Mittwoch, 11. April 2018
Jütz – Hin & Über
Sie tummeln sich im abgegrasten Genre der neuen Volksmusik und wollen zudem in die übergroßen Fußstapfen des unkonventionellen «Zappa von Tirol» und «ordentlichen Anarchisten» Werner Pirchner treten. Dieser fiel nicht nur als unerhörter Musiker auf, sondern hielt auch mit seiner von der Mehrheit abweichenden Einstellung nicht hinter dem Berg.

Jütz dagegen machen es sich leichter. Sie beginnen mit dem ins Tirolerische übersetzten «Luegid vo Bärg und Tal», einem Schweizer Kinderlied-Gassenhauer aus dem 19. Jahrhundert. Das kann man als etwas eigenartigen Hinweis auf die Herkunft des Trios aus zwei Tirolern und einem Berner verstehen. Der Autor des Liedes, Josef Anton Henne, versuchte nämlich im berndeutschen Dialekt zu schreiben, obwohl er aus dem Kanton St. Gallen stammte. Vielleicht sind Jütz nur der einfachen Melodie erlegen, vielleicht wollen sie mit dem lauwarmen Aufwärmprogramm auch bloss die lange Tradition der bis heute ungebrochenen Begeisterung für den berndeutschen Dialekt zeigen.
Jütz vertonen gerne überlieferte Texte, die sie bunt durcheinandermischen und basteln daraus auch schon mal leichten Volksmusikpop mit angejazztem Akkordeon («Das kennst du wohl»). Doch sie können auch anders: Der «Postfeldwalzer» und die «Bergaufpolka» sind humorige Instrumentalstücke (das zweite mit Spracheinspielungen von Werner Pirchner), «Schleuniger Tempo Dampfl» ist ein originelles Spoken-Word-Stück und mit dem entschleunigten Jodler «Der Schweinsbeuschler» nähern sie sich sehr vergnüglich der Tradition.

Das Trio beschäftige sich nicht mit der politischen Dimension von Kunst, zitieren etwa die Wiener Stadtzeitung Falter und die Salzburger Nachrichten die Multiinstrumentalistin und Sängerin Isa Kurz. Das Trio wolle mit seiner Klangästhetik dem Publikum den unvoreingenommenen Zugang zur traditionellen Musik ermöglichen. Wenn Jütz dann aber in «Mantua» das Andreas-Hofer-Lied aufgreifen, das einen regionalen Widerstandskämpfer zum gesamtdeutschen Helden stilisiert, wirkt diese Einstellung mehr als naiv – vor allem nach dem ausdrücklichen Bezug zum eher anarchistisch eingestellten Werner Pirchner. Und dies ausgerechnet in einer Zeit enormer, auch mit kriegerischen Mitteln herbeigerufenen Umwälzungen, die auch unsere politische Landschaft enorm verändert hat.

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Samstag, 24. März 2018
Ferd - Music Without Boarders
Weltumspannende Ansätze gibt es viele. Doch die Musik einer derart kleinen Region einem so vielfältigen kulturellen Austausch auszusetzen wie Kirsten Bråten Berg, Sigurd Brokke, Gunnar Stubseid und Hallvard T. Bjørgum – das hat so wohl noch niemand gemacht.

Die vier norwegischen Musiker, die selbst singen, Maultrommel und die der Violine ähnliche Hardangerfiedel spielen, sind Spezialisten für die Musik der Region Setesdal. Die Melodien aus diesem Tal im Süden Norwegens haben sie in die Welt geschickt – in das Nachbarland Schweden, in europäische Länder wie Irland, Armenien und Rumänien, und in entfernte wie Syrien, Indien und Indonesien, China und Iran. 52 Musiker aus 18 Ländern waren an diesem Projekt ohne Grenzen beteiligt, haben sich mit der Musik fremder Kulturen und den musizierenden Menschen ausgetauscht und n, vertraut-fremde Stücke geschaffen. In diesen treffen die Gesangsstile der Ureinwohner Lapplands, aus Tibet und der Mongolei zusammen, oder es spielen Hardangerfiedel, indische Sarangi, die persische Zither Kanun und andere Instrumente gemeinsam für norwegischen und thailändischen Gesang auf.

Auf dem Album gibt es nur wenige so naheliegende Kombinationen wie in «Havar Heddi», für das die vier Musiker ein Stelldichein von Maultrommel und Hardangerfiedel mit Bass, Harmonium, Gitarre und Tin-Whistle geben, oder in «Gamlestev», bei dem die Stimmen von Kirsten Bråten Berg und Masha Vahdat (Iran) nur vom Flötisten Jonas Simonson begleitet wird. Meist werden die Gesangsstile mehrerer Länder mit unterschiedlichen Perkussionsarten und Instrumenten aus vieler Herren Länder gemischt. Das Ergebnis ist immer wieder überraschend – und wirkt trotz der eigenwilligen Paarungen wie natürlich gewachsen. Und das nicht nur deshalb, weil in einem Stück verwandte Instrumente wie das persische Hackbrett Santur und die von ihm abstammende thailändische Khim versammelt sind.

«Music Without Borders» ist ein herausragendes Weltmusikalbum: weil das weltumspannende Konzept verfängt und zu einem neue Hörerlebnis führt, weil es traditionelle Lieder in eine neue Zeit bringt und weil es über das Genre hinaus weist. Und das ganz ohne Ausflüge in Klassik, Jazz oder elektronische Musik. Man kann sich auch so gut vorstellen, dass Sequenzen wie der vokale Schlusspunkt des Tanzlieds «Nils, Jens und Geidaug» die Beine in heute angesagten Tanzschuppen in Bewegung bringen könnte.

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Mittwoch, 14. März 2018
Dead Brothers – Angst
Die Lage der Nation ist eine Steilvorlage für die Dead Brothers. Obwohl die Statistiker in vielen Bereichen einen Aufwärtstrend feststellen und die Müllhalden ungebrochen wohlfahrtsstaatsmäßig anwachsen, ist Angst das bestimmende Lebensgefühl weiter Kreise. Das ist nicht nur ein guter Nährboden für Populisten, sondern auch für die Dead Brothers.
Die Genfer Gruppe ist mit ihrem achten Album unterwegs und sammelt diejenigen Moribunden ein, die den Untergang fröhlich zelebrieren möchten. Die Sensen der Schnitter-Brüder hören auf die Namen Tuba, Gitarre, Violine, Trommel, Akkordeon und Dudelsack. Und – natürlich – den Gesang lieben sie auch.

Dass die Dead Brothers musikalische Einflüsse ohne Stand und Ansehen mitnehmen und mit punkiger Attitüde so vermengen, dass man ihre Herkunft nicht mehr sicher heraushören kann, ist ein Grundprinzip. Da klingt der Auftakt eines Songs mal vage kubanisch oder nach Rembetiko, nur um bereits nach wenigen Takten schnöde mit einer anderen Spielart übertüncht zu werden. Mal klingt Balkanmusik an, mal scheinen die Dead Brothers von dem Lied «Wir sind die Moorsoldaten» inspirieren worden zu sein. Und dass sie sich der heimischen Volksmusiktradition annehmen, ist typisch für die Dead Brothers und wird hier wiederum so vergnüglich wie originell inszeniert: Auf die Idee, beim Appenzeller Naturjodel die Stimmen nur schwer vernehmbar in den Hintergrund zu schieben, muss man erst einmal kommen.
Das klingt wie Theatermusik, und das ist kein Wunder, sind sie doch auf Theaterbühnen gerne gesehene Akteure, wie die Vertonung des Robert-Walser-Gedichts «Angst» für eine Inszenierung am Stadttheater Hannover zeigt. Anders als Heinz Holliger, der es hoch artifiziell vertont hat (vor 20 Jahren in seinem Projekt «Beiseit»), bringen die Dead Brothers eine standesgemäße Struwwelpeter-Variante.

Die Dead Brothers schwingen die Sense nicht immer treffsicher. Doch selbst wenn sie dann wie eine weniger eloquente, ländliche Kopie des frühen Tom Waits klingen, sind sie immer noch vergnüglich.

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Mittwoch, 28. Februar 2018
Toto Bono Lokua – Bondeko
Musik braucht keine Worte, finden der Kameruner Jazzer Richard Bona, der kongolesische Singer/Songwriter Lokua Kanza und der französische Komponist und Multiinstrumentalist Gerald Toto mit Wurzeln in den Antillen – aber ihre sanften Stimmen wollen sie offensichtlich trotzdem nicht mit dem Scat-Stil eines Louis Armstrong zerhacken. Ihre Lösung sind Lieder in einer Phantasiesprache. Für die meisten Hörer könnten sie ruhig in einer der vielen Sprachen ihrer Heimatlänger singen – was sie gelegentlich auch tun, mit Stücken wie «Tann Tanbou A» (Creole) und «Naleki» (Lingala) –, denn die sind keineswegs verständlicher.
So oder so hemmt hier kein zwischenfunkendes Sprachverständnis das Hörvergnügen an den wohl überwiegend recht spontan entstandenen Stücken, bei denen der Klang des Trios im Vordergrund stand. Wichtigstes Element ist der Chorgesang der schmeichelnden Stimmen, die für die romantischen Passagen ideal sind und die quirligeren Stücke wohltuend antreiben. Und auch an zurückhaltendem Witz mangelt es nicht: Richard Bona imitiert in seinem Solo-Stück «Love Train» die Dampflokpfeife so sanft, wie sie wohl noch nie zuvor gehört wurde.
Was vordergründig wie sanftester World-Folk wirkt, entpuppt sich beim genauen Hören als rhythmisch überaus abwechslungsreiches Album mit vergleichsweise reduzierten, aber durchdachten Arrangements.

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Mittwoch, 21. Februar 2018
Schönholzer & Rüdisüli – Sozialplan
Schweizer Expats haben es schwer, ihren deutschen Freunden die heimische populäre Musik nahezubringen. Annähernd massenkompatible Klassiker wie Züri West und Patent Ochsner oder der noch jüngere Michael von der Heide sind musikalisch zu kommun, sodass dann doch oft Mani Matter als Beispiel für Originalität und Eigenständigkeit herhalten muss. Dessen durchweg kurze Stücke sind sogar leicht verständlich oder zumindest schnell übersetzt.

Markus Schönholzer hat einen ebenso verschmitzten Witz und spielt wie Mani Matter virtuos mit der Sprache. Seine Lieder sind hintersinnig, kritisch und bissig, und trotz unverhohlener Traurigkeit wirken viele seiner Beobachtungen überaus liebevoll. Da freut sich der Sänger über die liebliche Vogelstimme («s Lied vo de Liebi»), deren Klang ihm so vertraut ist – und erst als sie näherkommt und seinen Namen ruft, merkt er, dass es seine Frau ist, die das Lied von der Liebe singt. Markus Schönholzer lässt es nicht bei einem einfachen Liebeslied bewenden, sondern spinnt aus der Idee die Beschreibung der Rollenverhältnisse einer Beziehung. Seine Geschichten scheinen einfach, doch sie sind komplex. Wenn er über das Heimkommen sinniert («I bi wider dehei»), beschreibt er anhand scheinbar nebensächlicher Beispiele an, was sich seit dem Weggehen verändert hat und deutet wie nebenbei an, wie sich in die Heimatgefühle solche der Fremdheit mischen. Für die Beschreibung des Altwerdens («Vatter») reichen ihm sechs kurze Zeilen mit nicht mehr als 40 Silben. Doch egal wie ernsthaft ein Thema sein mag – Schönholzer widmet sich ihm immer mit Humor.
Darüber hinaus begeistern Schönholzer & Rüdisüli mit leichtfüßig-raffinierten Arrangements, in denen schelmische Pop-Zitate – beispielsweise «Lucy in the Sky» von den Beatles – ebenso souverän eingesetzt werden wie Ravels «Bolero».

Auf «Sozialplan» wird gezupft (Banjo und Gitarre), Blech geblasen und Zieharmonika gespielt. Einen wichtigen Anteil am Charme der Musik hat denn auch der Akkordeonist Robi Rüdisüli. Der langjährige musikalische Wegbegleiter von Markus Schönholzer pendelt – zurückhaltend, aber wirkungsvoll – zwischen Musette und Volkslied und komplettiert so den Wortwitz seines Compagnons mit subtil platziertem Spielwitz – das, was ein charmantes Chanson braucht.

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Dienstag, 13. Februar 2018
Erika Stucky - Papito
Eine neue Grenzüberschreitung der Schweizer Jazzmusikerin mit dem untrüglichen Gespür für besondere Konstellationen – einfühlsam und sanft verstörend.

Erika Stucky kommt vom Jazz und verpasst auch Popsongs außergewöhnliche Charakterzüge. Für ihre originellen Interpretationen findet sie immer auch ungewöhnliche Konstellationen – etwa Akkordeon, Posaune und Tuba. Sie spielte mit den Young Gods Songs aus dem Dokumentarfilm über das Woodstock-Festival nach, gestaltete mit der Schweizer Popsängerin Sina einen schrägen Abend mit Walliser Sagen und mit Christy Doran ein Jimi-Hendrix-Programm.
Mit «Papito» öffnet sie eine neue Tür – zur Klassik. Und natürlich beschränkt sie sich nicht darauf, ihre Kompositionen mit ein paar Streicher-Arrangements aufhübschen zu lassen. Sie lockt das zu den renommierten Interpreten Alter Musik zählende La Cetra Barockorchester Basel und den Countertenor Andreas Scholl zu neuen Abenteuern und lässt FM Einheit, früher bei den Einstürzenden Neubauten und heute unter anderem auch für seine Hörspiel-Arbeiten ausgezeichnet, die neue Klangwelt elektronisch unterfüttern.

Neben eigenen Kompositionen bietet Erika Stucky gefühlvolle Interpretationen etwa von Cole Porters «Ev'ry Time We Say Goodbye» und Randy Newmans "Marie". Bei «Tea For Two» kommt erstmals der Countertenor Andreas Scholl ins Spiel, zu dessen Stimme die von Erika Stucky in einem reizvollen Kontrast steht. In das/Unter das romantisch interpretierte Stück mischen sich erstmals Klangbilder, die gleichermaßen sanft und verstörend sind. Bei Stephen Sondheims «Not While I'm Around» tauchen dann die Dämonen auf und das Medley aus «Caruso» von Lucio Dalla und «I Want You» von den Beatles kulminiert zum Untergangsszenario.

Erika Stucky liebt schräge Inszenierungen, daher ist es schade, dass man auf dem Album die Filme nicht mitgeliefert bekommt, mit denen sie die Bühnenshow des beim Alpentöne-Festival uraufgeführten Programms garnierte. Immerhin bedient sie ihre Hörer mit einer anderen Stärke: ihrem bislang untrüglichen Gespür für musikalische Konstellationen. Stuckys Zwiesprache mit dem Countertenor Andreas Scholl und ihr immer wieder experimenteller Stimmeinsatz sind jedoch auch ohne audiovisuelles Beiwerk ein großer Genuss. Nicht minder reizvoll sind die Klangwelt des La Cetra Barockorchesters Basel, dessen historische Instrumente hier zeitgenössisch inszeniert werden, und die zurückhaltenden elektronischen Einwürfe von FM Einheit.

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Sonntag, 2. April 2017
Various «Mach's besser: 25 Jahre Die Sterne»
Wie keine eine andere Band vor ihnen haben Die Sterne sperrige Texte mit geschmeidiger Musik kombiniert. Sie sind beim Vermitteln ihrer Botschaften ohne Parolen ausgekommen und trotz Wandlungen über all die Jahre unverwechselbar geblieben. Zweifellos: Die Hamburger haben Tribut verdient – und zwar würdigenden.
Das 25-jährige Jubiläum ist ein ebenso konventioneller wie willkommener Anlass für ein Tribut-Album. Der Reputation der Sterne angemessen, reicht die Bandbreite der Gratulanten von alten Kämpen (Die Zimmermänner, Die Aeronauten und Peter Hein, der mit Fehlfarben und Family 5 vertreten ist) über Hamburger Freunde (Björn Beton von Fettes Brot) und Geistesverwandte wie Stereo Total und Peter Licht bis hin zu jungen Bands wie Kreisky und den Newcomern Isolation Berlin. Mit ihren Geschenken haben sie sich jedoch kaum Mühe gemacht und allenfalls die Verpackung etwas aufgehübscht. Die Gratulanten geben sich indierockig, funky oder ein wenig elektrostampfig, bleiben Liedermacher und machen auch mal ein wenig Disco. Oft geben sie sich damit zufrieden, zu zeigen, wie sie sind. Das ist immer wieder unterhaltsam, kreativ ist es nicht. Die Aufforderung der Sterne, es besser zu machen, wird keineswegs erfüllt. Wir warten auf das nächste Album des Originals.

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Samstag, 26. März 2016
Ashia Bison Rouge – Oder
Erst sorgte es in der populären Musik bei einzelnen Stücken für die bestimmende Klangfarbe, später wurde es bei Gruppen wie Rasputina und Apocalyptica zum zentralen Instrument: Das Cello hat in der Popmusik seit Jahrzehnten seinen festen Platz. Auch beim neuen Album von Ashia Grzesik steht es im Mittelpunkt. Die Cellistin und Sängerin hat sich ihrer Begleitmusiker entledigt, sich deren Namen Bison Rouge einverleibt und spielt – bis auf wenige Ausnahmen – solo und trotzdem vielstimmig. Sie loopt einzelne Sequenzen, schichtet die Spuren übereinander. Zum Teil schickt die in den USA aufgewachsene Polin die Töne auch durch Effektgeräte. Das Prinzip ist bekannt – der Schweizer Bassist Mich Gerber setzt es schon seit den 90er-Jahren ein –, doch Ashia Bison Rouge fügt eine weitere, tolle Facette hinzu.

Das Cello scheint ein für dieses Prinzip ideales Instrument zu sein. Es deckt den Bereich der männlichen Stimme ab. Ashia Bison Rouge, kann ihre kräftige Stimme mit einem ordentlichen Bass unterlegen oder ihren Stücke mit einer Art Streichquartett einen klassischen Touch geben. Und gezupft wird das Cello auch zu einer kleinen Rhythmusmaschine. Wenn Ashia Grzesik höhere Töne braucht, holt sie sich eine Geige dazu, mitunter ist auch eine Ukulele zu hören.

Der Albumtitel «Oder» verweist auf den Strom, der Polen und Deutschland trennt. Beide Länder spielen in der Biographie der Künstlerin, die derzeit in Berlin, lebt eine Rolle. Die Stücke sind auch eine Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft, der Song «Dig In Our Roots» kündigt das schon im Titel an. Ihre – mit Ausnahme des auf Polnisch gesungenen Titelstücks «Oder» –überwiegend stimmungsvollen und gelegentlich melancholischen Stücke singt Ashia Bsion Rouge in Englisch. Die Melodie des romantischen «Hold and Fall» erinnert an Gershwins «Summertime» Die durch repetitive Loops zwangsläufig redundanten Passagen mancher Stücke bringen sie in die Nähe der Minimal-Music, auch wenn sie keineswegs die suggestive Kraft der Kompositionen eines Philip Glass ausstrahlen. Dafür hat Ashia Bison Rouge ihre kraftvolle Stimme, die sie nicht nur akzentuiert und energisch, sondern durchaus auch subtil einsetzt.

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Samstag, 25. Juli 2015
El Zitheracchi – Modernes Raubzithertum
Raubzithertum – das klingt martialisch und evoziert die Rechtlosigkeit und Brutalität eines Thomas von Absberg, dem an der Seite des Götz von Berlichingen kämpfenden 'Schrecken Frankens’. Doch El Zitheracchi ist weniger Haudegen an der Zither als Minnesänger. Und auch wenn der Künstlername wirkt, als habe er zu viele Spaghetti-Western gesehen, spielt El Zitheracchi keineswegs schneller als sein Schatten. Im Gegenteil: Er glänzt nicht durch Virtuosität, sondern durch die feinfühlige Interpretation seiner durchweg ruhigen und melodiösen Kompositionen.
Der Musiker, der sich gerne manieriert hinter der breiten Hutkrempe versteckt, spielt weltoffen, aber nicht folkloristisch. Er integriert unterschiedliche Einflüsse, ist aber auch dann kein plumper Nachahmer anderer Stile, wenn er explizit eine mittelamerikanische Volksweise zupft. Er spielt sich mit dem kontemplativen, siebeneinhalbminütigen "Bavarindi" in Trance, lädt mit der kurzen "Zitheracchi-Suite" zum Tanz, und mit "Schön voran" gelingt ihm ein gefälliger Ohrwurm. Bei den meisten Stücken lässt er sich von einem Musiker begleiten; dann sorgen entweder Bass, Saxofon, Tabla, Djembé und einmal auch ein Hang für eine zusätzliche Klangfarbe, die den jeweiligen Stücken gut tut.

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Montag, 21. April 2014
Hauschka - Abandoned City
Immer wieder sieht man Bilder von Geisterstädten, die Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen haben. Sie gleichen sich in gewisser Weise, egal ob sie aus Prypjat (Ukraine) stammen, das nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl geräumt wurde, oder im Viertel mit den UFO-Häusern von Sanzhi Pod City gemacht wurden. Der meist poetische Ansicht des Verfalls vermittelt eine geisterhafte Stille, die allenfalls von aufgescheuchten Tieren gelegentlich unterbrochen wird.

Hauschkas musikalische Beschreibung von aufgegebenen Städten vermittelt ganz andere Eindrücke. In ihnen geht es so quirlig zu wie Samstagnacht im angesagtesten Club einer westlichen Metropole, in Hauschkas Bildern ist es so drängelnd wie zur Rushhour in Tokio. Da ist es kaum ruhig und ohne die bedrückende Leere, die Unglücke in der Regel hinterlassen. Hauschkas Musik ist dafür zu überladen und zu antreibend und passt als solche eher zum «Dritten Mann», der durch den Untergrund gehetzt wird oder zu den «Modernen Zeiten», die den Menschen überfordern. Man tut gut daran, Bilder zu vergessen, in denen Katastrophengebiete surreal-märchenhaft gezeichnet werden und sich ohne Erwartung an Hauschkas «Abandoned City» anzunähern. Denn der stilistisch nicht wirklich einzuordnende Hauschka hat seine eigene, vibrierende Klangwelt geschaffen, die weniger wie die Stille danach wirkt, sondern vielmehr als der Lärm vor und während des Untergangs, der Katastrophe wirkt.

Dass der Komponist und Pianist Volker Bertelmann unter dem Künstlernamen Hauschka auftritt, verweist auf die Popkultur, seine Ausbildung auf die Klassik, und mit seiner Musik schlägt er neue Wege ein. Oft dramatisch und kraftvoll wirkt sie mitunter wie apokalyptische Filmmusik – auch, weil die dem präparierten Klavier entlockten Töne manchmal wie rhythmisierte Geräusche wirken. Seine pulsierenden Arpeggien erinnern an die Minimal Music eines Philip Glass, gelegentlich meint man entfernte Reminiszenzen an die Disco-Kultur herauszuhören, und immer wieder flicht Hauschka auch lyrische Passagen in seine treibenden Rhythmen. Im Vergleich zu den Bildern der kargen Räumen und der unterschwellig dramatischen Ödnis, die sich beim Gedanken an aufgegebene Orte einstellen, wirken Hauschkas Kompositionen zu dynamisch und seine Arrangements immer wieder überladen. Doch seine Musik ist stark genug, um neue, eigene Bilder entstehen zu lassen.

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