Sonntag, 5. April 2009
«Zwangsunterhaltung ist meine Stärke»
Peter Sarbach amüsiert im Schlösslekeller in Vaduz
Peter Sarbach ist mit großer Wahrscheinlichkeit der verschrobenste Schweizer Liedermacher. Obwohl er im sehr sympathischen, aber schwer verständlichen Emmentaler Dialekt singt, hat er es zu Auftritten in Deutschland geschafft. Er gibt sich Mühe, damit man ihn wenigstens im alemannischen Raum versteht. Bei seiner aktuellen Tournee liegt der Ausflug über die Grenze jedoch nicht drin: Er absolviert sie mit dem Fahrrad. Dreißig Tage fährt er quer durch die Deutschschweiz - von Chur Romanshorn, Frauenfeld, Zürich, Bern und Thun zurück in die Nähe seines Geburtsorts Freimettigen. Tagsüber radelt er mit seinem 1970er-Jahre-Rad - «damals war es das Topmodell» -, abends steht es neben ihm auf der Bühne. 30 Tage, 30 Orte, 30 Auftritte.


Der Sänger als Rotvieh: Peter Sarbach ist nichts
zu schräg


Obwohl er von Ort zu Ort oft 60 und mehr Kilometer zurücklegt, merkt man von Müdigkeit nichts. Peter Sarbach spielt nicht perfekt, aber kraftvoll, seine volle Stimme füllt den Raum auch ohne Mikrophon aus. Er gibt sich einfältig und macht das reichlich raffiniert. Sein Bühnen-Ich ist von seiner Person höchstens für Freunde zu unterscheiden. Sein Witz ist hintersinnig, mitunter feinsinnig, aber meist relativ grob. Er mag es, wenn seine Lieder abrupt und überraschend enden: Das Loblied auf die Zahl 15 ist nach 15 wenigen Worten zu Ende. Bei seinen Liedern -- auch wenn sie grober sind als die des Berner Mundartsängers -- stand Mani Matter Pate, sein schräger Witz erinnert an Karl Valentin. In seiner Maskerade, Sarbach hat ein Faible für groteske Brillen und bizarre Kopfbedeckungen, steht er Georg Ringsgwandl in nichts nach.

Dazu zeigt sich Sarbach als glänzender Unterhalter, der mit spontanen Einwürfen überrascht, sein Publikum mit einbezieht und zu spontanen Einwürfen herausfordert, die er glänzend aufnimmt und pariert. Das ist nicht durchgängig, aber immer wieder bemerkenswerte Kleinkunst, die größere Beachtung verdient hätte und zudem Charme daraus bezieht, dass er auch in Brockenhäusern (Secondhand-Läden) auftritt oder in der Berner Recycling-Werkstätte, in der Arbeitslose sein nächstes Fahrrad zusammenschrauben -- ein 3-Gang-Rad aus den 1970ern natürlich.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 2. April 2009
Der Jazz in Deutschland
Teil vier dokumentiert den Wandel Vom Jazz in Deutschland zum deutschen Jazz
Ob sich die deutschen Jazzmusiker tatsächlich erst in den 1960er-Jahren von den US-amerikanischen Einflüssen emanzipiert und freigespielt haben, sei dahingestellt. Tatsächlich hat sich der Free Jazz in Deutschland mit Wucht entfaltet, wie die erste CD des vierten Dreiersets belegt. In den 1970ern dominierte der Jazz-Rock und danach wird es – wie die Herausgeber hinweisen – ziemlich unübersichtlich. Die gesetzten Schwerpunkte sind durchaus gerechtfertigt, auch wenn die Übergänge der Epochen fließend sind und auch der 1970er-Jahre-Jazz nicht nur aus Jazz-Rock bestand. Er war eine maßgebliche Neuerung, und die ausgewählten Stücke sind hervorragend.

Auch der vierte und abschließende Teil der umfassenden Reihe erinnert an großartige Künstler. Den Auftakt macht ein Stück aus dem Album Heinrich Heine – Jazz und Lyrik (mit Musik von Attila Zoller und Gert Westphal als Sprecher). Der Impuls dazu kam aus den USA, wo zeitgenössische Texte, etwa von Jack Kerouac oder William S. Burroughs im Mittelpunkt standen. Dazu gibt es üppige Free-Jazz-Einspielungen (u. a. von Peter Brötzmann, Hans Reichel, Peter Kowald) und einen ansprechenden Überblick über die Jazzrock-Ära in den 1980er-Jahren mit dem "Vater des Jazzrock" Volker Kriegel, dem von diesem mitbegründeten Unitd Jazz + Rock Ensemble, mit Helmut 'Joe' Sachse, Torsten de Winkel und anderen bekannten Protagonisten.
Später, so stellen die Herausgeber fest, wurde die Szene unübersichtlich, die parallel gespielten und sich entwickelnden Stile erschwerten eine Zuordnung. Traditioneller Jazz, NuJazz, Club-Jazz, Ethno-Jazz und weitere Spielarten existieren unabhängig voneinander. Und natürlich setzen sich viele Jazzmusiker mit der Vergangenheit auseinander. Der Spagat zwischen etablierten, originellen Stimmen und interessanten Nachwuchskünstlern ist nicht ganz gelungen. Künstler von der Qualität eines Till Brönner sollten hier nicht fehlen. Und ein paar Empfehlungen von innovativen, noch kaum bemerkten Nachwuchskünstlern wären auch nicht schlecht.

Doch trotz dieser Einschränkungen zeigt das wie gewohnt mit einem umfangreichen und großzügig bebilderten Begleitheft erschienene Abschlussset der Reihe Der Jazz in Deutschland, wie vielfältig die deutsche Jazzszene derzeit ist.

Teil eins bringt die Vorgeschichte bis zu den ersten Gehversuchen 1899-1932
Teil zwei bringt die Swing-Jahre von 1932 bis 1961
Teil drei dokumentiert den 'frischen Wind', der von den 1950er-Jahren bis heute durch die deutsche Jazzlandschaft weht

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 1. April 2009
Ich möchte ein Hopper sein, ...

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 21. März 2009
Schäkern mit Musik
Das Orchestra Baobab im Kaufleuten
Das Orchestra Baobab ist eine Legende. Sie erzählt von der Zeit des Aufbruchs in Afrika, von den neuen Freiheiten, von der Energie des Aufbruchs, von der neu gewonnenen Leichtigkeit und dem süßen Leben in der Unabhängigkeit. 1970 gegründet, verschmolzen die aus verschiedenen afrikanischen Staaten stammenden Musiker kubanische mit traditionellen Rhythmen. Viele Jahre lang wurden sie zu den Lieblingen der High Society von Dakar -- bis sie der Mbalax des Youssou N’Dour wegfegte. Das Orchestra Baobab wurde 1987 aufgelöst, aber 15 Jahre später wiederbelebt; um die Musik von damals zu spielen und nun sogar um die ganze Welt zu tragen.



Eigentlich ist der neue Erfolg der Gruppe überraschend: Das Orchestra Baobab ist eine Unterhaltungscombo wie die Orchester von James Last oder die Oberkrainer von Slavko Avsenik. Ihre Musik so modern, wie es die Arrangements deutschen Bandleaders in den 1960er-Jahren war, so zeitgenössisch wie der vom slowenischen Komponisten in den 1950ern erfundene charakteristische Klang, der schon immer für hinterwäldlerische Heimattümelei stand.

Für die zehnköpfige Boygroup ist auf der Kaufleutenbühne kaum Platz. Fast alle wollen in der ersten Reihe stehen, mit dem Publikum schäkern und sich in dessen Bewunderung sonnen. Sie kommen siegesgewiss auf die Bühne. Für viele Zuschauer, die schon vor dem ersten Ton ihre Freude und Begeisterung zeigen, ist es ganz offensichtlich nicht die erste Begegnung. Die Musiker müssen keine Stimmung machen. Die ist schon da und reisst auch während der relativ gleichförmigen erste Hälfte des Konzerts nicht ab. Die Musiker spielen locker und routiniert. Um die gleiche Klangfülle zu erreichen, müssten sie nicht zu zehnt auf der Bühne stehen. Aber dann könnten nicht vier Sänger für unterschiedliche Klangfarben und vortreffliche Chorusse sorgen. Die Arbeit des Saxophonisten besteht vornehmlich aus herumflachsen, Grimassen schneiden und wenigen, dafür hervorragenden eruptiven Einwürfen, von denen man sich mehr wünscht. Dafür zeigt sich Barthélemy Attisso umso brillanter. Der meist in sich gekehrte Gitarrist, der für die Reunion Baobab seinen Job als Rechtsanwalt in Togo aufgegeben hat, versorgt praktisch jedes Stück mit einem originellen Solo.
Der richtige Schwung kommt erst in der zweiten Hälfte des Konzerts: „Ami kita bay“ ist der Auftakt für eine Strecke von einigen Liedern, in denen das Orchestra Baobab erkennbar macht, womit es seinen hervorragenden Ruf erspielt hat. Die Stücke haben plötzlich mehr als den ureigenen Baobab-Sound mit seiner glasklaren Gitarre, sondern bestechen durch Melodien, die eingängig und dramatisch sind. Obwohl die Gruppe unverändert lässig und beiläufig spielt, steigert sie ihre Präsenz. Doch bald schalten sie wieder einen Gang zurück und lassen es weiter routiniert grooven. Während der Zugabe schaut einer der Sänger zufrieden auf die Uhr: Sie mussten während der knapp zwei Stunden nicht alles geben und haben trotzdem den Eindruck hinterlassen, dass ihr Auftritt mehr als eine Pflichtübung war.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 19. März 2009
Mark van Huisseling - Wie man berühmte Menschen trifft: 53 Gespräche mit Prominenten
Vermutlich würde Mark van Huisseling am liebsten nur über sich schreiben. Weil das aber niemand lesen würde, schreibt er über so genannte VIP-Anlässe und über andere Menschen. Selbst in seinen Interviews mit bemerkenswerten Zeitgenossen erfährt man über den Interviewer fast genauso viel wie über die Befragten. Mark van Huisseling ist – neudeutsch gesprochen – People-Journalist, also für Klatsch und Tratsch zuständig. Daher ist es eigentlich egal, mit wem er sich trifft und ob es um ein neues Parfüm geht oder um ein neues Buch. Denn darüber wird ohnehin nicht gesprochen.
Die Mischung macht’s. Ob der Mensch, mit dem er sich trifft, nur prominent ist wie zum Beispiel Verena Pooth oder die ehemalige Pornodarstellerin Dolly Buster, oder ob sein Gesprächspartner wirklich Substanzielles zu sagen hätte, wie der Regisseur Christoph Schlingensief oder der Musiker Schorsch Kamerun: MvH, wie sich der Autor gerne nennt, unterläuft die Werbebemühungen seiner Gesprächspartner wie auch die gängige Interview-Form. Er verzichtet auf das übliche Frage-Antwort-Schema, sondern montiert die Aussagen in einen Text. Dieser ist jedoch kein Porträt seines Gegenübers, sondern eine Mischung aus reportageartigen Hinweisen auf die Situation, Zitate aus anderen Medien, mit denen er seine Gesprächspartner charakterisiert, eigenen Kommentaren und Assoziationen. Nicht zuletzt bringt er natürlich die Antworten seiner Interviewpartner, und mitunter verweist er sogar auf Gespräche mit anderen, zum Beispiel in der Niederschrift seines Gesprächs mit dem deutschen Maler Martin Eder.

Der Rockkritker Alan Bangs hat es mit seinen Texten tatsächlich auf die Bühne geschafft. Als er der J. Geils Band im Interview mit der ihm eigenen Unbescheidenheit unter die Nase rieb, der einzige Unterschied zwischen ihnen sei eigentlich der, dass man die Musiker bei der Ausübung ihrer künstlerischen Tätigkeit sehen könne, luden sie ihn prompt auf die Bühne ein, wo seine Schreibmaschine mit einem Mikro abgenommen wurde und er dann im Takt der Musik in die Tasten haute.
Vergleichbar unbescheiden ist auch van Huisseling, der es aber nur in die Jury eines Fernseh-Talentwettbewerbs gebracht hat. Zu seiner Ehrenrettung sei erwähnt, dass er dort gefeuert wurde, weil er als zu bösartig galt.

Auch wenn es der Werbetext abstreitet: Mark van Huisseling gefällt es, andere vorzuführen und als dumm darzustellen. Das macht durchaus Spaß, wenn man die eigenen Vorurteile pflegen möchte und bei Personen, mit denen man nie ein Interview lesen würde – mit dem Boxer René Weller, den Sängern Heino und Roberto Blanco, dem Kleidermacher Wolfgang Joop oder dem Fotomodell Gitta Saxx. Auch wenn er mit Harald Schmidt spricht, mit Schorsch Kamerun, Wim Wenders oder Marianne Faithfull ist das durchaus amüsant. Allerdings zeichnet er überwiegend Oberflächliches auf. Mark van Huisseling ist weit weg von er Qualität eines André Müller, der mit seinen ausführlichen Interviews das Wesen seiner Gesprächspartner facettenreich nahebringt. Diesen Anspruch kann van Huisseling nicht erfüllen. Seine Interviews müssen nicht mehr als einen oberflächlichen Reiz ausüben. Ihrer Aufgabe, die Trivialbedürfnisse der Leser einer gehobenen Wochenzeitung zu erfüllen, kommen sie aber vorzüglich nach. Und wenn man in den zwei Minuten, die man warten muss bis das Omelett fertig ist, belanglose Zerstreuung sucht, sind die Häppchen ideal. Man sollte nur wegen der Fettspritzer aufpassen. Denn das relativ großformatige Buch ist schön gemacht und hat überwiegend vorzügliche Porträts.

... link (0 Kommentare)   ... comment