Samstag, 9. Oktober 2010
Nah am Stillstand
Mose in der Johanniterkirche, Feldkirch (A)
Kaum jemand spielt langsamer als sie, die Lieder von Mose sind von Haus aus nahe am Stillstand. Ihr neues Americana-Album haben sie an einem exklusiven Ort vorgestellt.

Roh ist sie, leer und kalt: Die Johanniterkirche in Feldkirch stammt aus der Zeit der Kreuzzüge. Heute ist die unscheinbare Kirche ein Ausstellungsraum, in denen internationale Künstler wie Jenny Holzer und Kimsooja ausgestellt werden. Zwischen zweien solcher Ausstellungen dürfen Mose ihr sechstes Album präsentieren. Der Kirchenraum selbst ist unbegehbar, das kleine Konzert findet in der Apsis statt, dem hier ungewöhnlich grossen Altarraum.


Drei auf einer Seite: Thomas Keckeis, Markus Marte,
Karl Müllner


Während die Ausstellungen fein eingerichtet werden, bleibt Mose nur die grobe, improvisierte Inszenierung. Ein paar Lampen – eine muss gar durch die geöffnete Tür aus dem Vorraum die Bühne bestrahlen – müssen genügen. Ein auf dem Boden liegender Scheinwerfer strahlt durch das leere Kirchenschiff und taucht die Wand in leicht gespenstisch anmutendes, gelbes Licht. Für die Atmosphäre muss vor allem die Musik sorgen. Nicht nur das gespenstische «Date With Elvis» passt in dieses Ambiente, auch einige andere lassen mit ihrer Schwermut zur Kälte die Feuchtigkeit hochkriechen.

Mit – wechselweise eingesetzt – Banjo, Akkordeon, Casio-Minikeyboard und Xylophon, setzen Mose subtile Akzente. Obwohl stilistisch vergleichbar, wechseln sich die Musiker am Mikrofon ab. Über weite Strecken verzichten sie völlig auf den Gesang, mitunter zerfasert dann das Konzert, und der Spannungsbogen fällt ab. Das Quartett nimmt ihn jedoch immer wieder mit akzentuierten («Les Yeux») bis kantig-lauten Stücken («Sodumir», «Flisch») auf. Meist steht dann Thomas Kuschnys reduziert-prägnantes Gitarrespiel im Vordergrund. Das tut immer wieder gut. Mit der letzten Zugabe erinnern Mose schliesslich daran, dass man solcherart Abwechslung gelegentlich vermisst hat: Das verhältnismässig flotte «Nuke» mit seinem angenehmen Alternative-Country-Touch ist das einzige Stück, zu dem man, wäre es gewollt, sogar hätte tanzen können. Aber das, andererseits, passt dann doch nicht – nicht zu Mose, und schon gar nicht in eine Kirche mit dieser Geschichte.

Prägnant auf der anderen Seite: Thomas Kuschny (Bild 2)

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Sonntag, 3. Oktober 2010
Am Ende großes Kino
Nach einer Aufwärmphase mit einzelnen guten Songs schliessen Nufa ihr Konzert in Dornbirn großartig ab
Ihr Rezept könnte man simpel nennen. Denn schon lange vor Nufa haben Bands sanfte Musik mit Störgeräuschen gebrochen, liebliche Melodien mit wilden Ausbrüchen konterkariert und die Lärmorgien wiederum im Nichts ausklingen lassen. Nufa überraschen trotzdem schon nach wenigen Minuten: Das abrupte Ende des ersten Stückes wirkt wie ein Überfall. Gefahr eine Massenpanik besteht nicht - nur wenige interessieren sich für das Konzert, das nach einer kleinen Durststrecke großartig enden wird.


Alltägliche Beobachtungen im eigenen Duktus: Nufa-Sänger Jacob Schneikart.

Im ersten Teil des Auftritts gelingt es der Gruppe noch nicht, ihre Stücke harmonisch zu verbinden. Sie bleiben Solitäre, einige davon immerhin wirklich gute. Aber gegen Ende beginnen Nufa doch noch mit dem großen Kino. Auf ein grooviges Instrumenal-Stück folgen «Du denkst», eines der besten Stücke des neuen Albums «Das Wetter ist schön heute», sowie das bedrückende «Vor einem Monat» und sorgen für einen hervorragenden Abschluss.

Jacob Schneikart ist zwar kein hervorragender Sänger, was insbesondere in den ruhigen Passagen nicht zu verbergen ist. Doch es gibt genügend ausdrucksstarke Beispiele dafür, dass das kein Manko sein muss -- von Hildegard Knef bis zu Element-of-Crime-Sänger Sven Regener. Und Jacob Schneikart hat seinen eigenen, eigenwilligen Duktus gefunden, der hervorragend zu seinen Texten passt.
In «Du denkst» verkörpert er zudem geradezu die Schüchternheit, mit welcher der Ich-Erzähler des Textes einer Frau sagt, was er an ihr mag. Und in «Vor einem Monat» erzählt er in knappen Worten von den regelmäßigen Sonntagsausflügen zur Großmutter, deren Routine erst leerer wird, weil das Enkelkind das Interesse verliert und später, weil die Großmutter immer schwächer wird. «Es gab Lasagne», singt er vom letzten Besuch, «früher gab es Braten.» Das Leben wird beschwerlicher, die Gerichte einfacher. Man kann das Ende eben nicht aufhalten, nur dabei zusehen, wie es langsam kommt und gute Miene dazu machen. Und nach dem Essen schaut man die Bilder vom 82. Geburtstag an, der vor einem Monat gefeiert wurde - vielleicht wird es der letzte sein, denkt man unwillkürlich, während die Band das Stück weiter treibt, dringlich und trocken.
Jacob Schneikart verwendet für seine Texte alltägliche Begebenheiten und zeichnet mit einfachen Bildern emotionale Situationen. Gerade ein Text wie «Vor einem Monat» erwartet man nicht von einem Anfangszwanziger. Auch auf die Musik müssen andere viel länger hinarbeiten als das deutsche Quintett, das in den romantisch-feinfühligen Bereichen niemals kitschig wird und seine Ausbrüchen in geschmackvoll-kultivierter Wildheit vollzieht.

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Samstag, 2. Oktober 2010
Paul Auster - Unsichtbar
Paul Auster hat einen verwirrend konstruierten Roman geschrieben - und trotzdem sind die Handlungsstränge so klar, dass man ihnen auch im Hörbuch problemlos folgen kann. Im Zentrum steht die Geschichte von Adam Walker, die man aber nur vermeintlich von ihm direkt erzählt bekommt. Im Laufe des Buches stellt sich heraus, dass Adam Walker die Erlebnisse seiner Studentenzeit aufgeschrieben hat, die zum Teil wieder jemand anderes erzählt. Auster thematisiert mit seiner Geschichte vor allem die Themen Schuld und Gewalt und würfelt dafür auch Genres - Biographie, Krimi, Agentenroman - munter durcheinander.

Der 2009 erschienene Roman des US-amerikanischen Schriftstellers bleibt durchweg spannend, auch wenn die eingebaute kalkulierte Provokation, eine Inzest-Geschichte, heute kaum mehr jemanden empören wird. Es sind die überraschenden Wendungen, die in den Bann ziehen, und auch die raffinierte Konstruktion des von Burkhard Klaußner hervorragend gelesenen Romans.

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Samstag, 11. September 2010
Henry Leutwyler - Michael Jackson
«Ich wollte eine andere Seite von Michael Jackson zeigen. Ich wollte ihn wieder auf den Boden bringen und den Mann zeigen, der er war. Einer, der Schweiß- und Makeup-Spuren auf seiner Wäsche hinterlässt», sagte der People-Fotograf Henry Leutwyler zu seinen Bildern. Dafür hat er Gegenstände des Künstlers abgebildet, die in einer Auktion versteigert werden sollten: den legendären weißen Handschuh, Kostüme, eine abgegriffene, alte Peter-Pan-Ausgabe, Putten und Nippes. Leutwyler, eigentlich People-Fotograf, wählte für die Sachaufnahmen eher unbewusst einen schwarzen Hintergrund, der die Farben noch mehr strahlen lässt.

Die 'unglaubliche Traurigkeit' ausstrahlenden 'Artefakte einer verlorenen Jugend' würden mehr über die Person des Musikers aussagen als ein Porträt von ihm, behauptet der Schweizer Fotograf. Das mag weit hergeholt sein, denn die Bilder sind letztlich Sachaufnahmen, wie man sie in jedem Auktionskatalog finden kann. Auch die von Leutwyler fotografierten Gegenstände waren für eine Auktion bestimmt. Michael Jackson konnte sie mit dem Vorschuss für die in London angekündigten Konzerte wieder auslösen. Die Interpretation des Schweizer Fotografen - «Für ihn war das wohl so, als ob er seine Jugend und Kindheit zum zweiten Mal verloren hatte» - klingt nur bedingt stimmig. Denn zumeist sind Bühnenkleidung und Accessoires abgebildet und nicht Gegenstände aus Jacksons Jugendzeit.
Doch egal, wie man die Ergebnisse interpretiert: Henry Leutwyler bietet mit seinen makellosen Bildern einen ungewöhnlichen Zugang zur Person Michael Jackson. Der Rest ist Interpretation.

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Montag, 6. September 2010
Beat Sterchi - Blösch
Ein voluminöser Roman vom Land, gelesen in Kneipe, Kuhstall und Schlachthof
«Blösch» zählt zu den wichtigsten Schweizer Gegenwartsromanen. Vordergründig ist der 1983 erschienene Erstling von Beat Sterchi die Geschichte des spanischen Fremdarbeiters Ambrosio, der Frau und Kinder in Coruna zurückgelassen hat, um im wohlhabenden Land Geld für ihr Überleben zu verdienen. Tatsächlich zeichnet Sterchi anhand der Entwicklung verschiedener Personen ein realistisches Stimmungsbild der ländlichen Schweiz in den 1960er-Jahren und gibt gleichzeitig einen emotionslosen Einblick in die Veränderung der Landwirtschaft. Er zeigt, wie die Anfeindungen gegen den Fremdarbeiter den Knuchelbauer dazu bringen, sich von diesem zu trennen und sich der fortschreitenden Industrialisierung zu unterwerfen. Ambrosio, für den er eine Anstellung im Schlachthof findet, zerbricht an Arbeit und Umfeld - und erleidet damit letztlich das gleiche Schicksal wie die Einheimischen.
«Sterchis Blösch fährt in unsere dünnblütige Literaturwelt hinein wie einst Die Blechtrommel in die wechselnden Realismen der Nachkriegsliteratur», urteilte der renommierte Publizist Heinz Ludwig Arnold im Spiegel.

Das 18-stündige Hörbuch ist trotz handwerklicher Mängel - man hört immer wieder mal ein Schmatzen oder eine verschluckte Silbe - ein Vergnügen. Sebastian Mattmüller hat den Text an 'Originalschauplätzen' gelesen, im Kuhstall, auf der Weide, im Schlachthof. Das sorgt, wenn auch nicht so zielgerichtet wie bei einem Hörspiel, für eine originelle Geräuschkulisse und Lokalkolorit. Mattmüller, eigentlich Sänger, fehlt zwar offensichtlich die (Vor-)Leseerfahrung, daher bringt er die unterschiedlichen Charaktere nicht immer differenziert genug. Aber das macht er durch die durchweg zu spürende Begeisterung für den Text weitgehend wett.
«Blösch» - das Hörbuch kommt als MP3-Datei auf zwei CDs - ist ein großartiger Roman. Nachdem er jetzt als Hörbuch da ist, fragt man sich, warum es so lange gedauert hat. Vermutlich, weil der Originalverlag die Verbreitung im gesamten deutschsprachigen Raum - und das ist sicher berechtigt - als sehr gering ansieht. Umso höher ist das Engagement eines kleinen Verlags für dieses überaus ambitionierte Hörbuchprojekt zu schätzen.

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