Mittwoch, 9. Januar 2013
Daniel Odija - Auf offener Straße
Schon der Name der Straße, in der Daniel Odijas Romans angesiedelt ist, zeigt, dass nicht alle Versprechungen eingehalten werden. Die ulica Długa, die Lange Straße, ist in Wirklichkeit sehr kurz. Aber sie hält viele Geschichten über die wenigen Bewohner bereit, die der junge polnische Autor in dichten Miniaturen erzählt.
Die wenigen Bewohner sind einander oft in Abneigung zugetan, oder sie ignorieren sich einfach. Keiner hat eine Perspektive. Die jungen Burschen bestreiten ihren Lebensunterhalt durch Diebstähle. Die drei Cebula-Schwestern, die jüngste von ihnen noch minderjährig, prostituieren sich für Praktisches wie Videorekorder und Bügeleisen, welche die Freier von ihren Beutezügen in der nächsten großen Stadt mitbringen. Menschen wie der kuriose Bettler Hobbit, der monatlich so viel Geld einnimmt wie ein Arbeiter an verdient, oder Gustav Chmara, der den Hinterhof begrünt, sind die Ausnahme – und vor allem nicht ohne Schattenseiten. Sobald Chamara seinen Hinterhof herausgeputzt hat, wird er zum Ordnungsfanatiker, der seine Umgebung tyrannisiert. Ohnehin sind Menschen wie Pattex die Regel. Der schnüffelt sich einfach aus dem Elend heraus.
Selbst in ihren Träumen finden sich die Bewohner der ulica Długa im Elend wieder. Hier hat kaum einer eine Perspektive. Ausbruchsversuche, die über den Seitensprung mit der Nachbarin hinausgehen, scheitern. Auch Kanada, den man so nennt, weil er mit einem Stipendium nach Amerika ausgewandert war, kehrte zurück «vielleicht weil er musste und seine Pläne nicht aufgegangen waren, falls er überhaupt welche gehabt hatte, auf jeden Fall begann er zu trinken.»

Daniel Odijas Text ist kein konventioneller Roman, sondern vielmehr eine Ansammlung von kurzen Geschichten, manchmal gar nur von knappen Momentaufnahmen. Odija schreibt äußerst verdichtete Kurzprosa, die reich an Bildern und treffenden Beschreibungen ist. Odijas Blick auf die Protagonisten ist nüchtern und distanziert. Er bemitleidet sie nicht, wertet sie aber auch nicht ab.
Mit bitterem Realismus, deren fotografische Pendants bei den Arbeiten von Robert Frank («The Americans») und Walker Evans («Let Us Now Praise Famous Men») liegen, zeigt Daniel Odija, dass sich für die zeitlos Ausgegrenzten auch durch den Wechsel der Herrschenden die Lebensbedingungen nicht verbessert haben.

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