanten Passagen mancher Stücke bringen sie in die Nähe der Minimal-Music, auch wenn sie keineswegs die suggestive Kraft der Kompositionen eines Philip Glass ausstrahlen. Dafür hat Ashia Bison Rouge ihre kraftvolle Stimme, die sie nicht nur akzentuiert und energisch, sondern durchaus auch subtil einsetzt.

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Samstag, 19. März 2016
Michail Afanassjewitsch Bulgakow - Der Meister und Margarita
Wieder einmal im Alten gewühlt und einen – auch wenn man nur einen Bruchteil der Anspielungen versteht – köstlichen Text wiederentdeckt. Als Hörspiel äußerst ansprechend umgesetzt, und im Hörspielpool sogar gratis zum Herunterladen.

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Dienstag, 8. März 2016
Unverwüstlich
The John Spencer Blues Explosion in der Roten Fabrik in Zürich (CH)
Das unverwüstliche Trio spielt groß auf, sein zeitloses Konzept verfängt auch nach 25 Jahren.

«Ladies and gentlemen, the Blues Explosion», verkündet Jon Spencer wiederholt zwischen den Stücken. Obwohl er sicher sein kann, dass jeder im Saal weiß, wer hier den Bulldozer mit veredeltem Trash durch die Menge schiebt, gibt er den altmodischen Entertainer. Das ist durchaus passend zu einer Musik, die bereits aus der Zeit gefallen scheint. Doch vielleicht zeigt gerade das, wie zeitlos The Jon Spencer Blues Explosion ist. Und auch wenn die Besetzung – zwei Gitarren und Schlagzeug – längst nicht mehr neu ist, fragt man sich einmal mehr, wofür andere Trios einen Bassisten brauchen.



The Jon Spencer Blues Explosion stehen kompakt auf der Bühne und lassen einen guten Teil der Fläche ungenutzt – fast so, als ob sie sich spüren müssten. Tatsächlich scheinen sie sich praktisch blind zu verstehen. Doch der gedrängte Aufbau versinnbildlicht, dass bei JSBE nichts ausfranzt, dass die Songs ungemein dicht sind und straight ins Publikum gerotzt werden. JSBE prügeln unerbittlich mit dem Rockbrett, knurren den Blues, zitieren Sprechgesang und zeigen in einer ganz kurzen Anspielung, dass sie auch schon atonaler unterwegs waren als jetzt.
Das alles kommt wie eh und je direkt aus der Gosse – ramschige Fundstücke, die Jon Spencer, Judah Bauer und Russell Simins neu sortieren, zu Edeltrash aufhübschen und wuchtig in die Welt hinausdonnern. Im Hintergrund flimmern Filmausschnitte mit Aliens, Zombies und Dracula, tanzen Gogo-Girls und schüttelt ein Skelett rhythmisch seine Knochen. Auch das ist von gestern – und verfehlt seine Wirkung trotzdem nicht. Es fügt sich stimmig in die 'anything goes'-Haltung, die JSBE mit ihrer Musik zelebrieren.

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