Samstag, 24. März 2018
Ferd - Music Without Boarders
Weltumspannende Ansätze gibt es viele. Doch die Musik einer derart kleinen Region einem so vielfältigen kulturellen Austausch auszusetzen wie Kirsten Bråten Berg, Sigurd Brokke, Gunnar Stubseid und Hallvard T. Bjørgum – das hat so wohl noch niemand gemacht.

Die vier norwegischen Musiker, die selbst singen, Maultrommel und die der Violine ähnliche Hardangerfiedel spielen, sind Spezialisten für die Musik der Region Setesdal. Die Melodien aus diesem Tal im Süden Norwegens haben sie in die Welt geschickt – in das Nachbarland Schweden, in europäische Länder wie Irland, Armenien und Rumänien, und in entfernte wie Syrien, Indien und Indonesien, China und Iran. 52 Musiker aus 18 Ländern waren an diesem Projekt ohne Grenzen beteiligt, haben sich mit der Musik fremder Kulturen und den musizierenden Menschen ausgetauscht und n, vertraut-fremde Stücke geschaffen. In diesen treffen die Gesangsstile der Ureinwohner Lapplands, aus Tibet und der Mongolei zusammen, oder es spielen Hardangerfiedel, indische Sarangi, die persische Zither Kanun und andere Instrumente gemeinsam für norwegischen und thailändischen Gesang auf.

Auf dem Album gibt es nur wenige so naheliegende Kombinationen wie in «Havar Heddi», für das die vier Musiker ein Stelldichein von Maultrommel und Hardangerfiedel mit Bass, Harmonium, Gitarre und Tin-Whistle geben, oder in «Gamlestev», bei dem die Stimmen von Kirsten Bråten Berg und Masha Vahdat (Iran) nur vom Flötisten Jonas Simonson begleitet wird. Meist werden die Gesangsstile mehrerer Länder mit unterschiedlichen Perkussionsarten und Instrumenten aus vieler Herren Länder gemischt. Das Ergebnis ist immer wieder überraschend – und wirkt trotz der eigenwilligen Paarungen wie natürlich gewachsen. Und das nicht nur deshalb, weil in einem Stück verwandte Instrumente wie das persische Hackbrett Santur und die von ihm abstammende thailändische Khim versammelt sind.

«Music Without Borders» ist ein herausragendes Weltmusikalbum: weil das weltumspannende Konzept verfängt und zu einem neue Hörerlebnis führt, weil es traditionelle Lieder in eine neue Zeit bringt und weil es über das Genre hinaus weist. Und das ganz ohne Ausflüge in Klassik, Jazz oder elektronische Musik. Man kann sich auch so gut vorstellen, dass Sequenzen wie der vokale Schlusspunkt des Tanzlieds «Nils, Jens und Geidaug» die Beine in heute angesagten Tanzschuppen in Bewegung bringen könnte.

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Mittwoch, 14. März 2018
Dead Brothers – Angst
Die Lage der Nation ist eine Steilvorlage für die Dead Brothers. Obwohl die Statistiker in vielen Bereichen einen Aufwärtstrend feststellen und die Müllhalden ungebrochen wohlfahrtsstaatsmäßig anwachsen, ist Angst das bestimmende Lebensgefühl weiter Kreise. Das ist nicht nur ein guter Nährboden für Populisten, sondern auch für die Dead Brothers.
Die Genfer Gruppe ist mit ihrem achten Album unterwegs und sammelt diejenigen Moribunden ein, die den Untergang fröhlich zelebrieren möchten. Die Sensen der Schnitter-Brüder hören auf die Namen Tuba, Gitarre, Violine, Trommel, Akkordeon und Dudelsack. Und – natürlich – den Gesang lieben sie auch.

Dass die Dead Brothers musikalische Einflüsse ohne Stand und Ansehen mitnehmen und mit punkiger Attitüde so vermengen, dass man ihre Herkunft nicht mehr sicher heraushören kann, ist ein Grundprinzip. Da klingt der Auftakt eines Songs mal vage kubanisch oder nach Rembetiko, nur um bereits nach wenigen Takten schnöde mit einer anderen Spielart übertüncht zu werden. Mal klingt Balkanmusik an, mal scheinen die Dead Brothers von dem Lied «Wir sind die Moorsoldaten» inspirieren worden zu sein. Und dass sie sich der heimischen Volksmusiktradition annehmen, ist typisch für die Dead Brothers und wird hier wiederum so vergnüglich wie originell inszeniert: Auf die Idee, beim Appenzeller Naturjodel die Stimmen nur schwer vernehmbar in den Hintergrund zu schieben, muss man erst einmal kommen.
Das klingt wie Theatermusik, und das ist kein Wunder, sind sie doch auf Theaterbühnen gerne gesehene Akteure, wie die Vertonung des Robert-Walser-Gedichts «Angst» für eine Inszenierung am Stadttheater Hannover zeigt. Anders als Heinz Holliger, der es hoch artifiziell vertont hat (vor 20 Jahren in seinem Projekt «Beiseit»), bringen die Dead Brothers eine standesgemäße Struwwelpeter-Variante.

Die Dead Brothers schwingen die Sense nicht immer treffsicher. Doch selbst wenn sie dann wie eine weniger eloquente, ländliche Kopie des frühen Tom Waits klingen, sind sie immer noch vergnüglich.

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Donnerstag, 8. März 2018
Ted Gioia – «Jazz hören – Jazz verstehen»
Mit seinem neuen Buch «Jazz hören – Jazz verstehen» möchte der Jazzpianist, Musikwissenschaftler und Buchautor Ted Gioia Normal-Sterblichen dabei helfen, Jazz kennen und lieben zu lernen. Dafür brauche es nicht viel, meint er durchaus einleuchtend, bloß Neugier und offene Ohren – und dann heißt es hören, hören, hören. Das, so seine Empfehlung, macht man sinnvoller in Konzerten als am Plattenteller. Denn Jazz lebt von Kreativität und Spontaneität. Die Improvisation, so Gioia, ist der magischste Teil der Sprache des Jazz. Und diese Magie erlebt man nicht auf Reproduktionen. Wer im «Reich der perfekten Reproduktion» leben wolle, meint er, sei im Konzert einer Rock- oder Pop-Coverband gut aufgehoben. Jazz jedoch ist «für diejenigen, die dabei sein wollen, wenn ein Wunder passiert.»

Könnte man aber das Wesen des Jazz tatsächlich verstehen, wenn man sich einfach in den Club setzt und hört, müsste Ted Gioia keine Betriebsanleitung schreiben. Auch er kann nicht auf sezierende Analyse und theoretische Grundlagen verzichten. Diese bettet er vergleichsweise leicht verdaulich ein, indem er unterschiedliche Facetten aufgreift und anhand wegweisender Kompositionen erklärt. Dass er sich dabei auch selbst widerspricht und auch sein beständiges Credo untergräbt, dass immer die Emotionalität im Vordergrund steht, trüben das Lesevergnügen und seine Glaubwürdigkeit. Doch viele Erläuterungen und Anregungen kann man als durchaus faire Entschädigung dafür betrachten.

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Mittwoch, 28. Februar 2018
Toto Bono Lokua – Bondeko
Musik braucht keine Worte, finden der Kameruner Jazzer Richard Bona, der kongolesische Singer/Songwriter Lokua Kanza und der französische Komponist und Multiinstrumentalist Gerald Toto mit Wurzeln in den Antillen – aber ihre sanften Stimmen wollen sie offensichtlich trotzdem nicht mit dem Scat-Stil eines Louis Armstrong zerhacken. Ihre Lösung sind Lieder in einer Phantasiesprache. Für die meisten Hörer könnten sie ruhig in einer der vielen Sprachen ihrer Heimatlänger singen – was sie gelegentlich auch tun, mit Stücken wie «Tann Tanbou A» (Creole) und «Naleki» (Lingala) –, denn die sind keineswegs verständlicher.
So oder so hemmt hier kein zwischenfunkendes Sprachverständnis das Hörvergnügen an den wohl überwiegend recht spontan entstandenen Stücken, bei denen der Klang des Trios im Vordergrund stand. Wichtigstes Element ist der Chorgesang der schmeichelnden Stimmen, die für die romantischen Passagen ideal sind und die quirligeren Stücke wohltuend antreiben. Und auch an zurückhaltendem Witz mangelt es nicht: Richard Bona imitiert in seinem Solo-Stück «Love Train» die Dampflokpfeife so sanft, wie sie wohl noch nie zuvor gehört wurde.
Was vordergründig wie sanftester World-Folk wirkt, entpuppt sich beim genauen Hören als rhythmisch überaus abwechslungsreiches Album mit vergleichsweise reduzierten, aber durchdachten Arrangements.

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Mittwoch, 21. Februar 2018
Schönholzer & Rüdisüli – Sozialplan
Schweizer Expats haben es schwer, ihren deutschen Freunden die heimische populäre Musik nahezubringen. Annähernd massenkompatible Klassiker wie Züri West und Patent Ochsner oder der noch jüngere Michael von der Heide sind musikalisch zu kommun, sodass dann doch oft Mani Matter als Beispiel für Originalität und Eigenständigkeit herhalten muss. Dessen durchweg kurze Stücke sind sogar leicht verständlich oder zumindest schnell übersetzt.

Markus Schönholzer hat einen ebenso verschmitzten Witz und spielt wie Mani Matter virtuos mit der Sprache. Seine Lieder sind hintersinnig, kritisch und bissig, und trotz unverhohlener Traurigkeit wirken viele seiner Beobachtungen überaus liebevoll. Da freut sich der Sänger über die liebliche Vogelstimme («s Lied vo de Liebi»), deren Klang ihm so vertraut ist – und erst als sie näherkommt und seinen Namen ruft, merkt er, dass es seine Frau ist, die das Lied von der Liebe singt. Markus Schönholzer lässt es nicht bei einem einfachen Liebeslied bewenden, sondern spinnt aus der Idee die Beschreibung der Rollenverhältnisse einer Beziehung. Seine Geschichten scheinen einfach, doch sie sind komplex. Wenn er über das Heimkommen sinniert («I bi wider dehei»), beschreibt er anhand scheinbar nebensächlicher Beispiele an, was sich seit dem Weggehen verändert hat und deutet wie nebenbei an, wie sich in die Heimatgefühle solche der Fremdheit mischen. Für die Beschreibung des Altwerdens («Vatter») reichen ihm sechs kurze Zeilen mit nicht mehr als 40 Silben. Doch egal wie ernsthaft ein Thema sein mag – Schönholzer widmet sich ihm immer mit Humor.
Darüber hinaus begeistern Schönholzer & Rüdisüli mit leichtfüßig-raffinierten Arrangements, in denen schelmische Pop-Zitate – beispielsweise «Lucy in the Sky» von den Beatles – ebenso souverän eingesetzt werden wie Ravels «Bolero».

Auf «Sozialplan» wird gezupft (Banjo und Gitarre), Blech geblasen und Zieharmonika gespielt. Einen wichtigen Anteil am Charme der Musik hat denn auch der Akkordeonist Robi Rüdisüli. Der langjährige musikalische Wegbegleiter von Markus Schönholzer pendelt – zurückhaltend, aber wirkungsvoll – zwischen Musette und Volkslied und komplettiert so den Wortwitz seines Compagnons mit subtil platziertem Spielwitz – das, was ein charmantes Chanson braucht.

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