Sonntag, 28. Februar 2010
T. C. Boyle - Zähne und Klauen
Bei vielen Büchern reicht es völlig, wenn man auf die Taschenbuchausgabe wartet. Bis zu deren Erscheinen hat sich - wie bei den unverzichtbaren Zeitungsartikeln, die man einige Wochen später oft ungelesen wegschmeißt - die Dringlichkeit relativiert oder es sind ohnehin zeitlose Geschichten, die nur auf die passende Gestimmtheit der Lesenden warten. T. C. Boyles Erzählband «Zähne und Klauen» pendelt dazwischen. Wie immer sprachmächtig und mit überbordender Fantasie erzählt er überwiegend von Menschen am Rand des gesellschaftlichen Abgrunds. Da ist der coole Lehrer auf der Schwelle zur Heroinsucht oder der von seiner Freundin Verlassene an der Kippe zum Pennerdasein. Es gibt aber auch die "normalen" vom Pech verfolgten, die zum Beispiel die unheilbare Krankheit der Ehefrau aus der Bahn zu werfen droht.
Die Erzählungen in «Zähne und Klauen» sind sicherlich nicht die besten des Autors, aber noch immer eine Klasse für sich.

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Dienstag, 16. Februar 2010
Die Strottern - I gabad ois
Der Tod kauft sich einen Heurigen am Zentralfriedhof, der heisst «zur letztn apotekn» und ist gemütlich «zum verreckn». In den Liedern von Klemens Lendl und David Müller kommt – abgesehen von einer Eloge auf die Stadt Wien – alles vor, was auch das Wienerlied thematisiert. Allerdings thematisieren sie – auch wenn sie mit «Zehn Guidn» auch ein Trinklied im Programm haben – Wein, Weib und Gesang nicht auf die früher altmodisch fröhliche Art. Bei den Strottern erzählt der Tod seinem Kind («Dod und Dodal»), dass er sich zur Ruhe setzen möchte und gibt ihm noch den Rat, und bitte es «drah net glei olle haam, waun de engaln auf urlaub san».

Die Strottern sind nicht die ersten, die das Wienerlied renovieren. In den 1970er-Jahren waren es Karl Hodina, André Heller und Roland Neuwirth (u. a. mit seinen Extrem Schrammeln), derzeit gehören das Kollegium Kalksburg und eben auch die Strottern zu den Erneuerern. Ihre Lieder sind nicht weinselig, sondern haben meist einen wehmütigen Klang. Sie sind wienerisch nihilistisch («Woascheinlich») und kommen gar nicht alle aus Wien: Das «Lumpenlied» ist ein ins Wienerische übertragene Gedicht von Wilhelm Busch.

Die Musik der Strottern ist äußerst reduziert und ich war überrascht, als ich die opulente Besetzungsliste gesehen habe. Neben dem Grundstock Geige und Gitarre spielen die beiden Strottern selbst einige Instrumente und haben auch noch u. a. Gäste geladen, die Zither, Akkordeon, Saxophon, Bass und Mellophon spielen – allerdings nie als Bigband, sondern immer nur als einzelne, akzentuierende Begleiter.

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Sonntag, 14. Februar 2010
Ode an die Cover-Art
Der Wind, das Licht. ECM und das Bild macht Lust aufs Hören
Dies ist ohne Zweifel der schönste Katalog, den ich je gesehen habe. Ein bibliophiler Bilderrausch, zum Schmökern, um Lust auf Musik zu bekommen. Er will nichts verkaufen. Der Wind, das Licht ist ein (ziemlich voluminöses) Kleinod für Anhänger des aus Produkt und Verpackung bestehenden musikalischen Gesamtkunstwerks. Wer dem großen Format der Langspielplattenhülle nachtrauert, weil das CD-Format keine Cover-Art mehr zulasse, findet hier die geballte Hilfe zur Überwindung seiner Vorurteile.

Der prächtige Bildband ist aus Anlass des 40jährigen Jubiläums von Manfred Eichers Plattenfirma ECM (Edition of Contemporary Music) entstanden und bringt vor allem die Plattencover von 1996 bis heute (die Zeit von der Gründung im Jahre 1969 bis 1996 wird vom Band Sleeves of Desire abgedeckt, der ebenfalls im Lars-Müller-Verlag erschienen ist.)
Neben den Cover-Abbildungen werden manche Musiker in Schwarzweißfotografien gezeigt und immer wieder doppelseitige, atmosphärische Bilder.
Verschiedene Essays, die der Faszination der Cover-Gestaltung auf die Spur kommen möchten, begleiten die opulente Bilderflut. Thomas Steinfeld, Leiter Feuilleton der Süddeutschen Zeitung und der Pianist Ketil Bjørnstad bewundern neben anderen Aspekten die Zeitlosigkeit der Bilder. Die Kunsthistorikerin Katharina Epprecht erkennt in ihnen Transmediale Sinnbilder und bemerkt, dass die äußere Erscheinung der Alben zur Konzentration auf das Wesentliche hinführt, während der britische Filmspezialist Geoff Andrew dem Verhältnis der Filme von Jean-Luc Godard und Labelchef Manfred Eicher auf den Grund geht. ECM veröffentlichte nicht nur Filme des französischen Regisseurs und den Soundtrack zu Nouvelle Vague (1997), sondern setzt Film-Stills auch für Plattencover ein.

Durch ihre eigenständige Bildsprache bzw. Grafik sind die Plattenhüllen von ECM so unverwechselbar wie bei kaum einem anderen Label. Trotz allem künstlerischen Anspruch erfüllen die Bilder ihre werberische Aufgabe und machen Lust auf mehr. Man möchte die Musik sofort hören, bemerkte eine Besucherin nach kurzem Blättern in Der Wind, das Licht. Wohl dem, der dann nur noch zum CD-Regal gehen und nicht mehr allzuviel nachkaufen muss...

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Samstag, 13. Februar 2010
Leben verstehen, Leben leben
Das Leben muss rückwärts verstanden und vorwärts gelebt werden. (Søren Aabye Kierkegaarg)

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Montag, 8. Februar 2010
Angelique Kidjo - Oyo
Angelique Kidjo beweist mit ihrem neuen Album, was wir ohnehin längst wissen: dass sie eine großartige Stimme hat. Darüber hinaus hat sie den richtigen Schritt zurück nach vorn gemacht, sich mehr auf die Herkunft berufen und die Auswahl ihrer Interpretationen von Popmusik und Stilen harmonischer gestaltet als in der jüngeren Vergangenheit.

Das Album startet mit dem eindringlichen A-capella-Intro von Zelie, das Lionel Loueke mit einer subtil gespielten Gitarre untermalt - es ist nicht das einzige Mal, dass der Musiker aus Kidjos Heimatland Benin eine tragende Rolle spielt. Auch bei Atcha Houn setzt er entscheidende Akzente. Die Eigenkompositionen Kelele, eine Reminiszenz an die Zeit des Highlife, und Dil Main Chuppa Ke Pyar Ka zeigen die unterhaltsam-lebendige Kidjo und mit Mbube interpretiert sie einen der afrikanischen Klassiker in jazziger Manier überaus originell und eigenständig.

Auch wenn das Album wiederum bei Cover-Versionen schwach wird - das brav heruntergespielte Samba Pa Ti (daran ändert auch Gasttrompeter Roy Hargrove nichts), und Petite Fleur interpretiert Kidjo für mein Gefühl nicht weich genug - gelingen ihr westlich inspirierte Stücke besser als früher. Die funkigen Nummern Cold Sweat und Move On Up (von Curtis Mayfield, hier mit John Legend als Duettpartner) sind mitreißend, Otis Reddings Soul-Klassiker I Got Dreams To Remember ergreifend.

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