Sonntag, 6. November 2011
Afrobeat mit Originalen
Seun Kuti im Kaufleuten
«Ist dir nicht klar, was du da machst», geht Seun Kuti lachend auf den Tänzer zu, der in afrikanischer Manier die Bühne erklommen hat und neben dem Kalebassenspieler tanzend seine Freude an der Musik ausdrückt, «du stiehlst mir die Show!» Es sind wahrlich harte Zeiten für den Verwalter des Afrobeat-Erbes. Ein Journalist habe ihn neulich – frei übersetzt – als Schänder des Afrobeat bezeichnet, ereifert er sich. Grundlos, denn der Journalist ist nicht im Raum und das Publikum hat sich schon längst vom charismatischen Bandleader und seinen eloquenten Egypt 80 mitreißen lassen.



Zum Teil hat die generationenübergreifende Truppe schon Fela Kuti gespielt, der gemeinsam mit dem Schlagzeuger Tony Allen als Erfinder des Afrobeat gilt. Die alten Herren wissen, was sie tun. Und ihre Zöglinge stehen ihnen in nichts nach. Aber sie wissen auch, wer sie bezahlt: Selbst wenn Seun Kuti immer wieder in die zweite Reihe zurücktritt, während einer seiner versierten Bläser ein Solo zaubert, ist er der uneingeschränkte Herrscher.
Mit ungeheurer Energie fegt er über die Bühne, spielt mit einfachen Gesten und ausdruckstarker Mimik den Inhalt seiner Lieder nach, salutiert exaltiert bei «African Soldier» und marschiert im Stechschritt über die Bühne. Die Stücke reihen sich nahtlos aneinander, bilden einen Sog, von dem man sich gerne mitziehen lässt. Auch als Seun Kuti nach einer knappen Stunde ankündigt, etwas Tempo herauszunehmen, ist die Gruppe noch immer flott unterwegs.



So sehr die 14-köpfige Gruppe ihrem Bandleader – der auch mit dem Impetus seiner Vaters für die Belange Afrikas eintritt – die Bühne überlässt, so wichtig sind sie für ihn. Denn selbst wenn sie, weitgehend regungslos auf der Bühne stehen, liefern sie den fetzigen Boden für die rasante Show von Fela Kuti. Und von der können selbst ausdrucksstarke Gasttänzer allenfalls kurz ablenken – zu stehlen ist sie ihm nicht.

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Samstag, 5. November 2011
Steif und schmissig
Langer Anlauf, schönes Ende: Max Lässer und das Überlandorchester
Als Max Lässer im Februar diesen Jahres sein Album «Iigschneit» herausbrachte, war der Winter schon vorbei. Abgesehen davon, dass der diesjährige August noch den guten Grund geliefert hatte, das Album hervorzuholen, sind die überwiegend ruhigen Stücke des Albums über jede saisonale Beschränkung erhaben. Zum Glück: Denn Max Lässer und seine Gruppe wurden nicht mit beissender Kälte in Liechtenstein empfangen, sondern mit der angenehmen Wärme, die der Fön immer wieder in das Rheintal bringt.


Würzt alte Zutaten nach eigenem Gusto: Volksmusikinnovator Max Lässer

Der Auftakt wirkt trotzdem unterkühlt. Es liegt nicht daran, dass die hier versammelten Musiker offenbar Menschen sind, die sich im Stillen freuen. Zu akademisch wirken die ersten Stücke, so steif wie ein Jüngling beim ersten Standardtanz mit der zukünftigen Schwiegermutter. Auch die eloquenten Slides von Max Lässer und die Läufe von Markus Flückiger bringen nicht den notwendigen Schmiss. Nur selten blitzt die Lebendigkeit auf, die diese Truppe bei aller Zurückhaltung an den Tag legen kann. Dann etwa, wenn sie sich der Stille nähern und nur noch Daniel Flückiger und der Cellist Daniel Pezzotti mit leisen Tönen und Saiten schaben für pure Atmosphäre sorgen. Oder wenn Pezzotti mit einem furiosen Solo ein Stück so richtig lüpfig macht.

Im Überlandorchester versammelt Musiker, die zu den versiertesten Volksmusikinnovatoren der Schweiz zählen, etwa den Hackbrettspieler Töbi Tobler, der schon in den 1980er-Jahren mit den Appenzeller Space Schöttl frischen Wind in die Szene brachte, den Akkordeonisten Markus Flückiger, den man auch von den Hujässlern und Hanneli Musig kennt, oder Anton Bruhin, der auch schon mit John Zorn oder Guru-Guru-Schlagzeuger Mani Neumeier gespielt hat, an der Maultrommel. Sie spielen überlieferte Stücke aus dem Notenbuch der Hanni Christen genauso wie von zeitgenössischen Musikern und eigene Stücke. In der Instrumentierung fühlen sie sich genauso frei wie beim Hinzufügen moderner Einflüsse, die vor allem aus dem amerikanischen Folk kommen und gleichzeitig heimelig und doch ein bisschen fremd wirken. Wenn Max Lässer mit seinen Slides ein Volksmusik-Stück akzentuiert, wirkt es durchweg, also ab das schon immer zur Volksmusik gehört hätte.

Im zweiten Set vermisst man kaum mehr den Gesang, für den bei der letzten Tournee die Bündnerin Corin Curschellas sorgte und der so auflockernd hätte wirken können. Nicht nur bei den rasanten «Schottischen», auch die eher getragenen Stücken wie «Luzein» sind jetzt richtig geschmeidig. Bernd Bechtloff setzt mit einer schier unerschöpflichen Vielfalt an Perkussionsinstrumenten – von Shakern und Tamburin über Guiro, Triangel und Slide Whistle bis zu Rahmentrommel und Hang – variantenreiche und zauberhafte Akzente. Und als sie sich dann mit «Voralpenglühen» – einem Evergreen der Gruppe – in die letzte Kurve vor der Schlussgeraden legen, ist das Eis längst gebrochen, freuen sich nicht mehr nur still die Musiker über ihre stimmungsvolle Musik, sondern auch das Publikum über konzertant-mitreissende Interpretation zeitgenössischer Volksmusik.

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Dienstag, 1. November 2011
Paley & Francis
Black Francis und Reid Paley haben schnell zehn Songs aus dem Ärmel geschüttelt. Diese sind nicht für die Ewigkeit, aber trotzdem recht vergnüglich. An drei Nachmittagen, so geben die beiden an, haben sie die Musik für zehn Songs geschrieben. Danach hat jeder zu fünf Songs die Texte verfasst. Später wurden die zehn Stücke in reduzierter Besetzung mit zwei Gastmusikern innerhalb von zwei Tagen eingespielt. Es gebe nur 'first takes' auf dem Album, das vor allem simpel ist, aber auf seine einfache Art auch wieder gelungen.

Die Stücke sind ein Amalgam aus Blues, Americana, Soul und Singer/Songwriter. Das ganze Album wirkt wie die spielfreudige Zugabe von alten Haudegen, die vor dem Ausklingen der After-Show-Party noch einmal auf den Putz hauen und für den hartgesottenen Rest der Gesellschaft ein paar Gassenhauer aus dem Ärmel schütteln. Nur, dass sie diese Allerweltslieder schnell erfunden haben.
Diese klingen einerseits so durchschnittlich, dass man irgendwelche Einflüsse gar nicht deutlich zuordnen kann. Das ist nicht innovativ, und man kann das durchaus öde finden. Gleichzeitig weisen die eingängigen und gefälligen Songs, die umgehend vertraut wirken, unterschiedliche Charakteristika auf, die das Album bei aller Homogenität recht vielfältig machen. Francis und Paley singen abwechselnd, beide mit rauer Stimme, wobei die helle von Francis mit der dunklen, rauchig-trunken wirkenden von Paley angenehm kontrastiert. Das von Francis mit Kopfstimme gesungene und schlichtweg peinliche "Cresent Moon" ist die unrühmliche Ausnahme. Wer nicht die Hauptstimme singt, fällt beim Refrain ein -- ein beständig eingesetztes und trotzdem erfrischend wirkendes Stilmittel.

Black Francis und Reid Paley haben mit ihren zehn Songs nicht den großen Wurf gelandet, vielleicht auch nicht mehr als eine Fußnote zu ihrer eigenen Geschichte beigesteuert. Unterhaltend ist das Album allemal.

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Montag, 31. Oktober 2011
Uh, so good?
Charles Bradley beim Jazznojazz im EKZ-Unterwerk Selnau, Zürich
Das Goldene Zeitalter sucht man derzeit nicht in der Zukunft, man blickt zurück. Der Protagonist von Woody Allens neuem Film «Midnight In Paris» flieht vor seinem Alltag in die 1920er-Jahre, im Münchner Rationaltheater tanzt man im Retro-Look zum Swing von Schellack-Platten, und Charles Bradley nimmt seine Fans mit in die funkige Welt des Deep Soul.
Der 63-Jährige - er wurde bei einer Tributveranstaltung seines großen Vorbilds entdeckt - beerbt den Godfather of Soul, James Brown. Der ehemalige Küchenchef ist ein Spätberufener. Viele Jahre lang machte er nebenbei Musik, erst nach einigen Schicksalsschlägen - so die offizielle Geschichte - widmete er sich ihr völlig. Jahrelang tingelte er durch kleine Clubs, dieses Jahr erschien sein Debütalbum. Erst jetzt scheint er den Applaus zu bekommen, den er verdient.


Späte Karriere: Charles Bradley kam erst mit 63 auf die (halb)grossen Bühnen.

Seine Lieder sind stark, Bradley selbst wirkt authentisch, und trotzdem wird im Konzert schon beim viel zu langen Intro klar: Seine Band, die den Boden für eine Punktlandung bereiten soll, wird weder mit Schmelz noch mit Funk für eine flirrend-elektrisierende Atmosphäre sorgen. Und Charles Bradley gibt mit Schmerbauch und vom Leben gezeichneten Gesicht den Liebhaber, der noch immer jugendlich wirken will. Erst im roten Smoking, später im ebenfalls glänzend reich bestickten Overall zitiert er seine Vorgänger, ohne jedoch so extravagant und originell zu wirken wie diese. Seine Musiker - sie absolvieren das Programm zwar druckvoll, aber weitgehend ruhig und unauffällig - überlassen ihm die Show und er verlässt sich auf das Bewährte: Er tänzelt und fällt auf die Knie, er donnert und kreischt, und immer wieder schwenkt er lasziv die Hüften und stöhnt regelmäßig sein «uhh, so goood».


Große Geste: Charleys Bradley hat Grund, die Welt zu umarmen.

Charles Bradley ist nicht der Parodist, als der er mitunter unfreiwillig wirken mag. Seine Musik ist gefühlsbetont und mitreißend, seine Stimme ist mächtig und seine Interpretationen sind intensiv. Man sieht Bradley an, dass er öfters ausgeknockt wurde. Er ist aufgestanden und hat sein Leid in Stärke verwandelt. Das beeindruckt. Vorne tanzen die Zwanzigjährigen und lächeln beglückt, hinten setzt schon früh das muntere Gehen ein. Dachte man beim Debütalbum noch, dass hier ein Geschundener mit den Erfahrungen seines Lebens seiner Lieblingsmusik zu einer neuen Tiefe verhilft, so zeigt er im Konzert, dass er zwar seine Stücke hervorragend verkörpern kann, in der Bühnenshow aber in der Konvention stecken bleibt und auch mit Coverversionen wie Neil Youngs «Heart Of Gold» keine glückliche Hand hat.

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Donnerstag, 6. Oktober 2011
Various - Early Rappers. Hipper Than Hop - The Ancestors of Rap
Alles hat seinen Anfang, jede Musik hat ihre Vorläufer. Jonathan Fischer, der schon einige sehr schöne Alben herausgegeben hat, bietet auch hier wieder einige erstklassige Fundstücke aus den Bereichen Talking Blues, Spoken Poetry oder Soulpreaching - Genres, die nicht vom Rap abgelöst wurden, sondern, von diesem ergänzt, weiter bestehen. Gemeinsamkeiten zwischen den Vorläufern und den Rappern sieht Fischer nicht nur musikalisch, sondern auch im Verhalten. Bei Dr. Horse, einer lokalen Größe im New York der 1950er-Jahre, macht er beispielsweise die Bling-Bling-Attitüde des Hip-Hop aus. Geboten werden wieder Kurioses und Verschollenes - und wenn Jonathan Fischer zu bekannten Namen wie Cab Calloway oder Chuck Berry greift, dann nicht mit deren weltbekannten Gassenhauern wie «Minnie The Moocher» oder «Roll Over Beethoven», sondern mit «The Jungle King» und «Too Much Monkey Business».

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