Sonntag, 18. November 2012
Fernab von sicherem Terrain
Christian Zehnder, Arkady Shilkloper und John Wolf Brennan im Jazzclub Tangente in Eschen (FL)
Ein Trio mit Christian Zehnder ist per se originell. Wer als Musiker gegen den Kuriositätenbonus des Obertonsängers anspielen muss, hat es gewiss schwer, doch dem Hornisten Arkady Shilkloper und dem Pianisten John Wolf Brennan fällt die Aufgabe leicht.

Der beiläufige Hinweis von Christian Zehnder, dass das Trio bei jedem Auftritt anders klinge, wirkt wie unbegründete Koketterie. Die drei Musiker haben sich ihre Meriten längst erworben. Doch schon beim ersten Stück merkt man deutlich: Die drei, die noch nicht allzu lange gemeinsam spielen, bewegen sich oft fernab von gesichertem Terrain.

Der Obertongesang, in den 1960er-Jahren in die westliche Musik eingeführt, ist immer noch außergewöhnlich. Daher ist es nicht überraschend, dass Christian Zehnder im Mittelpunkt steht. Er bringt nicht nur westlichen Obertongesang, sondern singt auch in der asiatischen Tradition und wechselt immer wieder in den knarrig tiefen Kehlkopfgesang. Dazu beweist er als Tonpantomime, der alle Rollen einer hitzigen Auseinandersetzung verkörpert, auch komödiantisches Talent. Doch auch wenn Brennan und Shilklopper ihrem Kollegen immer wieder den Platz an der Sonne überlassen, stehen sie ihm in nichts nach. Arkady Shilkloper – er zählt zu den derzeit virtuosesten Alphornspielern überhaupt – bringt ungeahnt temperamentvolle Läufe, spielt sein Horn auch zweistimmig oder funktioniert es kurzzeitig zum Didgeridoo um, indem er einfach den dritten Teil des Rohres weglässt. Die Musik der australischen Ureinwohner zitiert er nur kurz, schon bald wechselt er von der Zirkularatmung zu kräftigen, rhythmischen Stößen und ersetzt so Bass und Schlagzeug. Wenn einer der drei ihre Instrumente verändern – Christian Zehner spielt schon seit vielen Jahren ein modifiziertes Akkordeon, von ihm als 'Wippkordion' bezeichnet – dann wohl nicht nur aus Lust an der Verfremdung, sondern weil es er Charakter des Stückes erfordert. So kann John Wolf Brennan den warmen Bordunton, der in einer Komposition die Grundlage für die Höhenflüge der Kollegen liefert, nur erzeugen, indem er einen gewachsten Faden durch die Klaviersaiten zieht.

Der Hintergrund jedes Stückes wird meist humorvoll erläutert. Dann macht etwa Christian Zehnder einen kleinen Exkurs zu den strengen Aufnahmekriterien japanischer Alphorn-Vereine (man muss ein Alphorn selbst gebaut haben) deren Bläser dafür «völlig inspirationsfrei spielen» würden. Er erzählt von den «letzten Ureinwohner Europas», die das Jodeln noch in den Tagesverlauf integriert hätten und man «noch vor der Zeitrechnung, wie die Pygmäen» jodle. So eindrücklich das folgende, von den Muotataler Jodlern inspirierte Stück klingt: Zehnders Hoffnung, es eines Tages auch im Muotatal zu hören, wird sich so lange nicht erfüllen, wie die dortigen Bauern ihren Stall nicht im 7/4-Takt ausmisten.

Jazzmusiker haben bereits lange vor der Erfindung der Weltmusik Elemente ethnischer Musik integriert. Christian Zehnder, Arkady Shilkloper und John Wolf Brennan scheinen mühelos das Vertrauen und die gemeinsame Basis gefunden haben, auf der sie ihre eigene Spielart entwickeln können. Dass sie auch live experimentieren und keine festgelegten Arrangements bringen, zeigen die Reaktionen der Musiker. So freut sich Arkady Shilklopper herzhaft über Zehnders vokale Eskapaden, sie wechseln anerkennende Blicke und signalisieren Erleichterung, wenn einer vom Seil zurück auf den sicheren Boden springt. Zehnders Hinweis, dass sie jedes Mal anders klingen würden, war offenbar ernst gemeint.

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