Dienstag, 26. Februar 2013
Markus Bundi - Emilies Schweigen
Der Autor als Gerichtsreporter: «Emilies Schweigen» spielt überwiegend im Gerichtssaal. Dort findet ein Indizienprozess statt, der das ganze Land bewegt. 47 Menschen soll die Altenpflegerin Emilie T. umgebracht haben, Dunkelziffer ungewiss. Beweise gibt es keine – kein Gift, keine Spuren, keine Zeugen. Und Emilie schweigt. Auch mit ihrem Pflichtverteidiger spricht sie nicht.
Für den 32-jährigen David Moor, der als Pflichtverteidiger brilliert, wird der Fall zum Karriere-Booster. Er weckt den Sportsgeist des Schachspielers, dem das Schweigen der Angeklagten erlaubt, der Strategie der Anklage ganz nach seinem eigenen Gutdünken Paroli zu bieten. Obwohl die Meinung schon gemacht ist – die Medien verurteilten Emilie T. vorab als Todesengel – gelingt es David Moor, Zug um Zug die Schlussfolgerungen des Staatsanwaltes und des untersuchenden Hauptkommissars zu zerpflücken und die Medien auf seine Linie zu bringen.

Vordergründig schildert Markus Bundi einen besonderen Gerichtsfall. Das macht er spannend, aber das reicht ihm nicht. Denn er erzählt diese Geschichte nicht als allwissender Erzähler und auch nicht aus dem Blickwinkel des unmittelbar am Prozess beteiligten Anwalts David Moor. Erzähler ist vielmehr dessen Freund aus Studienzeiten, der gleich im Prolog zugibt, viele der Informationen nicht aus erster Hand zu haben, sondern aus den Medien. Er sei nicht ein einziges Mal im Gerichtssaal gewesen und würde beispielsweise ausser Acht lassen, dass am Prozess gleich mehrere Richter beteiligt seien. Er wolle den Mechanismus aufzeigen, legt Markus Bundi seinem Erzähler in den Mund, der zum für viele überraschenden Ausgang des Prozesses geführt hätten. Die Medien schlachten jede Wendung im Prozess aus und bestimmen mit ihrer ausufernden Berichterstattung die Sicht auf die Angeklagte und ihre Tat zumindest für die Öffentlichkeit mehr als die Personen, die mit der Aufklärung der Tat beschäftigt sind.
So stellt Markus Bundi in seiner leichtfüssig erzählten Geschichte ganz zwanglos die Frage nach der Rolle der Medien in unserer Gesellschaft und regt zum Nachdenken darüber an, wie sie unsere Wahrnehmung beeinflussen. Auch sie, so die naheliegende Schlussfolgerung, wählen aus den vorhandenen Informationen aus und erzählen uns so eine Geschichte. Und das machen sie, schliesslich möchten sie Aufmerksamkeit erwecken, möglichst spannend. Manche der medial präsentierten Geschichten mögen so rätselhaft sein wie die der bis zum Freispruch schweigenden Emilie T. – so gut erzählt wie «Emilies Schweigen» sind sie meistens nicht.

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