Samstag, 22. Januar 2011
Zwischenaufenthalt in Feldkirch
22 Pistepirkko auf Jubiläumstournee
Ein Gewölbekeller im Zentrum der Kleinstadt. Statt einer edlen Weinstube gibt es laute Musik -- meist vom DJ, gelegentlich von einer drängend kleinen Bühne, die dem ohnehin nicht opulent ausgestatteten Trio nur knapp ausreichend Platz bietet. Diese Atmosphäre würde auch in einer Metropole als überaus schick empfunden.



Vielleicht haben sich 22 Pistepirkko, die seit dreißig Jahren zusammenspielen, ihre Jubiläumstournee anders vorgestellt, größer, glamouröser. Aber die drei unprätentiös wirkenden Finnen und ihre gut geerdete Musik passen an Orte wie den Rauch Club. Das machen sie schon mit dem Auftakt klar. Auch wenn sie mit dem subtil-klagenden «I'm Tired Of Being Drunk» eine falsche Fährte legen. Denn den Rest des Konzerts dominieren nicht die feinen Töne, sondern durchweg Hannu Keränens druckvolle, überaus satt klingende (Slide-)Gitarre. 22 Pistepirkko spielen sich durch eine abwechslungsreiche Mischung aus eigenen Stücken und Coverversionen, etwa «Not Fade Away» von den Rolling Stones. Die Blues-Einflüsse stehen deutlich im Vordergrund, ihre Country-Vorliebe haben sie ebenso Zuhause gelassen wie die akustische Gitarre. Eine leichte Variante bieten die Finnen im Mittelteil: Hannu Keränen packt seine alte Gretsch aus, spielt mit viel Hall ein twangiges Instrumentalstück und erinnert in der Folge auch dezent daran, dass er auch vom Rock’n’Roll beeinflusst ist.

22 Pistepirkko durchweg spielen roh und direkt. Aber auch wenn das Keyboard und die Chorusse des in selbstvergessener Trance spielenden Asko Keränen mitunter kaum zu hören sind: Die mangelnde Ausgewogenheit stört kaum. Selbst wenn sie sich in eine Sackgasse spielen, wird nicht getadelt: Man freut sich über den Weg, auf dem sie wieder herausfinden.
Auch 22 Pistepirkko wissen: Viel mehr als Perfektion zählt der Fluss der Energie - und der ist das ganze Konzert über mitreißend.

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Montag, 17. Januar 2011
Das erste Buch ...
... von Martin Suter habe ich wieder weggelegt. Prognose: Der lernt es nicht mehr. Später wurde er von Kritikern gelobt, die es eigentlich besser wissen sollten. Ich habe mir die Augen gerieben. Aber im Musikjournalismus erlebe ich ja schon lange, dass es noch viel schlimmer ist. Aber offensichtlich bin ich mit meiner Verwunderung nicht in der schlechtesten Gesellschaft.

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Dienstag, 11. Januar 2011
Super Preachers - The Underdog
Die Super Preachers verbinden das dreckige Filmmusik-Saxophon der 1960er-Jahre mit Rap und TripHop-Stimmung. Der Franzose François Carles, Kopf der Super Preachers, sampelt Klangschnipsel und integriert poppig-altmodischen Chorgesang. Songs wie "Homme Fatal" wirken wie eine Reminiszenz an den französischen Schlager der 1960er; und das herrlich altmodisch klingende "Do Da Swing" schwingt wie im Titel versprochen. Das ist alles charmant und oft auch angenehm schräg. Die Super Preachers sind dabei meistens zu eigenwillig, um als glatter Pop durchzugehen, und gleichzeitig gefällig genug, um nicht in die allerobskurste Ecke abgeschoben zu werden. Vorreiter wie Beck (Hansen) haben Gleichartiges allerdings schon vor mehr als 15 Jahren gemacht.

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Sonntag, 9. Januar 2011
Das Lebensgefühl an der Schnittstelle von Orient und Okzident
Andreas Herzau fotografiert das Leben in Istanbul
Seit einigen Jahren zählt Istanbul zu den angesagten Metropolen der Welt. An der Schnittstelle von Orient und Okzident gelegen, bietet es eine lebendige Kunstszene, die Clubkultur, die sich junge Europäer wünschen, und – selbst wenn man im Ausgeh-Viertel Beyoglu keinen Muezzin rufen hört – die notwendige Dosis Exotik. Der türkischstämmige Regisseur Fatih Akin hat mit seinen Filmen „Gegen die Wand“ und „Auf der anderen Seite“ sowie dem Musikfilm „Crossing the Bridge“ kräftig dabei mitgeholfen, die Stadt und ihre (Jugend)Kultur bei uns bekannt zu machen.

Das grossformatige Buch von Andreas Herzau ist eine Reportage in Bildern. Er fotografiert die Taubenfuttermittelverkäuferin vor der Yeni-Moschee, Menschen beim Warten und im Café, freizügige Werbung auf einem Bus und Gläubige beim Waschen ihrer Füsse vor dem Gebet. Viele Bilder wirken wie beiläufig entstandene Schnappschüsse. Sie sind gelegentlich recht roh, manche haben keinen eindeutigen Schärfebereich. Schwarzweiss-Aufnahmen durchbrechen die überwiegend farbigen Fotos.
Dem Mainzer Fotograf geht es um die Vermittlung von Stimmungen. Er zeigt seine persönliche Sicht der Stadt und nicht die eines Reiseführers. Er bringt viele Alltagsszenen, Menschen in den Strassen oder die aufgereihten Schuhe eines Strassenverkäufers. Seine bei den Streifzügen durch die Stadt entstandenen Bilder benennt er nach Stadtteilen, und nicht etwa nach dem Lokal, in dem er fotografiert hat, nicht nach der abgebildeten Moschee und auch nicht nach der portraitierten Person.

Natürlich kann man sich fragen, warum er nur ein Bild aus dem touristischen Sultanahmet-Viertel bringt, das nicht nur touristische Motive bietet, und wieso er so oft in Eminönü herumgestrichen ist und nicht auch mal Ortaköy, wo früher viele Armenier wohnten. Aber solche, oft von persönlichen Vorlieben geprägten Wünschen muss Andreas Herzau natürlich nicht entsprechen. Er ist seiner eigenen Route, seinem eigenen Spürsinn gefolgt. Und das ist gut so. Denn was zählt, ist, dass er mit seiner Sicht der Stadt ihr Lebensgefühl transportiert. Und das gelingt ihm zweifellos.

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Samstag, 8. Januar 2011
Welthaltige Improvisation, lyrisch und voller Groove
Urumchi im Moods
Das Improvisieren geht ungewollt noch weiter als geplant: Der Cellist Alfred Zimmerlin ist krank und schrumpft das Quartett zum Trio. Würde es nicht selbst verraten, dass es in dieser Konstellation gelegentlich vom Pfad abkommt, es bemerkte wohl niemand. „Das war eigentlich erst die erste Strophe“, erklärt Saadet Türköz überrascht, als das Publikum im Wechsel zwischen zwei Sequenzen applaudiert und so die Musiker zum Ende zwingt. Das gehöre eben auch zur Improvisation, kommentiert Fredy Studer lachend, und man empfehle sich gleich in die Pause. So früh denke ich, obwohl die Zeit dafür durchaus schon gekommen ist. Urumchi lassen offenbar die Zeit vergessen.


Mit kasachisch-türkischen Wurzeln seit vielen Jahren in Zürich: Saadet Türköz.

Das Quartett ist mit dem Schlagzeuger Fredy Studer, dem Akkordeonisten Hans Hassler und Alfred Zimmerlin an Cello und Keyboard mit Schweizer Urgesteinen besetzt, die schon lange die Schweizer Musikszene mitprägen. Sie bieten Innovation aus Tradition, auch wenn das wie der nachgeäffte Werbespruch eines beliebigen Technikunternehmens ist. In unterschiedlichen Besetzungen loten die drei ihre Spielräume aus, bei Urumchi gemeinsam mit der in Istanbul geborenen Sängerin Saadet Türköz.
Diese rezitiert und singt mit eigenwilligem Duktus. Ihr geht es mehr um Klang und weniger um Wohlklang. Ihre eigenwilligen Lautmalereien – die Stimme gelegentlich schmerzhaft reibend – sind nicht unmittelbar nachzuvollziehender Ausdruck. Das den überwiegend in Türkisch gesungenen Texten zugrunde liegende Gefühl ist mitunter kaum zu ergründen.


In allen musikalischen Welten zuhause: Fredy Studer.

Fredy Studer unterlegt die Klängen virtuos, vielfältig und melodisch. Zum poetisch-ruhigen Einstand lässt der Perkussionist Wasser plätschern. Er entlockt dem Gong ein Glissando, indem er ihn in das Wasser taucht. Später drischt er auf ein kleines Becken, das auf der Snare-Drum liegt, oder bespielt das Becken mit einem Cello-Bogen. Virtuos und phantasievoll prägt er über weite Strecken das Konzert. Studer ist nicht der erste, der die Trommeln mit den Händen schlägt. Doch sein Spiel ist absolut originär, und wie er mit Saadet Türköz und Hans Hassler interagiert, ist für mehr als für den Augenblick gemacht (auch wenn man sich weder Stimmung noch Klänge einpacken und mit nach Hause nehmen kann).


Von der Volksmusik zur freien Jazz- und Improszene:Hans Hassler.

Hassler gibt den Solitär. Wie immer in sich versunken, wie abwesend in seiner eigenen Welt, scheint er mit seinen auch bei leisen Stellen oft angestrengt fest zusammengekniffenen Augen für die stimmungsvolle Interaktion kleinen Blickkontakt zu brauchen. Mal liefert er eine unbegreiflich lange Zeit den Bordun-Ton, auf dem die anderen abheben können, später geht er (aber noch immer in sich versunken) beflügelt aus sich heraus -- mit vollem Klang, rhythmisch und, obwohl kaum sperrig, mitunter herrlich vertrackt.
Bei Urumchi ist auch gut aufgehoben, wer vor freiem Jazz Respekt hat. Die Gruppe hebt zwar – im positiven Sinn – gehörig ab, ist aber gleichzeitig geerdet.

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